# taz.de -- Ein unsäglicher Ort | |
> Was kann man fotografieren, wenn nichts passiert? Ein Gespräch mit der | |
> Fotografin Sibylle Fendt darüber, wie für Geflüchtete im Holzbachtal die | |
> Zeit verstreicht | |
Bild: Schubkarre, Juni 2018 | |
Interview Mathias Königschulte | |
Viele von ihnen waren nach Deutschland gekommen, weil sie in der | |
Autoindustrie Arbeit finden wollten. Nun saßen die Männer im Schwarzwald | |
fest in einer abgelegenen Unterbringung, die sie nur mit Auflagen verlassen | |
durften, und warteten auf eine Aufenthaltserlaubnis. Über die Jahre ihres | |
Wartens erscheint in dieser Woche das Buch der Fotografin Sibylle Fendt mit | |
dem Titel „Holzbachtal, nothing, nothing“ (Kehrer Verlag). | |
taz am wochenende: Frau Fendt, was haben Sie im Holzbachtal gesucht? | |
Sibylle Fendt: Ich bin in der Nähe aufgewachsen. Die absurde Idee, eine | |
leer stehende Pension in der absoluten Pampa als Unterkunft für Geflüchtete | |
zu benutzen, die definitiv andere Bedürfnisse haben, als den deutschen | |
Laub- und Nadelwald kennenzulernen, fand ich spannend. Ich habe gehofft, | |
viele kuriose Porträts anfertigen zu können, in denen sich die Geflüchteten | |
durch diese urdeutsche Landschaft bewegen. | |
Aber? | |
Die Jungs bewegten sich gar nicht. Es gab den einen Blick auf den | |
gegenüberliegenden Wald, den ich immer wieder fotografierte, dieses | |
Draußen. Und dann gab es das Drinnen, die Jungs, wie sie in ihren | |
zugehängten Zimmern saßen. Nach einigen unbefriedigenden Versuchen, mit den | |
Männern Spaziergänge durch den Wald zu machen, habe ich beschlossen, das zu | |
fotografieren, was ist, nämlich das Rumhängen und Zeitverstreichenlassen. | |
Allein die Idee, einen Spaziergang zu machen, fanden die Männer schon | |
absurd! | |
Sicher haben sie nicht gerade darauf gewartet, von jemandem so beharrlich | |
fotografiert zu werden. Wie wurden Sie aufgenommen? | |
Ich glaube, ich war für die Bewohner in erster Linie eine willkommene | |
Abwechslung. Ich war der einzige Mensch, der nicht als Geflüchteter dort | |
Stunden und Tage verbracht hat, fast ohne Sinn und Zweck. Und der mit ihnen | |
Deutsch geredet, etwas vom Leben in Deutschland erzählt hat. Ich habe mich | |
gefreut, im Holzbachtal zu fotografieren. Die Männer fanden das wohl auch | |
in Ordnung. Komisch fanden sie mich natürlich trotzdem, und manchmal kam es | |
auch vor, dass sie keine Lust drauf hatten, schon wieder fotografiert zu | |
werden. | |
Sie sagten einmal, Sie wollten „keine Opfer zeigen“, nicht „den | |
Geretteten“, „den Wartenden“, „den Enttäuschten“ oder „den Dankbar… | |
alles würde in Porträts hineininterpretiert. Warum soll das bei Ihrer neuen | |
Arbeit anders sein? | |
Wenn man nur für wenige Stunden an einem Ort ist, der mit der eigenen | |
Lebensrealität wenig zu tun hat, kann man eigentlich nur Klischees | |
fotografieren. Oder eben irgendetwas, das man in die Menschen | |
hineininterpretieren möchte. Im Holzbachtal habe ich drei Jahre lang immer | |
wieder mehrere Tage am Stück verbracht. Vielleicht habe ich dadurch eine | |
gewisse Berechtigung erlangt, die Männer zu fotografieren und zu behaupten, | |
dass dies ein authentischer Blick ist. Trotzdem ist mir absolut bewusst, | |
wie viel uns voneinander trennt. Es wäre anmaßend, zu behaupten, dass ich | |
ihre Lebenssituation nachempfinden kann. | |
Oft geht der Blick eines Porträtierten an Ihnen vorbei. Als verweigere er | |
sich, für andere ein Bild abzugeben? | |
Ich habe wahnsinnig viele Bilder, auf denen der Porträtierte direkt in die | |
Kamera schaut. Oft berührt mich das Bild aber mehr, wo dies nicht der Fall | |
ist, weil er dann ganz bei sich und weniger bei mir ist. | |
Bei einem fotojournalistischen Bild ist manchmal nicht klar, ob der | |
Fotograf oder der Fotografierte bestimmt, wie das Bild gelesen wird. Ein | |
Mensch auf der Flucht, der ein Plakat in die Kamera hält, ist sich der | |
Wirkung des Bildes wohl bewusst. Er wird in dem Bild zu einem politischen | |
Akteur. Wie ist es hier? | |
In erster Linie möchte ich mit meiner Arbeit diesen unsäglichen Ort zeigen, | |
an dem Geflüchtete untergebracht sind und was das mit den Menschen macht. | |
Ich zeige damit vor allem auch ein deutsches System, das das in Kauf nimmt. | |
Gleichzeitig habe ich Protagonisten, die zulassen, dass ich ein bisschen in | |
sie hineinschauen darf, und das berührt mich sehr. | |
Die sogenannte Flüchtlingskrise führte 2015 auch zu einer gewaltigen | |
Produktion von Bildern, die Menschen auf ihrer Flucht zeigen. Sie haben | |
diese Bilder kritisiert, weil sie dazu beitragen würden, öffentliche | |
Erregungszustände noch zu befeuern. | |
Fotografie hat die Option, reißerisch zu sein. Es gibt immer Fotografen, | |
die genau das an der Fotografie interessiert und die an die Kraft dieser | |
Bilder glauben. Ich käme mir immer noch wie ein Dieb vor, aber das sind wir | |
wahrscheinlich so oder so. Diebe mit Verantwortung. Das Fatale ist ja, dass | |
im Moment selbst die tragischsten Bilder aus brennenden Flüchtlingscamps | |
gefühlt gar keine Wirkung mehr zeigen, da wir alle mit unserer Coronakrise | |
voll gesättigt sind. | |
Sibylle Fendt ist Verwaltungsprofessorin an der Hochschule Hannover im | |
Studiengang Dokumentarfotografie und Fotojournalismus und Mitglied der | |
Agentur Ostkreuz. | |
4 Jul 2020 | |
## AUTOREN | |
Mathias Königschulte | |
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