# taz.de -- berlin viral: Diese neue, spannungsgeladene Beziehung | |
Eine Pandemie, so viel wissen wir inzwischen, teilt die Welt sehr plötzlich | |
in das Draußen und das Drinnen. Da man es mit dem Draußen gerade nicht gut | |
aufnehmen kann (und sollte!), konzentriere man sich also aufs Drinnen. Um | |
es da wiederum gut aushalten zu können, braucht es neben der Arbeit | |
entweder ein Hundebaby oder eine Beschäftigung, die einem Befriedigung | |
verschafft, ohne zu viel zu fordern, und von der im Idealfall auch andere | |
etwas haben. Wenn man außerdem motorisch nur sehr eingeschränkt begabt ist, | |
im Gegenzug aber unheimlich gerne isst, fallen die meisten Sachen sowieso | |
raus. Mir blieb nach reiflicher Überlegung nur eins: Brot backen. | |
Natürlich kein Weißbrot, igitt, ungesund und dickmachend (außer im | |
Italienurlaub), außerdem lächerlich einfach. Für ein Coronahobby muss es | |
schon ein bisschen elaborierter sein. Also dann Sauerteig. Vor meinem | |
inneren Auge tanzten plötzlich duftende Laibe Bauernbrot umher, bestäubt | |
mit Mehl und überzogen von krustiger Perfektion. Ich bestellte einen | |
gusseisernen Schmortopf (dessen Preis auch der Anschaffung fürs Leben | |
entspricht, als die er verkauft wird) und guckte Youtube-Tutorials, in | |
denen diverse Methoden erklärt wurden, sein eigenes Anstellgut | |
herzustellen. Sauerteig, muss man nämlich wissen, muss gezüchtet werden, | |
bevor man damit backen kann. Ist auf den ersten Blick ganz einfach: Man | |
braucht nur Wasser, Geduld – und wirklich gutes Roggenmehl. | |
## Biomehlangebot abgegrast | |
„Nur“. In Prenzlauer Berg – beziehungsweise, noch extremer, im Grenzgebiet | |
zwischen Prenzlauer Berg und Mitte – beschäftigten alle sich ja schon vor | |
der Pandemie lieber mit ihrer eigenen Welt als mit dem Draußen, und | |
Sauerteigbrot ist hier mindestens so angesagt ist wie Bauchtaschen | |
(womöglich auch beides kombiniert). Bis ich als Weddingerin das | |
herausgefunden hatte, war längst das komplette Biomehlangebot des | |
Postleitzahlengebiets 104- abgegrast. Meine Frage nach Hefe (die braucht | |
ein junger Sauerteig immer noch als Tritt in den Hintern) verursachte bei | |
der Verkäuferin ein hysterisches Auflachen. | |
In meiner Verzweiflung meldete mich bei einer Sauerteigbörse im Internet an | |
und unternahm parallel ein paar Versuche mit einer Packung Dinkelmehl, die | |
ich bei der LPG ganz hinten im Regal gefunden hatte. Außer dass das Zeug | |
nach ein paar Tagen unter trägem Blubbern verschimmelte, passierte wenig. | |
Die eigentliche Veränderung geschah mit mir selbst. Alle paar Minuten | |
guckte ich vorsichtig unter den Deckel des Glases, ob es „was gemacht“ | |
hatte, und wenn die Mehl-Wasser-Mischung nach zwei Nächten mit Wärmflasche | |
langsam zu arbeiten begann, rief ich bei jedem Bäuerchen nach meinem | |
Freund, der kam und sich mit mir freute (für sein Pokerface bin ich ihm | |
heute noch dankbar). Umso dramatischer jedes Mal, wenn ich die stinkende | |
Teigmasse in den Müll schaufeln musste. | |
Nach vier Wochen wurde es was (wie gesagt: wirklich gutes Roggenmehl), | |
feinsäuerlich duftend und eine Konsistenz wie Mousse au Chocolat, aber da | |
war ich schon so tief ins Kaninchenloch gefallen, dass ich mich kaum noch | |
freuen konnte. Nicht nur war ich plötzlich zur Hausfrau mutiert, das Ganze | |
war auch zu einem Optimierungskampf geraten, gegen mich und andere. Ich | |
schäme mich sehr, dass ich schon quer durch unseren winzigen Bio-Hofladen | |
geeilt bin, um mir die letzte Packung regional gemahlenes Vollkornmehl zu | |
sichern. Als ich einmal kurz in der halbstündigen Mittagspause „nur schnell | |
ein Brot“ backen wollte und den Teig prompt zu dünn anrührte, musste ich | |
meinen Freund aus einem Gespräch rufen, damit er mich aus dem | |
Glibbermonster befreite, das den Küchentisch bedeckte und in dem ich bis zu | |
den Ellenbogen steckte. | |
Neulich tigerte ich zwei Stunden lang durch alle Läden rund um den | |
Rosenthaler Platz, mal wieder auf der Suche nach Roggenmehl, inzwischen | |
aber immerhin mit der Gelassenheit einer Frau, deren Anstellgut schon ein | |
paar Tage ohne Futter auskommt. Nie bin ich die Einzige, die mit leichtem | |
Wahn im Blick nach Mehl fragt, wobei ich nicht weiß, ob mich das jetzt | |
beruhigen oder erst recht bestürzen soll. Kurzum: Ich träume ab jetzt | |
wieder von einem Hundebaby. Ich hoffe nur, es isst gerne Brot. Johanna Roth | |
14 May 2020 | |
## AUTOREN | |
Johanna Roth | |
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