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# taz.de -- Den Eisbären aufblasen
> Neue Dringlichkeit: Die jungen Schauspieler*innen des Theaters an der
> Parkaue streamten die Premiere von „We for Future“ live und ließen keinen
> Zweifel aufkommen: Eine andere Welt wäre möglich
Bild: Theater in Konferenzschaltung
Von Annika Glunz
„Danke, dass Sie da gewesen wären. Danke, dass Sie Interesse gehabt hätten
am Klimawandel. Und danke für etwas, das gar nicht stattgefunden hat:
unsere Begegnung“.
Die acht jungen Schauspieler*innen des Theaters an der Parkaue senden
die Premiere von „We for Future“ als Videokonferenzschaltung in einem
Livestream jeweils von zu Hause aus und zunächst einmal im Konjunktiv.
Traurig darüber, dass sie aufgrund der Coronabeschränkungen weder in den
letzten Wochen wie gewohnt proben konnten noch jetzt vor Publikum aufführen
können, scheinen Lara Bendler, Jule Cichon, Luzie Priegann, Noa Seba,
Djetou Sinka, Lila Steinmann, Lilja Veigel und Willem Vorbau ihr geplantes
Stück über den Klimawandel zunächst verwerfen zu wollen: Sie haben Zweifel,
ob es möglich ist, ein Theaterstück über einen Stream zu transportieren.
Als Zuschauende wird man direkt angesprochen und, so scheint es,
unmittelbar in die Debatten einbezogen, die sich auf dem Bildschirm
abspielen.
Nun aber zur Sache: Thema des Stückes sollte schließlich der Klimawandel
sein. „Das mit dem Klimawandel und der Welt ist, als würde das Haus
brennen. Die Kinder rufen: ‚Es brennt!‘, und die Erwachsenen starren auf
das brennende Haus und tun nichts“, zitieren die Jugendlichen Greta
Thunberg, und weiter: „Die Welt hat noch zehn Jahre, aber sie bereitet sich
nicht darauf vor!“
Was gibt es also zu tun? Sofort sprudelt es aus den Jugendlichen heraus:
Plastik, CO2-Fußabdruck, Waldbrände und Abholzung von Wäldern, Palmöl,
Eisschmelze, Ernährung. Das Thema ist ein Fass ohne Boden, da sind sich
alle einig. Dennoch oder gerade deswegen sparen sie nicht mit Fakten:
„320.000 To-go-Becher werden pro Stunde in Deutschland benutzt, 500
Millionen Strohhalme pro Tag in Amerika, eine Plastikflasche braucht 450
Jahre, um sich abzubauen, die Kinder von morgen werden auf den
vollgeschissenen Windeln ihrer Großeltern sitzen“, berichtet Noa.
Man habe zudem herausgefunden, dass der Mensch jeden Tag eine Kreditkarte
Plastik esse und trinke. Im Anschluss werden die fiktive Person Helga und
mit ihr auch Zuschauende und Schauspieler*innen selbst einem
CO2-Fußabdruck-Test unterzogen mit dem Ergebnis, dass wir alle aufgrund
unseres Lebensstils mindestens zwei bis drei Erden bräuchten. „Dafür, dass
wir sonntags unser Nutella-Brötchen essen können, wird der Regenwald
abgeholzt, unsere Lunge!“, ruft Lilja in einer von dramatischer Musik
untermalten Rede, „Palmöl ist in fast jeder Schokolade, in Waschmittel, in
Duschgel, in Fertigprodukten, überall!“
„Überall auf der Welt brennen die Wälder, selbst in der Arktis. 2050 könnte
die Arktis bereits eisfrei sein, wenn wir unseren CO2-Verbrauch nicht
massiv reduzieren. Die Leute reisen mit Kreuzfahrtschiffen dorthin, um die
Arktis noch zu erleben“, berichtet Willem. „Wusstet ihr, dass auf jedem
Kreuzfahrtschiff, das nicht fährt, jeden Tag alle Wasserleitungen angemacht
werden, damit sie nicht verkeimen?“, fragt Lila.
Die Schauspieler*innen rattern die Fakten nicht einfach herunter, sondern
sind in lebendigem Austausch miteinander und mit dem virtuellen Publikum:
Sie blicken sich an oder reichen sich scheinbar von Bild zu Bild
Gegenstände weiter.
„Aber die Welt rennt immer noch zu Primark und kauft Tonnen von T-Shirts,
die wollen immer noch dicke Autos fahren und möglichst viel von der Welt
sehen. Die freuen sich immer noch über den Sommer und die Sonne: ‚Ich bin
eher der Typ, der es warm mag.‘ Die wollen eine Klimaanlage: ‚Sonst hält
man es ja in der Hitze gar nicht aus.‘ Und wenn wir davon reden, dann wollt
ihr davon nichts hören, dann wollt ihr wegklicken, weiterscrollen“, mahnen
alle acht synchron an. Damit mögen sie – was diese Tatsache betrifft –
sicherlich recht haben, jedoch schaffen es die Jugendlichen, eine solche
Emotionalität und Spannung in diesen Stream zu bringen, dass man nicht
wegklicken mag, sondern neugierig ist, wie es weitergeht.
Als Zuschauende gewinnt man zusehends den Eindruck, vor der Menge an
destruktiven Entwicklungen und düsteren Prognosen kapitulieren zu müssen.
Doch die Schauspieler*innen sind alles andere als resigniert: „Wir
brauchen Hoffnung. Es gibt schon so viele Ideen und so vieles, was
funktioniert! Stellt euch vor, alles, was wir für Corona gemacht haben,
würden wir für den Klimawandel tun. Es geht! 87 Prozent des Flugverkehrs
wurden gestrichen, Meetings werden über Video abgehalten, es gibt Kinder in
China, die haben das erste Mal den Himmel gesehen!“
Am Ende steht eine eindringliche, sehr rührende Botschaft: „Ob diese Krise
ein Ende oder ein Anfang ist, das liegt doch an uns. Es lohnt sich, dafür
zu kämpfen. Für jede Schneeflocke. Für jeden Eisbären. Ich will dem
Eisbären sagen, dass er leben wird und dass wir alle für ihn kämpfen.“
Im Abspann des Streams sieht man einen Eisbären, der mit einer Luftmaschine
aufgeblasen wird und sich langsam aufrichtet.
16 Jun 2020
## AUTOREN
Annika Glunz
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