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# taz.de -- Vergiftete Bilder
> Das als liberal geltende Hollywood hat das Thema Sklaverei jahrzehntelang
> ignoriert, so als wolle man das reaktionäre Südstaatenbild aus dem 1939
> gedrehten Epos „Vom Winde verweht“ nicht antasten. Jetzt aber ist auch
> dieser Klassiker ins Visier der Rassismus-Kritiker geraten. Bloß
> Symbolpolitik?
Bild: Heutiger Rückblick in „The Birth of a Nation“ (2016) mit Aunjanue El…
Von Rupert Koppold↓
„Was auch immer in den nächsten Tagen gesagt werden wird: Dies war keine
Attacke gegen die Historie. Dies ist Historie. Es ist einer dieser raren
historischen Momente, deren Erscheinen bedeutet, dass die Dinge nie mehr
zurückkehren können zu dem, wie es mal war.“ (Der schwarze Kolumnist David
Olusoga am 8. Juni 2020 im „Guardian“ über das Denkmal des Sklavenhändlers
Edward Colston in Bristol, dessen Fall eine Kettenreaktion in Gang setzte.)
Die Statuen der Sklavenhändler und -halter werden gestürzt, und sogar das
größte Monument der Kinogeschichte ist ins Wanken geraten: Der
Streamingdienst HBO Max hat den Film „Vom Winde verweht“ von seiner
Plattform entfernt. Dieses Epos von der Plantagenbesitzerin Scarlett O’Hara
und der Niederlage der Südstaaten im Bürgerkrieg solle, so ein
HBO-Sprecher, erst später und mit Erläuterungen zum historischen Kontext
wieder abrufbar sein. „Diese rassistischen Darstellungen waren damals
falsch und sind es auch heute noch, und wir waren der Meinung, dass es
unverantwortlich wäre, diesen Titel ohne eine Erklärung und eine
Anprangerung dieser Darstellungen im Programm zu behalten.“ Der
Originalfilm solle allerdings nicht bearbeitet werden, so der HBO-Sprecher.
Trotzdem geht diese Maßnahme manchen zu weit, es handle sich um Zensur und
sie treffe überdies „die Falschen“, so etwa die „Stuttgarter Zeitung“ …
ihrem Leitartikel vom 13. Juni. „Vom Winde verweht“ sei zwar rassistisch,
aber „die allermeisten Zuschauer haben in diesem Film seit nunmehr über 80
Jahren eben keine Grundlage für ihre rassistische Weltanschauung gesehen,
sondern schlicht eine hochdramatische Liebesgeschichte.“ Dass sich in
diesem Satz das Possessivpronomen „ihre“ nur auf die „allermeisten
Zuschauer“ beziehen kann, so dass diese also von vornherein Rassisten
wären, das mag nicht so intendiert gewesen sein, ist vielleicht nur eine
sprachliche Unachtsamkeit. Aber dass Zuschauer über den Rassismus des Films
hinwegsehen und auch hinwegsehen dürfen, das ist schon so gemeint. Es wird
auch deutlich formuliert: „Man sollte nicht den Film oder die Geschichte
anprangern“, sondern „die Diskriminierung und Ausbeutung selbst“.
## Mitchells rassistischer Superspreader
Aber dieser Film, von dessen Premiere 1939 in jenem Atlanta, in dem gerade
wieder ein Schwarzer hinterrücks von der Polizei erschossen wurde, die
schwarzen Darsteller ausgeschlossen waren, dieser Film ist nicht zu trennen
von einer Geschichte der „Diskriminierung und Ausbeutung“. Er gehört zu ihr
dazu, er ist auch nicht nur ein Symbol, sondern eine Waffe und ein
rassistischer Superspreader, der nach wie vor die Köpfe verseucht. Selbst
wenn man „Vom Winde verweht“ lange Zeit (und so weit weg von den Plantagen)
nur oder vor allem als Liebesgeschichte gesehen hat oder so sehen wollte –
und da ist durchaus Selbstkritik angebracht! –, dann ist das in diesen
Tagen nicht mehr möglich. Wobei es auch im Rückblick seltsam wirkt, dass
wir etwa bei jener Sequenz, in der sich geschlagene „Kavaliere“ des Südens
nachts zusammenrotten und übergriffiges schwarzes „Gesindel“ überfallen u…
töten, nicht aufgeschrien haben. In der Romanvorlage von Margaret Mitchell
wird der Ku Klux Klan als „tragische Notwendigkeit“ bezeichnet.
Waren wir blöde, waren wir blind, waren wir, indem wir uns einem
Perspektivwechsel verweigerten, selber Rassisten? Und wie ist es zu
erklären, dass sogar noch heute, nämlich am 14. Januar 2020, ein Rezensent
der „Neuen Zürcher Zeitung“ anlässlich der Neuübersetzung des Romans üb…
die Autorin schreibt: „Obwohl sie mit schwarzen Identifikationsfiguren
wie Mammy oder Uncle Peter zur Verniedlichung neigt, wird man ihrem Roman
generell Rassismus nicht vorwerfen können.“ Dieser Rezensent, der den Roman
überschwänglich lobt und zur Weltliteratur zählt, bemängelt bei der
Neuübersetzung nur, dass der Text „geglättet“ wurde und Wörter wie „Ne…
oder „Nigger“ bloß noch in direkter Rede vorkommen. In Mitchells
Originaltext hätte er Bezeichnungen wie „schwarze Affen“ gefunden, da wird
auch der lüsterne Schwarze, der Scarlett angreift, als „gedrungener
schwarzer Neger mit Schultern und Brust wie die eines Gorillas“
beschrieben, und selbst die „gute“, weil Scarlett und Co. liebende
Haushälterin Mammy blickt auf die zerstörten Felder „mit der
nichtverstehenden Traurigkeit eines Affengesichts“.
Mitchell habe ihre wichtigsten schwarzen Charaktere, so 1999 die
Zeitschrift „The Atlantic“ zur Adaption des Romans für den Film, als
„zufrieden mit der Sklaverei“ und „nicht an Freiheit interessiert“
beschrieben. „Sie schienen oft eher Haustiere als Menschen zu sein.“ Der
Film mag die Vorlage an der Oberfläche abmildern, grundsätzlich aber
übernimmt er deren Sichtweise. Auch er zeigt Mammy nach dem Bürgerkrieg
weiter als grenzenlos loyal gegenüber ihrer weißen Herrschaft, und in der
oben beschriebenen „Rächer“-Sequenz ist sie sogar Helferin und somit
Mittäterin einer mörderischen Südstaaten-Clique. „Vom Winde verweht“
schenkte dem Herrenmensch-Süden gewissermaßen „seine“ Geschichte zurück.
Buch und Film waren so etwas wie der Versuch, die Kluft zwischen dem Norden
und dem Süden zu überbrücken – auf Kosten der Schwarzen.
## Griffiths Bild vom „treuen Neger“
Ähnlichen Brückenbau betrieb schon vorher ein ebenfalls extrem
erfolgreiches und wie „Vom Winde verweht“ das Bild vom amerikanischen Süden
prägendes Epos. Es trägt die Utopie von der Bildung einer neuen Einheit
schon im Titel: „Die Geburt einer Nation – The Birth of a Nation“. Der im
Jahre 1915 von D. W. Griffith gedrehte Film beginnt mit dem Besuch von
Nordstaatlern auf einer Plantage in South-Carolina. Wieder werden
zufriedene Sklaven gezeigt, die nach des Tages Arbeit ausgelassen für die
Gäste tanzen. Dann zerbricht die Freundschaft zwischen der Nord- und der
Südstaatenfamilie durch den Bürgerkrieg. Nach der Kapitulation wird der
Süden vom Norden unterdrückt, die Schwarzen übernehmen teilweise die Macht
und missbrauchen sie, der Ku Klux Klan wird gegründet und „wehrt“ sich, es
kommt zum Kampf gegen Schwarze und Mulatten, bei dem sich Nord- und
Südstaatler versöhnen. Die vergifteten Bilder des Films rechtfertigen nicht
nur die Rassentrennung, sie führten nach Meinung von Historikern auch zum
Wiedererstarken des Ku Klux Klan und zu Lynchmorden.
„The Birth of a Nation“ gilt in der Filmhistorie als innovatives
Meisterwerk, die rassistische Ideologie wird oft unterschlagen oder als
nebensächlich abgetan. Wobei man, so wie die Schwarzen beschrieben werden,
eigentlich gar nicht daneben schauen kann: Sie sind minderwertig,
intrigant, anmaßend, mörderisch, triebhaft, geil, doof, naiv, verschlagen
oder versoffen. In seinem Denunziationswillen reicht Griffiths Machwerk an
antisemitische Nazi-Propagandafilme heran. Auch von Zeitgenossen des
Regisseurs wurde „The Birth of a Nation“ kritisiert, der „New York Globe�…
etwa attackierte ihn unter dem Titel „Den Rassenhass zu Geld machen“.
Griffith aber bestand darauf, alles objektiv wiedergegeben zu haben, und
zeigte in seiner „Widerlegung“ des Rassismusvorwurfs, wie ihm das
Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß am liebsten gewesen wäre. Sein Film
widme „jenen treuen Negern besondere Aufmerksamkeit, die bei ihren früheren
Herren geblieben sind und bereit waren, zum Schutz ihrer weißen Freunde ihr
Leben zu lassen“.
## Antworten schwarzer RegisseurInnen
Als der schwarze Regisseur Spike Lee („Malcolm X“) an der New Yorker
Filmhochschule studierte, wurde dort noch immer „The Birth of a Nation“
vorgeführt, ohne dass auf dessen rassistische Botschaft eingegangen wurde.
Der empörte Lee drehte als Reaktion darauf den Kurzfilm „The Answer“
(1980), der wiederum seine Professoren so empörte, dass Lee beinahe von der
Hochschule flog. Im Jahr 2018 startete dann Lees Spielfilm „BlacKkKlansman“
in den Kinos, in dem der Regisseur den wahren Fall eines schwarzen
Polizisten erzählt, der in den 1970er-Jahren den Ku Klux Klan infiltrieren
konnte. Spike Lee spielt dabei direkt auf „The Birth of a Nation“ und „Vom
Winde verweht“ an, beide Filme sind für ihn keine erledigten Fälle, sondern
immer noch wirkmächtig. Der Kritiker Travis Bean schreibt dann auch am 10.
Juni 2020 (in „Forbes“), also unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse,
dass man Filme wie „BlacKkKlansman“ immer brauchen werde, um solche wie
„The Birth of a Nation“ oder „Vom Winde verweht“ zu bekämpfen: „Diese
Filme sind immer noch Leuchtfeuer der Hoffnung für Rassisten von heute.“
Nach „Vom Winde verweht“ hat Hollywood das Thema Sklaverei in Amerika
jahrzehntelang kaum mehr angerührt, so als sei dieser Film das letzte Wort.
Erst in den letzten zehn Jahren drängen meist von schwarzen RegisseurInnen
gedrehte Filme über diesen ignorierten, verdrängten oder verbrämten Teil
der Geschichte in die Kinos. Oft Filme über historische Personen wie Steve
McQueens „Twelve Years a Slave“ (2013), in dem der freie Schwarze Salomon
Northrup (Chiwetel Ejiofor) gekidnappt und in Ketten gelegt wird; oder
Filme wie Kasi Lemmons’ „Harriet – Der Weg in die Freiheit“ (2019), in …
die Geschichte der entkommenen Sklavin Harriet Tubman (Cynthia Erivo)
nachgezeichnet wird, die später die sogenannte Underground Railroad
mitorganisiert und LeidensgenossInnen bei der Flucht hilft. Oder Filme wie
„The Birth of a Nation“ (2016) von Nate Parker, der in bewusster Ironie den
Griffith-Titel übernimmt, dessen Geschichte aber überschreiben will.
Der Regisseur Parker spielt selbst den Sklaven Nat Turner, der 1831 einen
Aufstand gegen die weißen Herren anführt. So gewalttätig sein Film auch
ist: Er versteht sich als „ehrliche Konfrontation“, so Parker, er wolle die
Gesellschaft „zur Heilung und zu einem nachhaltigen Systemwechsel“ führen.
Bitterböse Pointe: Der Film galt als Oscarkandidat, wurde aber boykottiert,
als Zeitungen einen Fall aus dem Jahr 1999 wieder aufgriffen. Damals wurde
Parker vorgeworfen, an der Uni eine weiße Kommilitonin vergewaltigt zu
haben. Er selber sprach von Sex in gegenseitigem Einvernehmen und wurde
freigesprochen, was seinen Film aber siebzehn Jahre später nicht retten
konnte.
## Sklaverei ist in den USA immer noch virulent
Zurück zu „Vom Winde verweht“: Die Mammy-Darstellerin Hattie McDaniel, die
als erste Schwarze einen Oscar erhielt, bei der Verleihungszeremonie aber
separat von ihren weißen KollegInnen sitzen musste, wurde von der National
Association for the Advancement of Colored People wegen ihrer
stereotypen Rolle kritisiert. Sie antwortete, es sei für sie besser, eine
schwarze Dienerin zu spielen, als eine zu sein. In Ryan Murphys neuer
TV-Serie „Hollywood“ (zu sehen bei Netflix), die mit teilweise realen
Figuren wie Rock Hudson eine fiktive Geschichte aus den späten
1940er-Jahren erzählt, tritt auch die vom Hip-Hop-Star Queen Latifa
gespielte Hattie McDaniel auf. Sie erlebt hier, wie eine schwarze
Schauspielerin den Oscar für die beste Hauptrolle gewinnt und von allen
gefeiert wird, was in der Serie den Sieg gegen den Rassismus bedeutet.
Auch „Hollywood“ ist der Versuch einer Überschreibung. Die bösen alten
Bilder und Geschichten werden in dieser Serie quasi weggefilmt und ersetzt
durch Bilder und Geschichten, die es so zwar nicht gab, die es so aber
hätte geben sollen. Die fulminanteste Überschreibung des Films „Vom Winde
verweht“ hat Quentin Tarantino gedreht. In „Django unchained“ (2012) malt
er mit böser Lust das (Selbst-)Bild des gebildet-kultivierten Südstaatlers
um und führt die Fratze eines stutzerhaften „Gentleman“ in Samt und Seide
vor, der auf seiner Plantage Candieland mit sadistischem Lächeln Wettspiele
begutachtet, bei denen sich seine Sklaven bis auf den Tod bekämpfen.
Candieland ist das Gegenbild zu Tara aus „Vom Winde verweht“. Und
Candieland wird schließlich, in einem blutigen Finale, vom Ex-Sklaven
Django (Jamie Foxx) gestürzt und den Flammen übergeben.
Ein Nachtrag: Präsident Lincoln hat, wie auch in Steven Spielbergs
gleichnamigem Film von 2012 zu sehen, im letzten Bürgerkriegsjahr 1865
durch den 13. Zusatzartikel zur Verfassung die Sklaverei für immer
verboten. Die schwarze Regisseurin Ava DuVernay („Selma“) demonstriert
aber in ihrer aufwühlenden Dokumentation „13th – Der 13.“ (bei Netflix zu
sehen), dass dieser Verfassungszusatz ein Schlupfloch bietet. Nein, da ist
noch nichts befriedet. Vom Verbot der Sklaverei und der Zwangsarbeit
ausgenommen sind nämlich verurteilte Kriminelle. Und weil ein Viertel aller
Gefangenen der Welt in US-Gefängnissen eingekerkert ist (und dort
überproportional Schwarze), und weil diese Gefängnisse großteils privat und
mit durch Zwangsarbeit erwirtschaftetem Profit betrieben werden, brennt da
noch etwas. Die Sklaverei in den USA ist nicht historisch geworden, sondern
immer noch virulent.
20 Jun 2020
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