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# taz.de -- Coronazeit istPetitionenzeit
> In Zeiten starker Politisierung wächst auch der Wunsch nach Teilhabe. Die
> Covid-19-Epidemie hat dieses Phänomen verstärkt
Bild: Black-Lives-Matter- Proteste, digital
Von Felix Lorber
Wer sich online auf die Suche nach einem gesellschaftlichen Stimmungsbild
der Coronazeit begibt, könnte sich früher oder später auf einer
Petitionsplattform wiederfinden. Nahezu alle Töne sind hier vertreten, von
Wut über Unverständnis bis hin zu Zweifeln und Selbstkritik: Während die
einen für eine Öffnung der Schwimmbäder plädieren, wollen andere mal wieder
ins Fitnessstudio. Eltern sorgen sich um die Gesundheit ihrer Kinder,
nachdem diese wochenlang keinen Kontakt zu Gleichaltrigen hatten. Andere
wiederum haben Angst davor, ihren Nachwuchs in Betreuung zu geben. Etliche
Schüler*innen kämpfen um ihre Abschlussnoten und manch Verwirrte wähnen
sich in einer Diktatur.
Der Diskurs, der sich in den Foren abbildet, bewegt sehr viele Menschen: So
fordern beispielsweise über 170.000 Menschen auf der Petitionsplattform des
Bundestages wegen Corona die Einführung eines bedingungslosen
Grundeinkommens. Auf der freien Plattform openPetition verlangt eine der
größten während der Coronakrise gestarteten Petitionen, „Zwangsimpfungen
gesetzlich [zu] untersagen“, fast 280.000 Unterschriften wurden hier seit
Anfang April abgegeben. Eine andere private Plattform, change.org, hat gar
eine eigene Themenseite erstellt, auf der Petitionen mit Coronabezug
gebündelt sind.
Ist die Coronazeit also Petitionenzeit? „Onlinepetitionen wurden besonders
in der Zeit des Lockdowns so relevant, weil sie das einzige demokratische
Instrument waren, an dem sich mehrere Menschen beteiligen und austauschen
konnten“, erklärt eine Sprecherin von openPetition auf Anfrage der taz.
Mehr Menschen würden mehr Petitionen erstellen, die Diskussionen seien
kontroverser, es würden mehr Unterschriften gesammelt. Auch bei change.org
freut man sich über einen Anstieg von Petitionen, wobei sich die
gestarteten Themen sichtbar verändert hätten: Fanden sich Petitionen aus
dem Bereich Gesundheit im vergangenen Jahr noch auf Platz sechs der
wichtigsten Themen, belegen sie in diesem Jahr bislang den ersten Rang.
„In Zeiten von Politisierung suchen Menschen nach sämtlichen Formen
politischer Beteiligung. Petitionen spielen hier eine große Rolle“, erklärt
der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer. Er forscht am Berliner
Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft und untersucht die
Nutzung von Petitionsplattformen im internationalen Vergleich. Vor allem in
Deutschland und in den angloamerikanischen Gesellschaften seien Petitionen
und Unterschriftensammlungen äußerst beliebt, sagt er. „Sie gehören zu den
populärsten Arten von politischer Beteiligung überhaupt.“
Die Petitionen spiegeln auch tagespolitische Auseinandersetzungen wider. So
verzeichnete change.org mit 2.500 gestarteten Petitionen im März zwar einen
neuen Rekord; betrachtet man aber die Tagesstatistik, sind große
Unterschiede zu erkennen: An manchen Tagen im März sind es 15 oder mehr, an
anderen unter fünf. An einzelnen Tagen scheinen die Mitzeichnungen zu
explodieren, kurz darauf betragen sie wieder nur einen Bruchteil. Auch
openPetition verzeichnete seinen bisherigen Tagesbestwert mit 65
gestarteten Petitionen am 19. März – einen Tag nachdem Bundeskanzlerin
Angela Merkel per Fernsehansprache mit Bezug auf die Coronakrise von der
„größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg“ sprach.
Im Langzeitverlauf sei das Petitionsaufkommen relativ stabil, sagt Martin
Emmer. Er schränkt ein: „Bei aller Freude über einen Anstieg von
Partizipation muss man immer im Blick behalten, dass digitale
Spaltungsphänomene eine Rolle spielen.“ Wer sich ganz selbstverständlich im
Internet bewege, dem falle es deutlich leichter, an Onlinepetitionen
mitzuwirken, andere täten sich da schwerer. Der Erfolg einer Onlinepetition
hängt Emmer zufolge auch davon ab, wie gut es gelingt, digital stark
vernetzte Personen als Unterstützer*innen zu gewinnen. Teilen diese das
Anliegen in ihren sozialen Kanälen, setze sich die Dynamik fort und eine
große Unterschriftenzahl wird wahrscheinlicher.
NachCorona bewegt auch der Tod von George Floyd in den USA viele Menschen:
Online haben weltweit 17 Millionen eine Petition „Gerechtigkeit für George
Floyd“ auf change.org unterschrieben. In Deutschland findet der Protest
bislang vor allem offline statt: Mehrere zehntausend Menschen gingen unter
dem Motto „Black Lives Matter“ gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die
Straße.
20 Jun 2020
## AUTOREN
Felix Lorber
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