# taz.de -- Proteste wachsen nicht | |
> In Erfurt und anderen Städten demonstrierten wieder Hunderte gegen die | |
> Maßnahmen zur Coronabekämpfung. Aber die Teilnehmerzahlen blieben | |
> übersichtlich | |
Bild: Nur eine Standdemo gegen die Coronabeschränkungen war in Erfurt polizeil… | |
Von Luisa Kuhn | |
Der Erfurter Domplatz ist an diesem Samstag zweigeteilt: Während 155 | |
Grabsteine aus Pappkarton an die bis heute am Coronavirus Verstorbenen in | |
Thüringen erinnern, spielt die „GG-Band“ („Grundgesetz-Band“) für die | |
Gegner der Corona-Maßnahmen. | |
Rund 350 Spaziergänger*innen versammeln sich am Samstag wieder in der | |
Erfurter Innenstadt, um gegen die Coronabeschränkungen zu demonstrieren. | |
Für die Teilnahme mobilisieren auf Facebook und in Telegram-Gruppen | |
insbesondere die islamfeindliche Gruppe „Erfurt zeigt Gesicht“ sowie die | |
Kleinstgruppierung „Patriotischer Widerstand Deutschland“, dessen | |
Mitglieder am rechtsextremen Pegida-Ableger „Thügida“ beteiligt waren und | |
unter anderem Altkader der Partei „Die Rechte“ sind. Seit Anfang Mai rufen | |
sie wöchentlich sowohl samstags als auch montags – angelehnt „an die | |
Montagsdemonstrationen 1989“ in der DDR – zu sogenannten „Spaziergängen�… | |
durch die Erfurter Innenstadt auf. | |
Angemeldet wurde die Standkundgebung von der Protestbewegung „Widerstand | |
2020“. Während „Die Gedanken sind frei“ über den Domplatz tönt, werden | |
Liedtexte an die Teilnehmer*innen verteilt – regelmäßig unterbrochen durch | |
Durchsagen der Polizei, die zur Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen | |
mahnt und einen Spaziergang untersagt. Zwischen | |
Verschwörungsideolog*innen mit USA-Flagge, die zuvor schon mit | |
Reichsflaggen erschienen sind, und Aluhut-Halsketten stehen Neonazis sowie | |
AfD-Landtagsabgeordnete und -Stadträte. Nur wenige hundert Meter entfernt | |
hält das Erfurter Bündnis „Auf die Plätze“ eine Gegenkundgebung ab. Unter | |
dem Aufruf „Jede*r Tote ist zu viel – gegen die Nazi-Querfront“ wollen die | |
Aktivist*innen mit der Mahnwache und dem Aufstellen der Grabsteine aus | |
Pappkarton auf die reale Gefahr durch Covid-19 aufmerksam machen. | |
Seit Anfang Mai organisiert das Erfurter Bündnis Gegenkundgebungen parallel | |
zu den wöchentlich stattfindenden Spaziergängen. Durch die Aktion mit den | |
Grabsteinen solle der Gegenprotest eindrücklicher werden, erklärt Kathrin, | |
Aktivistin des Bündnisses. Gleichzeitig wollen sie auf die extrem rechte | |
Gesinnung vieler Spaziergänger*innen hinwiesen. „Viele Bürger*innen scheint | |
das jedoch nicht zu interessieren, dass sie mit Nazis durch die Stadt | |
laufen“, erzählt Kathrin. | |
Unterdessen verstummt der Gesang der „Hygiene-Demo“, die Band packt ein. | |
Etwa 100 Spaziergänger*innen ziehen nun trotz Verbot klatschend durch die | |
Innenstadt – bis sie einige Minuten später durch Polizeiketten aufgehalten | |
werden. Während AfD-Stadtrat Klaus-Dieter Kobold oberkörperfrei mit | |
Beamt*innen diskutiert (auf seiner nackten Brust die Aufschrift | |
„Reanimation NO“), filmen Marco M. und Ina B., Teil von „Erfurt zeigt | |
Gesicht“, die Polizeiblockade live für ihren Facebook-Kanal. M. posiert auf | |
seinem Facebook-Profil mit Stephan Brandner und Björn Höcke und postet | |
nationalsozialistische Inhalte. Vor allem „Erfurt zeigt Gesicht“ hätte sich | |
die Proteste hier unter den Nagel gerissen, sagt Aktivist Marvin. | |
Insgesamt werden am Samstag vier Anzeigen aufgrund von Widerstand und | |
Volksverhetzung – darunter gegen einen AfD-Stadtrat – und 73 Platzverweise | |
im Stadtgebiet ausgesprochen, wie aus einer Pressemitteilung der Thüringer | |
Polizei hervorgeht. | |
Indes kündigte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow am Samstag an, den | |
allgemeinen Lockdown beenden zu wollen. Damit würden ab dem 6. Juni | |
landesweite Vorschriften zu Mindestabständen, dem Tragen von | |
Mund-Nasen-Schutz sowie Kontaktbeschränkungen in Thüringen aufgehoben und | |
nur durch lokale Maßnahmen ersetzt, falls in einer Region eine bestimmte | |
Infektionsrate überschritten wird. | |
Auch in Berlin gingen am Samstag wieder Demonstranten gegen die | |
coronabedingten Beschränkungen auf die Straße. Die Versammlungen waren | |
dieses Mal zumeist kleinteilig, es kamen deutlich weniger Menschen als am | |
Wochenende davor. Etwa 1.000 Polizisten waren im Einsatz, teilte die | |
Polizei mit. Sie begleiteten mehr als 40 Kundgebungen in der Hauptstadt. In | |
Hamburg kamen 750 Menschen zu einer Veranstaltung unter dem Titel | |
„Mahnwache für das Grundgesetz“ zusammen. Am Rande dieser Kundgebung setzte | |
die Polizei einen Wasserwerfer ein, um einen nicht genehmigten Gegenprotest | |
aufzulösen. (mit dpa) | |
25 May 2020 | |
## AUTOREN | |
Luisa Kuhn | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |