# taz.de -- das medienhaus an derfriedrichstraße: Ziemlich cool und sehr inter… | |
> Seit 25 Jahren erscheint die deutschsprachige „Le Monde diplomatique“. | |
> Wie fing das eigentlich alles an? Ein Gespräch | |
Interview Anna Lerch | |
taz am wochenende: Die deutsche Ausgabe von Le Monde diplomatique feiert | |
dieses Jahr im Mai ihr 25. Jubiläum. Hättet ihr geglaubt, dass es die LMd | |
so lange geben würde? | |
Barbara Bauer: Die Frage hat uns kaum beschäftigt. Das Ganze war erst mal | |
ein Experiment, und wir wollten unbedingt, dass es irgendwie klappt. Als | |
ich Anfang 2000 bei LMd anfing, kam mir die Idee, eine Monatszeitung aus | |
dem Französischen zu übersetzen, ziemlich irre vor. Wir haben ja in | |
Deutschland eine sehr vielfältige Presse mit vielen klugen Köpfen. Wer | |
braucht da noch übersetzte Artikel aus der Pariser Perspektive? Heute denke | |
ich, LMd ist ein ziemlich cooles internationales publizistisches Projekt, | |
das seiner Zeit voraus war, gerade auch mit den Themen Globalisierung, | |
ökonomische Konzentration, Kolonialgeschichte, Ausbeutung des globalen | |
Südens etc. | |
Stimmt, mit einem Editorial von Chefredakteur Ignacio Ramonet hat LMd 1997 | |
ja sogar direkt zur Gründung von Attac beigetragen | |
Marie Luise Knott: Seit Anfang der 1990er Jahre hatte sich die Pariser LMd | |
unter Ignacio Ramonet verstärkt der Globalisierungskritik verschrieben. | |
Doch wer das lesen wollte, musste des Französischen mächtig sein. Unsere | |
erste Neugier galt also der Frage: Kann es gelingen, diese Debatte auch in | |
Deutschland bekannt zu machen – auf dem Weg zu einer damals viel | |
beschworenen „europäischen Öffentlichkeit“? | |
Was waren am Anfang dieses internationalen Projekts die Schwierigkeiten? | |
Knott: Kaum ein Experiment hat mein transkulturelles Nachdenken derart | |
nachhaltig geprägt wie die Gründung von Le Monde diplomatique hierzulande. | |
Was wir mit „dem Diplo“ einzukaufen glaubten, war das Organ eines linken | |
Universalismus. Doch im Zuge des Zeitungmachens stellten wir fest: Was da | |
aus Paris an jedem 29. eines Monats in Kopie zu uns kam, hatte alle | |
Eigenarten eines französischen Journalismus: Die Texte hatten französische | |
Referenzen, zitierten französische Autoren und Sprichwörter … Kurz, der | |
Universalismus war ein französischer Universalismus. Dies spiegelte sich im | |
Übrigen auch in den verschiedenartigen regionalen Aufmerksamkeiten. Über | |
Osteuropa beispielsweise wusste die hiesige Öffentlichkeit weit mehr als | |
die Pariser LMd, über Afrika oder Indonesien aber weit weniger. | |
War das auch der Grund, warum ihr irgendwann angefangen habt, eigene Texte | |
zu bringen? | |
Knott: Ja, nach ein paar Nummern war klar: Wir müssen die Zeitung stärker | |
hier verankern, ohne ihr „Frankreich“ zu nehmen. Wir wollten mit der | |
deutschsprachigen LMd die Grenzen zwischen den Kulturen durchlässig machen. | |
Bauer: Dazu muss man wissen: LMd ist quasi ein international tätiges | |
Franchiseunternehmen, mit Vorgaben der Lizenzgeberin (Paris) und genau | |
definierten Spielräumen der verschiedenen Lizenznehmerinnen (von Seoul bis | |
Santiago de Chile). Manche Ausgaben dürfen nur Artikel aus dem | |
französischen Original übernehmen, andere, wie eben die deutsche oder auch | |
die argentinische, dürfen in einem gewissen Umfang auch „eigene Texte“ | |
publizieren. Dafür hat Marie Luise wie eine Löwin gekämpft. | |
Und wann kam dann der erste „eigene Text“? | |
Knott: Ich glaube, das war 1997. Der Anlass, selbstständig Texte zu | |
akquirieren, war ein sechsseitiges Dossier zur Rentenpolitik in Frankreich, | |
das wir nicht übernehmen konnten. Damals stellten wir fest, was wir | |
eigentlich schon wussten: Die Texte in eigener Sprache, aus dem hiesigen | |
Kontext heraus verfasst, atmeten anders als die Übersetzungen. Die hiesige | |
LMd braucht solch eine Mischung, will sie auf dem Markt bestehen. Mit der | |
Gründung der britischen LMd kam der angelsächsische Journalismus hinzu, und | |
auch deren „Pool“ von Texten nutzten wir fortan. Damals beschäftigte uns | |
die Frage, ob es eines Tages gelingen würde, zu einer gemeinsamen | |
europäischen Redaktion zusammenzuwachsen. Hat nicht geklappt. | |
Aber dafür gab es ja die enge Zusammenarbeit mit der taz. Wie sah die aus? | |
Bauer: Die taz hat uns von Anfang an buchstäblich getragen: mit Layout, | |
Vertrieb, EDV, Werbung, Aboverwaltung und, und, und. Ohne die Infrastruktur | |
und den langen Atem der taz wäre das alles überhaupt nicht gegangen. Als | |
wir dann immer mehr Abonnenten gewonnen und mit dem „Atlas der | |
Globalisierung“ auch enorme ökonomische Erfolge erzielt haben, war das | |
natürlich auch für die taz super. | |
Schon früh konnte man LMd aber auch unabhängig von der taz abonnieren. Wie | |
kam’s dazu? | |
Knott: Um die Langlebigkeit und vor allem die Ausbaufähigkeit dieses | |
Projekts zu sichern, schien es mir von Anfang an notwendig, an die | |
deutschsprachige LMd als eigenständige Zeitung zu „glauben“. Beilagen haben | |
die Tendenz, sich zu Tode sparzuschrumpfen, weil irgendwann der Werbeeffekt | |
für die „Mutterzeitung“ ausgereizt ist. Das Beharren auf einer | |
Separatausgabe, die sich eigenständig auf dem Markt behaupten muss, schuf | |
Sicherheit und war zugleich ein Ansporn. | |
Weil ja das Übersetzen und Vermitteln einen so großen Raum einnimmt: | |
Versteht ihr euch eigentlich als Journalistinnen? | |
Bauer: Da sind wir sehr verschieden, ich habe mich nie als Journalistin | |
verstanden. Dafür kenne ich mich nirgends gut genug aus. Und ich hatte nie | |
den Ehrgeiz, selbst zu schreiben. Das ist bei einigen Kolleg_innen anders. | |
Manche schreiben Artikel in LMd und anderswo. | |
Was ist das Besondere an der Arbeit der Redaktion? Beeinflusst das | |
Übersetzen den Blick auf die Welt? | |
Bauer: Das Besondere an unserer Arbeit liegt darin, dass wir mit und an | |
unserer Sprache arbeiten. Das ist oft ein quälendes Gefummel, weil es | |
leider sehr viel schlechtes Deutsch gibt. Manche auf Deutsch geschriebene | |
Texten klingen ja wie verunglückte Übersetzungen aus dem Englischen. Das | |
Engagement für die deutsche Sprache mag altmodisch sein und vergebliche | |
Liebesmüh. Aber ich finde, es lohnt sich, ich hab es immer gern gemacht. | |
Und obendrein jeden Tag etwas gelernt über die Welt. | |
Knott: Ob beim Übersetzen oder beim Redigieren – eigentlich geht es einem | |
wie in Ilse Aichingers Kurzgeschichte „Zweifel an Balkonen“: Einerseits | |
besucht man im Laufe der Arbeit verschiedene fremde „Balkone“ | |
(Wissensgebiete, Lebenswelten, Denk- und Sprechweisen), andererseits | |
machen diese Besuche einem die heimatlichen „Balkone“ heimatlicher. Aus | |
solchen „Zweifeln“ speist sich das Schreiben, Übersetzen und Redigieren. | |
2 May 2020 | |
## AUTOREN | |
Anna Lerch | |
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