# taz.de -- berlin viral: Auch das mit der Maske, ein geschlechterkonnotiertes … | |
Neulich war ich gerade mal 500 Meter und zehn Minuten von der Haustür | |
entfernt, als ich schon drei verschiedene Arten gelernt hatte, die | |
Mund-Nasen-Maske zu tragen: 1. fest unter den Unterkiefer gebunden (wie ein | |
Schönheitswerkzeug aus der Antike, um ein Doppelkinn zu therapieren), 2. | |
keck von einem Ohr baumelnd (praktisch, wenn man husten oder niesen muss, | |
dann kann man das Tuch einfach schnell mit einer Hand vors Gesicht halten) | |
oder, mein bisheriger Favorit, 3. in komprimierter Form als eine Art | |
Rotzfang unter die Nase geschnallt (der Mund muss freibleiben, Aerosole | |
stieben bekanntlich aus den Ohren). | |
So betreten die tapferen Masketiere alsdann Spätis, Pizzerien, | |
Blumengeschäfte, Weinhandlungen, Biolädchen, also all jene Orte, an denen | |
es heute das Grundgesetz zu verteidigen gilt als persönliche Freiheit des | |
Einzelnen, sich (und andere) anstecken zu dürfen. Dass sie dabei nicht | |
„guckt mal, ich trage eine Ma-ha-ske“ rufen, ist bemerkenswert. Auffällig, | |
wenn auch nicht überraschend ist dabei, dass mir dieses Verhalten in Mitte | |
viel häufiger begegnet als in Wedding. | |
Ich finde Cartoons im Internet meistens nicht so lustig, aber einer wird | |
mir immer wieder angezeigt, als gäbe es einen Algorithmus, der stummes | |
Lachen der Verzweiflung genau registriert. Darauf ist links ein Gesicht | |
gezeichnet, dessen Nase über den aufgesetzten Mund-Nasen-Schutz | |
herausschaut, rechts daneben eine Unterhose mit über dem Bund | |
herausbaumelndem Pimmel. | |
Natürlich ist das ein Witz von der eher simplen Sorte, aber mal ehrlich: | |
Was braucht’s denn noch, wo schon die im Namen „Mund-Nasen-Schutz“ | |
steckende Information so vielen verborgen zu bleiben scheint? | |
Ehrlicherweise, da hat der Cartoon leider recht, ist das oft ein | |
geschlechterkonnotiertes Problem. Neulich war ich beim Arzt, um ein Rezept | |
abzuholen. Ich wartete draußen – die Praxis hat den Wartebereich nach | |
draußen verlagert und Stühle aufgestellt –, bis die Arzthelferin, die nun | |
als Türsteherin fungiert, wieder herauskommen würde. Es war schon spät, | |
fast alle Plätze waren frei. Da kam aus der Praxis ein Mann, schaute links | |
und rechts auf die leeren Stühle, um sich dann mit zufriedenem Ächzen | |
direkt neben mich zu setzen, sich aufreizend langsam die Maske vom Gesicht | |
zu klauben und seeeehr tief auszuatmen. Das mag jetzt komisch klingen, aber | |
er hätte sich genauso gut die Hose runterziehen können, so fühlte sich das | |
an. | |
In stummer Überforderung setzte ich mich um, direkt neben den Eingang der | |
Praxis. Zeitgleich mit der Sprechstundenhilfe stand plötzlich eine Frau | |
neben mir, Typ Charlottenburger Bildungsbürgerwohlstand, sie wolle bitte in | |
die Sprechstunde, sie habe Unwohlsein und trockenen Husten und fühle sich | |
ganz krank. Die Arzthelferin blieb gelassen und erklärte sehr freundlich | |
den Weg zu einer bestimmten Bereitschaftspraxis, hier sei die Sprechstunde | |
schon vorbei und die Symptome sprächen ja jetzt auch eher für einen | |
direkten Test. Die Frau ging, merklich verstimmt, aber zielstrebig. | |
Eine halbe Stunde später sah ich sie wieder – in den Galeries Lafayette, | |
unten in der Gourmetabteilung. Ich kaufte Tee, sie bummelte durchs | |
Konfitürenregal. In mir wurde etwas sehr wütend. Gerade noch dringende | |
Coronasymptome, aber jetzt erst mal shoppen gehen, oder wie? Aber ich sagte | |
nichts. Ich mochte nicht Benimmpolizei spielen. Und womöglich deckte sie | |
sich gerade nur für die Quarantäne ein? Eins muss man ihr jedenfalls | |
lassen: Ihre Maske saß tadellos. Johanna Roth | |
30 May 2020 | |
## AUTOREN | |
Johanna Roth | |
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