# taz.de -- Große Gefühle im Pop-up-Modus | |
> In der Tradition berühmter Kulturmissionare: Pascual Jordan und das | |
> Projekt „Schönheit gegen Gewalt“ mit Monteverdi-Oper im Regenbogenkiez | |
Bild: So war das bei der „Schönheit gegen Gewalt“ im Sommer 2019 | |
Von Christopher Suss | |
Mit der Vision, der Pascual Jordan in seinem Projekt „Schönheit gegen | |
Gewalt“ nachgeht, steht er in der Tradition berühmter Kulturmissionare. | |
Einer davon ist fiktiv, heißt Brian Sweeney Fitzgerald und hievt in Werner | |
Herzogs „Fitzcarraldo“ einen Flussdampfer über einen Berg, um im Amazonas | |
eine Oper zu bauen. | |
Ein anderer, Christoph Schlingensief, kämpfte bis zu seinem frühen Tod für | |
eine Oper in Burkina Faso. In Schöneberg mag aus Sicht von Berlinern das | |
Abenteuer ferner Länder fehlen, aber die Mission bleibt dieselbe: Menschen | |
unterschiedlicher Kulturen und Prägungen unter dem sprichwörtlichen Dach | |
des Musiktheaters zusammenzubringen. | |
Der Bürgerplatz, wo sich Fugger- und Eisenacher Straße treffen, wurde im | |
nächtlichen Regenbogenkiez immer wieder zum Brennpunkt von Gewalt- und | |
Drogenkriminalität. Um dem zu entgegnen, wird der Bezirk dort sogar künftig | |
– nach Amsterdamer Vorbild – einen sogenannten Nachtbürgermeister | |
einsetzen. | |
Den stellt ein Team des queeren Antigewaltprojekts Maneo, um den Dialog im | |
Kiez zwischen Anwohner:innen, Tourist:innen und | |
Frequentierer:innen zu verbessern. Es braucht nicht viel Fantasie, um | |
sich vorzustellen, dass dieser Dialog schwierig ist, wenn die Interessen so | |
unterschiedlich gelagert sind: Nachts mit offenem Fenstern schlafen, noch | |
einen Absacker im Bulls trinken oder einen letzten Freier auftreiben zu | |
wollen, das ist nicht immer vereinbar. | |
Am selben Ort entstand daher vor drei Jahren „Schönheit gegen Gewalt“, eine | |
Kooperation des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg mit der Stiftung Forum der | |
Kulturen zu Fragen der Zeit, Professor Rudolf zur Lippe und Pascual Jordan. | |
Seitdem werden im Juli am Bürgerplatz barocke Arien aufgeführt. Nicht nur, | |
um dem Platz eine bessere Presse zu verschaffen, sondern auch, um Raum zur | |
Begegnung zu bieten. | |
Jordan, der seine Werkstattgalerie seit über zehn Jahren an der Ecke | |
betreibt und mit ihr gerade innerhalb des Hauses umzieht, kennt den | |
Regenbogenkiez gut. Für ihn geht es bei „Schönheit gegen Gewalt“ um | |
zufällige Begegnungen und große Grundgefühle. Aus dem „gemeinsamen Erleben… | |
soll „eine soziale Skulptur entstehen“, so der Galerist. Aufgeführt wird | |
dieses Jahr Monteverdis letzte Oper „L’incoronazione di Poppea“ („Die | |
Krönung der Poppea“). | |
Schon zu Beginn des Librettos, wenn der römische Kaiser Nero und dessen | |
Geliebte Poppea eine Reihe von Ereignissen auslösen, die schließlich zur | |
kaiserlichen Krönung Poppeas führen, wird das allegorische Thema | |
ausgedrückt. Im Disput mit Virtù, der Tugend, und Fortuna, dem Schicksal, | |
schwört Amor, die Liebe, dass er es ist, der den Lauf der Welt bestimmt. Er | |
soll am Ende des dritten Akts recht behalten. | |
Es sind also in der Tat große Grundgefühle, die am 15. Juli über den Platz | |
schallen werden. Weil im vergangenen Jahr dazu mehr als 600 Besucher:innen | |
erschienen waren, muss diesmal die Straße gesperrt werden, um die | |
Einhaltung der derzeit wegen der Coronakrise geltenden Abstandsregeln | |
gewährleisten zu können. Zu Beginn der Krise, sagt Jordan, sei die | |
Situation der Veranstaltung völlig offen gewesen. | |
Schnell sei aber klar geworden, dass grundlegende Änderungen nötig seien – | |
anders wäre die Aufführung, wie viele andere Veranstaltungen in diesem | |
Sommer, nicht zu verantworten gewesen. Der Orchestergraben wurde hinter die | |
Bühne verschoben, die Bezirksbürgermeisterin sendete Briefe an die | |
unmittelbaren Anwohner, in denen sie dazu aufruft, ihre Balkone zu | |
Open-Air-Logen umzufunktionieren und Kerzen anzuzünden. Das dürfte den | |
Pop-up-Charakter des Events noch einmal verstärken. | |
An der Aufführung wirkt ein internationales Team mit, die Musiker kommen | |
aus Israel, Spanien, Kanada, Deutschland. Die musikalische Leitung | |
übernimmt Thomas de Vries vom Hessischen Staatstheater Wiesbaden, die Regie | |
Pascual Jordan. Für ihn ist es auch das erste Mal, dass er „Schönheit gegen | |
Gewalt“ ohne Mitinitiator Rudolf zur Lippe ausrichtet, der im September | |
vergangenen Jahres verstorben ist. Dieses Jahr wird die „Krönung der | |
Poppea“ also auch in seinem Andenken aufgeführt werden. Er war ab 1974 | |
Inhaber des Lehrstuhls für Ästhetik an der Universität Oldenburg. | |
„L’incoronazione di Poppea“: Bürgerplatz, Fuggerstraße Ecke Eisenacher | |
Straße, 15. Juli, 20 Uhr. Am 14. Juli findet eine öffentliche Generalprobe | |
statt. Der Eintritt ist jeweils frei. Aufgrund der aktuellen Beschränkungen | |
ist eine Anmeldung per [1][E-Mail an das Projekt „Schönheit gegen Gewalt]“ | |
erforderlich. | |
11 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://ba-ts.berlin.de | |
## AUTOREN | |
Christopher Suss | |
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