# taz.de -- das medienhaus an der friedrichstraße: „Das taz-Publikum erwarte… | |
> Bernd Blöbaum, Professor für Kommunikationswissenschaften in Münster, | |
> erforscht seit den neunziger Jahren die „Seele“ der taz-Leserschaft. Er | |
> sagt: Das Publikum wertschätzt im Hinblick auf die Digitalisierung | |
> unserer Medien vor allem – Transparenz | |
Bild: Touché zukunftstauglich und für alle, die die taz auch digital lesen m�… | |
Interview Willi Vogelpohl und Jan Feddersen | |
taz am wochenende: Herr Blöbaum, seit 1993 befragten Sie mit Ihren | |
Studierenden die Leser:innen der taz – zu ihrer Zeitung. Was hat sich in | |
deren Sichtweise auf die taz über all die Jahre getan? | |
Bernd Blöbaum: Ein deutliches Ergebnis unserer Befragungen ist, dass die | |
Haltung der Leserschaft der taz sehr stabil geblieben ist, sie sind einem | |
links-alternativen Milieu zuzuordnen. Auch wenn die taz inzwischen viel | |
mehr Medien als nur eine Papierzeitung anbietet, neue journalistische | |
Abspielflächen hinzugekommen sind, so kann man sehr genau feststellen, dass | |
im Prinzip alle taz-Nutzer den links-alternativen Weltanschauungen | |
anhängen. | |
Wie sollen wir uns eine:n links-alternative Leser:in vorstellen? | |
Als Personen, die sehr viel Wert auf Selbstverantwortung, auch auf | |
Selbstverwirklichung legen. Denen es sehr wichtig ist, dass es in der | |
Gesellschaft sozial gerecht zugeht, dass man sich solidarisch zeigt, dass | |
die Starken den Schwachen helfen, dass die Reichen die Armen unterstützen | |
und so weiter. Der taz-Community ist es sehr wichtig, dass wesentliche | |
gesellschaftliche Einrichtungen, zum Beispiel auch die Presse – wie die taz | |
– unabhängig von großen Konzernen sind. Und unabhängig bleiben von | |
Lobbyinteressen. Was die politische Haltung angeht, wenn man sie auf dem | |
Parteispektrum verortet, sind die Leser:innen der taz oft grün-affin. Wenn | |
man nach Wahlpräferenzen fragt, kann man über die Jahre feststellen, dass | |
sie zu zwei Dritteln bis drei Vierteln bei einer Bundestagswahl die Grünen | |
wählen würden. | |
Ein grünes Blatt sei die taz, heißt es oft. Stimmt das wirklich? | |
Es gibt in der Leserschaft auch große Sympathien für die Linkspartei, viel | |
weniger für die SPD, so gut wie gar keine für die anderen Parteien. Man | |
muss allerdings heutzutage bei politischen Einordnungen sehr vorsichtig | |
sein, weil sich die Vorstellungen von dem, was links ist, geändert haben. | |
Auch die Grünen haben sich ja gewandelt. Für das taz-Publikum ist eine | |
bestimmte Perspektive auf die Gesellschaft charakteristisch. Diese wird | |
freilich auch von denjenigen geteilt, die die Grünen wählen. | |
Vor 30 Jahren waren taz-Leser:innen meist noch im Studierendenalter. Das | |
aktuelle Durchschnittsalter unseres Publikums liegt bei deutlich über 50. | |
Ist das eine besorgniserregende Entwicklung für uns als Medienhaus? | |
Nein, das ist überall so, bei allen Zeitungen, auch bei den | |
öffentlich-rechtlichen Rundfunkhäusern. Bei der taz haben wir festgestellt: | |
Jüngere Nutzer:innen von taz-Medien, die beispielsweise über taz.de ihre | |
Zugänge haben oder bei „taz zahl ich“ mitmachen, unterscheiden sich von | |
älteren, die viel stärker auf die Papierzeitung orientiert sind, im | |
Hinblick auf die Art und Weise, wie sie auf dieses Projekt taz schauen, so | |
gut wie nicht. | |
Gibt es bei jüngeren Leuten überhaupt noch Affinitäten, zu einer papiernen | |
taz zu greifen? | |
Jüngere sind kaum an die Papierausgabe gebunden, im Gegensatz zu älteren | |
Lesern und Leserinnen. Die klassische Papier-taz ist Teil ihrer Biografie, | |
mit ihr sind sie sozialisiert. Alle Altersstufen aber eint, dass das | |
taz-Publikum sich vom Mainstream abgegrenzt sehen möchte. | |
Lesen jüngere Fans die taz anders, flüchtiger etwa? Dass sie nicht alle | |
Seiten durchblättern, sondern mal hier, mal da in den sozialen Netzwerken | |
gucken? | |
Wir haben – und das gilt nicht allein für die taz – ein geändertes | |
Mediennutzungsverhalten registriert. Der Zugang zu journalistischen | |
Inhalten ist viel einfacher geworden. Dieses traditionelle mit einer | |
Tageszeitung verbundene Bild der habitualisierten Mediennutzung … | |
Das heißt? | |
… dass man immer zur gleichen Tageszeit liest, dies in einen Tagesrhythmus | |
stark eingebunden ist – das wird bei der jüngeren Generation aufgeweicht | |
oder findet dort deutlich weniger statt. Was den Verlauf der Nutzung über | |
den Tag angeht, haben wir eine viel breitere Streuung als bei den Lesern. | |
Aber was die Nutzungsdauer angeht, gibt es keine so großen Unterschiede | |
zwischen Jüngeren und Älteren. Ob der Konsum der taz-Inhalte weniger | |
intensiv geschieht, wissen wir nicht, dafür bräuchte es andere | |
Untersuchungen. | |
Macht die taz das richtig, was sie gerade macht – sich schrittweise auf die | |
Digitalisierung umzustellen? Wird dieser Prozess von unseren Leser:innen | |
mitgetragen? | |
Ja. Man kann allgemein sagen, dass die Notwendigkeit, sich digitaler | |
aufzustellen und die Produkte digital anzubieten, überall erkannt wird. In | |
der taz-Community gibt es drei Gruppen: zunächst die Aufgeschlossenen. Die | |
finden super, was seitens der taz überlegt wird, etwa mit dem Szenario | |
2022. Dann haben wir eine Gruppe, die ablehnend ist, und eine, die | |
unentschlossen ist. Das Interessante daran ist, dass auch die – wir nennen | |
sie für uns in der Studiengruppe „Alte Hasen“ –, dass die auch sehr | |
aufgeschlossen sind gegenüber dem angekündigten digitalen Wandel. Und zwar | |
ebenso, wie die Gruppe der Jüngeren – wir nennen sie „Frischlinge“. Beide | |
haben eine ähnliche emotionale Haltung und stehen dem sich abzeichnenden | |
Wandel sehr positiv gegenüber. | |
Was kann die taz noch tun, um die Digitalisierung besser zu gestalten? | |
Zunächst haben wir herausfinden können, dass der Prozess der | |
Digitalisierung der taz als sehr gelungen empfunden wird. Solidarität durch | |
die taz-Community will errungen sein, so unser Resultat. Die Entwicklung | |
der taz in ein neues Medienzeitalter wird als transparent verstanden – und | |
eben mit Solidarität belohnt. Das Publikum fühlt sich ernst genommen. Es | |
bleibt, so lesen wir unsere Daten, wichtig, die taz-Community über alle | |
Schritte aufzuklären und einzubeziehen. Ich kann im Moment nicht erkennen, | |
dass Sie und Ihr Haus dabei Fehler machen. | |
Die taz ist ja längst mehr als eine Zeitung – in ihr finden sich auch die | |
Genossenschaft, die Panter Stiftung, Le Monde diplomatique, die taz gazete, | |
das taz lab bis hin zum taz Shop: Ist diese Diversifikation der Schlüssel | |
zum Erfolg? | |
Auf jeden Fall. Gerade dieser Projektcharakter der taz im Ganzen ist die | |
wichtigste Säule im Erfolg über die Jahrzehnte hinweg. Wenn man sich kurz | |
in die Gründungsphase zurückversetzt, in die siebziger Jahre: Da wurden | |
Kinderläden eröffnet oder selbstverwaltete Werkstätten gegründet. Es wurden | |
Landprojekte aufgemacht. Das war der Versuch, aus dem etwas eingefahrenen | |
Milieu der Bundesrepublik zu jener Zeit etwas herauszutreten und dem etwas | |
Alternatives entgegenzusetzen. Die taz hat dies als Projekt im | |
publizistischen Bereich in fast idealtypischer Weise umgesetzt. Die taz ist | |
eins der wenigen alternativen Projekte, das sich über die Zeit halten | |
konnte. | |
Sie fragen das taz-Publikum ja seit den neunziger Jahren … | |
Und wir stellen immer die gleiche Frage: Was ist eigentlich wichtig? Und | |
uns sagen immer über 95 Prozent: Ich unterstütze das Projekt taz, weil es | |
ein solidarisches Projekt ist. Der Projektcharakter der taz wird nach wie | |
vor hoch geschätzt. Ebenso, dass sie konzernunabhängig ist und bleibt. Dass | |
sie eine Gegenöffentlichkeit markiert. Wir bemerken höchste | |
Zustimmungswerte zu der immer gleichen Aussage in unseren Befragungen: „Die | |
taz informiert über Ereignisse, die in anderen Medien nicht aufgegriffen | |
werden.“ Unabhängig, links, alternativ und kritisch – das sind die vier | |
Worte, auf die es dem Publikum der taz ankommt. Und zwar unabhängig vom | |
Alter. | |
Willi Vogelpohl, Werbeleiter der taz, klärt jede neue „Blöbaum-Studie“ mit | |
den Wissenschaftler:innen ab; Jan Feddersen, wie sein Kollege Jahrgang | |
1957, ist Redakteur für besondere Aufgaben. | |
23 May 2020 | |
## AUTOREN | |
Willi Vogelpohl | |
Jan Feddersen | |
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