# taz.de -- Cumartesi İnsanları protestieren weiter: Gegen das Verschwindenla… | |
> Laut dem Menschenrechtsverein İHD sind in der Türkei seit den Neunzigern | |
> 1.388 Menschen in Polizeigewahrsam verschwunden. Die Angehörigen fordern | |
> seit 25 Jahren Aufklärung. | |
Bild: Seit zwei Jahren treffen sich die Angehörigen der Verschwundenen in eine… | |
“Die Täter sind bekannt, aber wo sind die Verschwundenen?“ Mit dieser Frage | |
treffen sich [1][seit 25 Jahren jeden Samstag] um 12 Uhr auf dem | |
Galatasaray-Platz mitten in Istanbul die Cumartesi İnsanları (dt. | |
Samstagsmenschen, früher bekannt als Cumartesi Anneleri, dt. | |
Samstagsmütter): Angehörige von Personen, die in den 1990er Jahren in | |
Polizeigewahrsam verschwunden sind, sowie Aktivist*innen. Seit die Polizei | |
im August 2018 den 700. Protest der Samstagsmütter gewaltsam beendet hat, | |
ist der Galatasaray-Platz abgesperrt. | |
Damals wurden Vorsitzende, Mitglieder und Unterstützer*innen des Vereins | |
für Menschenrechte (İHD) gewaltsam festgenommen. Eine von ihnen ist Besna | |
Tosun, Angehörige eines Verschwundenen und Mitglied der Kommission des | |
Vereins, die sich mit dem Verbleib der Verschwundenen beschäftigt. “Wir | |
wurden fast 10 Stunden unter Bedingungen festgehalten, die Folter glichen“, | |
berichtet Tosun. | |
Sie erzählt, dass die Familien der Verschwundenen, Unterstützer*innen, | |
Menschenrechtsverteidiger*innen und Parlamentsabgeordnete an jenem Tag von | |
der Polizei mit Pfefferspray, Plastikgeschossen und Knüppeln angegriffen | |
worden seien. Einer Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft seitens der | |
Angehörigen der Verschwunden wurde trotz zahlreicher Beweise nicht | |
nachgegangen. | |
Seit nun fast zwei Jahren treffen sich die Angehörigen der Verschwundenen | |
in einer engen Nebenstraße des İstiklal-Boulevards vor dem Büro des Vereins | |
für Menschenrechte (İHD). Sie fordern, dass der Staat die Schuld am Tod in | |
Polizeigewahrsam anerkennt, den Verbleib der Verschwundenen darlegt und | |
ihre sterblichen Überreste den Angehörigen übergeben soll, damit | |
Gerechtigkeit erlangt werden kann. | |
Die Cumartesi İnsanları wollen eine Überarbeitung des türkischen | |
Strafgesetzes für den Strafbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit und | |
eine Aufhebung der Straffreiheit für Staatsbedienstete. Außerdem wollen sie | |
ihre samstäglichen Aktionen auf dem identitätsstiftenden Galatasaray-Platz | |
fortführen. | |
## Die Proteste finden in den sozialen Medien statt | |
Laut der Menschenrechtsanwältin und Vizevorsitzenden des İHD, Eren Keskin, | |
ist Verschleppung ein politisches Mittel, das in den 1990er Jahren | |
besonders extensiv benutzt wurde. Einem Bericht des Menschenrechtsvereins | |
İHD zufolge wurden in der Türkei seit den Neunzigern 1.388 Menschen in | |
Polizeigewahrsam verschwinden gelassen. Außerdem decke die heutige | |
Regierung noch immer die Akteure aus den 1990ern und verbiete auch | |
weiterhin die Versammlungen der Cumartesi İnsanları. “Der türkische Staat | |
weigert sich, die UN-Konvention gegen Verschwindenlassen (CPED) zu | |
unterschreiben. Das hängt damit zusammen, dass es sich dabei um ein | |
politisches Mittel handelt“, sagt Keskin. | |
Inzwischen nähert sich der 800. Samstag und der Protest der Cumartesi | |
İnsanları geht trotz der Verbote und der Pandemie weiter. Wegen des | |
Coronavirus finden die Proteste seit dem 21. März online statt. Zudem | |
organisieren die Angehörigen der Verschwundenen im Rahmen einer | |
Internationalen Aktionswoche gegen das Verschwinden in Polizeigewahrsam vom | |
17. bis zum 31. Mai symbolische Protestaktionen. | |
In einer gemeinsamen Erklärung kündigten die Cumartesi İnsanları und die | |
Verschwundenen-Kommission des İHD an, den Anweisungen der | |
Gesundheitsverbände folgen zu wollen. Weil sie die Familien, | |
Unterstützer*innen, Journalist*innen und auch die Polizei, die sie | |
festnehmen und misshandeln würde, vor der Gefahr einer Infektion mit dem | |
Virus schützen wollen, teilen sie ihre Presseerklärung nun samstags um 12 | |
Uhr über Twitter. Auch wenn die Angehörigen und Unterstützer*innen nicht | |
wie auf dem Platz beieinander sein können, ist es doch ein Trost, die | |
Erklärungen zu teilen und zu verbreiten. | |
Auch die Aktionswoche gegen das Verschwinden in Polizeigewahrsam findet | |
über die sozialen Netzwerke statt. Dort sind Reden und Proteste geplant, an | |
denen man symbolisch teilnehmen kann. Bis zum 31. Mai werden die Familien | |
der Verschwundenen und Unterstützer*innen mit Videos auf die in der Haft | |
Verschwundenen aufmerksam machen, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. So | |
wird diesen Samstag trotz der Verbote und der Pandemie zum 791. Mal die | |
Frage “Die Täter sind bekannt, aber wo sind die Verschwundenen?“ erklingen, | |
wenn auch diesmal nicht auf dem Galatasaray-Platz. | |
Aus dem Türkischen von Julia Lauenstein | |
23 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Beyza Kural | |
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