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# taz.de -- Ein gerader Schnitt durch die Welt
> Mit ratternden Projektoren auf der „Neuen Seidenstraße“ bis nach Hamburg:
> Im Kunstverein Harburger Bahnhof wirft Paul Kolling mit Satellitenbildern
> einen Blick auf das chinesische Megabauprojekt. Und fragt sich dabei, wie
> Transportwesen und Film die Welt erfassen
Bild: Ständig muss man an Arbeit denken, obwohl hier nur die Projektoren arbei…
Von Radek Krolczyk
Arbeit macht es derzeit, sich im Bahnhof in Hamburg-Harburg zurechtzufinden
– und gearbeitet wird auch ringsum. Aufwendig umgebaut wird der
Intercity-Knotenpunkt gerade, die Luft ist staubig, Gerüste und Rampen
machen das präventive Abstandhalten schwer, die Zugänge zu den Gleisen sind
verbaut. Auf Stellwänden kann man sehen, wie es hier später einmal aussehen
soll. Nur einen richtigen Blick darauf werfen kann man nicht, man würde im
Weg stehen, was schon ohne Pandemie nicht gern gesehen wird. Beim Übergang
in die Halle des Kunstvereins im Harburger Bahnhof hören Lärm und Staub
zwar auf, das Gefühl schwerer Arbeit hält sich aber hartnäckig.
Dabei arbeiten im Kunstverein bloß fünf Projektoren, die in zwei Reihen
aufgestellt einen 320 Meter langen 35-mm-Film transportieren. Das allein
aber ist es nicht, was auch im ehemaligen Wartesaal des Bahnhofs immer
wieder den Gedanken an Arbeit hervorruft. Der Raum ist abgedunkelt, auf
fünf Stellwänden sieht man modellhaft Landschaften vorbeiziehen,
aufgeknüpft an einem nicht enden wollenden Schienenstrang.
Die Filminstallation hat den Titel „Break of Gauge“, übersetzbar mit:
„Unterbrechung der Spur“ oder auch: „Bruch des Messgeräts“. Es ist die
Abschlussarbeit des Hamburger Künstlers Paul Kolling, der an der Hochschule
für bildende Künste in Hamburg beim neuseeländischen Installationskünstler
Simon Denny studierte.
Kolling, der sich bereits in älteren Arbeiten kritisch mit Themen der
globalen Ökonomie und ihren ökologischen sowie sozialen Implikationen
beschäftigte, verfolgt hier das chinesische wirtschafts- und geopolitische
Megaprojekt einer „Neuen Seidenstraße“. Eine von deren Achsen, die
Güterzugverbindung Trans-Eurasia-Express, verläuft zwischen der
chinesischen Industriemetropole Chongqing und Hamburg. 600 Kilometer
dieser Strecke verfolgt Kolling.
Dass man inmitten der Installation an Arbeit denken muss, hat aber nicht
nur mit dem Mega-Bauprojekt zu tun, sondern auch mit formalen Aspekten von
Kollings Installation: Man taucht ein in eine abgedunkelte Welt, in der ein
frühindustriell anmutender Apparat Luftbilder von Landschaften zeigt. Es
ist, als würde man in die Grube hinabfahren und der Förderung von
Steinkohle beiwohnen. Nur den Staub und den Lärm, den hat man eben draußen
vor der Tür gelassen.
Kolling hat seinen Film aus digitalem Material montiert, das er aus
Satellitenaufnahmen zusammengesammelt und nachträglich auf einen analogen
35-mm-Film kopiert hat. Darin verfolgt er den Verlauf der neuen
Schienenverbindung, die für den Güteraustausch zwischen China und Europa
gebaut wurde. Tatsächlich beruhen Kollings Daten aber auf einer
GPS-basierten Vermessung der Strecke und sind spekulativ. Der genaue und
vollständige Verlauf der Strecke ist ihm gar nicht bekannt, Gewissheit gibt
es nur über die wichtigsten Verkehrsknotenpunkte, Transportzeiten und
Grenzübergänge.
Dass Kollings projiziertes Material wenig konkret wirkt, hat also einen
realen Hintergrund. „Die vermeintliche Logik und Objektivität sind wie die
faktische Nüchternheit des Warenverkehrs bei genauerer Betrachtung aber
viel komplexer“, heißt es dazu im Ausstellungstext des Kunstvereins.
Tatsächlich sind die Bilder dieser Warenreise, die ebenso wie die
Ausstellung 16 Tage dauert, eine Abstraktion. Über die Bedingungen der in
Produktion, Handel und Transport involvierten Menschen vermag sie nichts
auszusagen.
Kollings Bilder stellen aber noch auf andere Weise eine Abstraktion dar:
Das Bild selbst kennt nur eine begradigte Strecke, die von
Schienentransportmitteln befahren wird – Himmelsrichtungen und Koordinaten,
an denen man sich orientieren könnte, sind aufgehoben. Nur eine einzige
Perspektive gibt es, eine Sicht von oben, in der ab und an ein Gebäude zu
erkennen ist; die Farbgebung wirkt reduziert.
Und so zieht Kollings Filminstallation ganz praktisch auch Parallelen
zwischen einem mechanisierten Transportwesen und dem Film als zunächst
mechanischem Registrationsverfahren, beide sind ganz schlicht: Mittel der
Erfassung der Welt. Nicht zuletzt zeigt Kolling so, dass die erfasste Welt
sich ändert: Der Ausstellungsort im Wartesaal des Harburger Bahnhofs
erinnert an eine Zeit, in der Europa das Zentrum kolonialer Warenströme
war. Heute verschiebt sich dieses Zentrum nach Osten.
„Paul Kolling: Break of Gauge“: bis So, 19. 7., Hamburg, Kunstverein
Harburger Bahnhof, www.kvhbf.de
11 Jul 2020
## AUTOREN
Radek Krolczyk
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