# taz.de -- Berliner Polizeigesetz: Gegen den Bundestrend | |
> Rot-Rot-Grün stellt die Neufassung des Berliner Allgemeinen Sicherheits- | |
> und Ordnungsgesetzes vor. TKÜ zur Gefahrenabwehr kommt, Fußfessel vom | |
> Tisch. | |
Bild: Statt Standkamera in Zukunft Schulterkamera: Ob das was nützt? | |
Auch wenn das Bild arg strapaziert ist: Die Kuh ist vom Eis. Die | |
Verhandlungen um die Reform des Berliner Polizeigesetzes gehörten zu den | |
zähesten, die die rot-rot-grünen Koalitionspartner in dieser | |
Legislaturperiode geführt haben. Am Montag stellten Innensenator Andreas | |
Geisel (SPD) und die innenpolitischen Sprecher von SPD, Linken und Grünen | |
die neue Fassung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (kurz | |
ASOG) vor. | |
18 Punkte wurden im Polizeigesetz verändert, Streichungen und | |
Neueinführungen wie die von Bodycams für die Polizei und Feuerwehr | |
inklusive. Wenn alles glatt läuft, könnte das Gesetz Anfang 2021 in Kraft | |
treten. Alle Regierungsparteien haben Kompromisse gemacht. Die SPD hat sich | |
bei der Einführung der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) zur | |
Gefahrenabwehr durchgesetzt. Dafür konnten Linke und Grüne aber bei allen | |
anderen ihnen wichtigen Fragen punkten. | |
Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, sprach am Montag von | |
der dritten grundlegenden Reform des ASOG seit der Wende. 1992 wurden die | |
sogenannten Kriminalitätsbelasteten Orte (KBO) eingeführt. Sie ermöglichen | |
der Polizei, an diesen verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen. 2007 | |
wurde der Polizei die Datenerhebung im Zuge des Großen Lauschangriffs | |
erleichtert. | |
Die dritte Reform trägt nun die Handschrift eines linksliberalen | |
Regierungsbündnisses. Oder um mit dem innenpolitischen Sprecher der Linken, | |
Niklas Schrader, zu sprechen: Das Gesetz ist Ausdruck einer „rationalen | |
Innenpolitik“, die im Gegensatz zum bundesweiten Trend – also einer | |
Verschärfung – steht: Online-Durchsuchungen? Trojaner? Vorbeugehaft, | |
teilweise bis zu 14 Tagen, in Bayern sogar unbegrenzt? Nicht in Berlin. | |
In der Hauptstadt wird die Vorbeugehaft von vier Tagen auf 48 Stunden | |
verkürzt. Tatbestandsmerkmale wie „Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche | |
Strafvorschriften“ und „Prostitution“, die an KOBs zum Vorwand zur | |
Kontrolle von bestimmten Berufsgruppen sowie People of Color führen – | |
Racial Profiling genannt – werden aus dem ASOG gestrichen. Und auch das ist | |
neu: Der Senat muss dem Abgeordnetenhaus einmal im Jahr Bericht über die | |
KBOs erstatten. Wo sie sind und warum sie eingerichtet wurden. | |
Auch die Kennzeichnungspflicht für die Polizei wird nun im ASOG verankert. | |
Grundlage für die 2011 eingeführte Verpflichtung zum Tragen des Namens | |
oder einer Nummer an der Uniform war bisher eine einfache Dienstanweisung | |
des Polizeipräsidenten. Der Einsatz von V-Personen kann künftig nur noch | |
von der Polizeipräsidentin angeordnet werden und steht unter | |
Richtervorbehalt. | |
Auch die Entscheidung einer TKÜ zur Gefahrenabwehr darf nur die | |
Polizeiführung treffen und muss von einem Richter abgesegnet werden. Dazu | |
gehört, dass zur Vorbereitung der TKÜ auch eine Bestandsdatenauskunft oder | |
der Einsatz des sogenannten Imsi Catchers möglich ist. Für Linke und Grüne | |
ist das die einzige fette Kröte, die sie schlucken mussten. „Wir haben uns | |
überzeugen lassen“ – Lux formulierte es positiv. Man gehe davon aus, dass | |
die individuelle Funkzellenabfrage lediglich bei Anhaltspunkten einer | |
konkreten Gefahr erfolge. Was Linke und Grüne betonen: Die Praxis der TKÜ | |
wird evaluiert und das Gesetz tritt nach vier Jahren automatisch außer | |
Kraft. | |
Wichtig ist Grünen und Linken auch die Verankerung des Opferschutzes im | |
ASOG. Bei einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben muss die Polizei | |
potenzielle Opfer warnen. Bei der rechtsextremistischen Anschlagsserie in | |
Neukölln ist das im Fall des betroffenen Ferat Kocak zum Beispiel nicht | |
passiert. Gefährdete Personen können durch eine geänderte Identität | |
geschützt werden. Anwälte, Journalisten und Geistliche dürfen nicht | |
abgehört werden. | |
Breiten Raum bei der Pressekonferenz nahm das Thema Bodycams für Polizei | |
und Rettungskräfte ein. Es handelt sich dabei um einen Modellversuch, der | |
auf drei Jahre befristet ist und nach zwei Jahren evaluiert werden soll. | |
Die Kameras, die an den Schultern befestigt werden, sollen ab 2021 nach und | |
nach von der Polizei gekauft werden. Wo die Kameras eingesetzt werden, | |
entscheidet die Exekutive. | |
Die Dokumentation des Einsatzes soll der Eigensicherung der Beamten dienen. | |
Aber auch die Betroffenen von polizeilichen Maßnahmen sollen das | |
Einschalten der Kamera verlangen können. Bei Letzterem handelt es sich | |
wohlgemerkt um eine Soll-Vorschrift. Die Entscheidung liegt bei den | |
kameraführenden Beamten. „Soll heißen: Muss – wenn kann“, erklärte Fra… | |
Zimmermann, innenpolitischer Sprecher der SPD. Polizeiübergriffe werde es | |
auch nach Einführung der Kamera geben – was das angehe, mache er sich keine | |
Illusionen, sagt Lux. | |
Vom Tisch im Sinne von wegverhandelt haben Linke und Grüne folgende | |
Begehrlichkeiten der SPD: Stille SMS für Gefährder, Übersichtsaufnahmen bei | |
Großveranstaltungen, die Ausweitung der Videoüberwachung. Erst mal soll der | |
Ausgang des Rechtsstreits um das Volksbegehren für mehr Videoüberwachung | |
abgewartet werden. | |
Auch der finale Rettungsschuss ist weg und die elektronische Fußfessel zur | |
Aufenthaltsüberwachung von Gefährdern. Nachdem sich gezeigt habe, dass sich | |
mit der Fußfessel keine Taten verhindern ließen, „ist das kein | |
Riesenverlust“, räumte der Innensenator ein. | |
15 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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