# taz.de -- Die Arbeit hört ja nicht auf | |
> In der Coronakrise macht sich unter Leipziger Künstler*innen wieder das | |
> Gefühl breit, nur Aushängeschild des Stadtmarketings zu sein | |
Bild: Gamal Adouane, Soloselbstständiger aus Leipzig, DJ und Booker in der Dis… | |
Von Christopher Resch | |
Keine drei Monate ist es her, da saß Burkhard Jung in der Leipziger | |
Distillery, dem ältesten Technoclub im Osten Deutschlands. Es war ein | |
Treffen mit Signalwirkung geplant: Mitten im Bürgermeister-Wahlkampf wollte | |
Amtsinhaber Jung (SPD) zeigen, dass ihm die lebhafte Subkultur der | |
sächsischen Metropole am Herzen liegt. Dass er sie schätzt, sie schützen | |
und stärken will. Dann kam Corona, und die Leipziger Kreativszene fühlt | |
sich angesichts der existenzbedrohenden Lage missachtet, hängengelassen, | |
vergessen. Was ist geschehen? | |
Zu Beginn der Krise hatten Nachrichten die Runde gemacht, Berliner | |
Künstler*innen hätten unkompliziert „ihre 5.000 Euro“ bekommen, teils noch | |
am Tag der Antragstellung. Viele der Leipziger Kulturschaffenden schauen | |
nach Berlin, gefühlt ist es eine Nachbarstadt. Dann verkündete der andere, | |
langweiligere Nachbar Dresden einen Sofortzuschuss von 1.000 Euro. Und in | |
Leipzig? Fehlanzeige. Das Land Sachsen verwies auf ein Darlehen – das | |
erscheint vielen Soloselbstständigen nutzlos. Auch die Soforthilfe des | |
Bundes scheidet aus, denn damit dürfen Lebenshaltungskosten wie Miete oder | |
Lebensmittel nicht bezahlt werden. „Meine Alternative ist jetzt Hartz IV“, | |
sagt Gamal Adouane, 32, DJ und Booker in der Distillery. „Ich bin nicht | |
arbeitslos. Es fühlt sich absolut beschissen an, vor allem unter der | |
Maßgabe, dass wir uns hier den Arsch aufreißen, dass es für die Kultur in | |
Leipzig weitergeht. Da möchte ich auch, dass Support aus dem Rathaus | |
kommt.“ | |
Die Stadt scheint nun nachzusteuern und will einen Soforthilfezuschuss von | |
1.500 bis 2.000 Euro auf den Weg bringen. Genaueres ist noch nicht bekannt. | |
„Natürlich ist das besser als nichts, damit kann man erst einmal durchatmen | |
und sich sortieren“, sagt Manuel Schmuck, 32. Allerdings befürchtet der | |
freiberufliche Kultur- und Medienpädagoge, dass vor September in seinem | |
Metier nicht viel passieren wird. | |
Schmuck arbeitet mit Schüler*innen, vor allem in Schulprojekten. „Ich | |
habe jetzt angefangen, online Programmierkurse für Kinder anzubieten. Das | |
ist ein kleines finanzielles Zubrot, aber mehr auch nicht.“ Manuel Schmuck | |
hatte bisher gut zu tun, aber seine Rücklagen sind trotzdem gering. „Der | |
Bildungsbereich ist nicht gut bezahlt, vor allem in Mitteldeutschland muss | |
man für 35 oder 40 Euro Stundenlohn kämpfen. Als Selbstständiger bleibt da | |
nicht viel übrig.“ Er ist dazu auch oft von öffentlichen Geldern und | |
Fördertöpfen abhängig, wo die Personalkosten noch niedriger angesetzt | |
seien. „Da habe ich gar keine Möglichkeit, über den Stundenlohn zu | |
verhandeln.“ | |
Robert Günschmann sieht das ähnlich. „Ich halte es gerade in der Kleinkunst | |
für sehr unwahrscheinlich, dass jemand Rücklagen aufbauen kann, die über | |
drei, vier Monate hinweg tragen“, sagt der 36-jährige Kabarettist. „Es ist | |
ein altes Thema. Gerade mit dem Kabarett schmückt sich die Stadt Leipzig, | |
aber Förderung gibt es so gut wie gar nicht. Wie in der jetzigen Lage mit | |
den Kulturschaffenden umgegangen wird, ist enttäuschend.“ Den angekündigten | |
Leipziger Zuschuss begrüßt er natürlich, aber: „Wenn die Krise noch zwei, | |
drei Monate dauert, reichen 1.500 Euro Überbrückungsgeld natürlich nicht.“ | |
Und was, wenn der Zuschuss dann alle ist? In Berlin wurde die | |
„Rettungsbeihilfe Corona“ bis auf Weiteres ausgesetzt. In Dresden ist „das | |
Gesamtbudget mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschöpft“, hieß es schon | |
vergangene Woche seitens der Stadt. | |
Am meisten macht den Leipziger Künstler*innen das Gefühl zu schaffen, nicht | |
gehört zu werden, keine Lobby zu haben. Als nicht systemrelevant zu gelten. | |
„Künstler sind ein Immunsystem der Gesellschaft“, sagt die Malerin Sascha, | |
41. „Ich habe große Sorge, dass das in Sachsen und Leipzig kollektiv | |
absäuft. Gerade Sachsen braucht doch dringend Künstler und | |
Kulturschaffende, die unabhängig sind.“ Sascha beobachtet, wie die Krise | |
schon jetzt die Ungleichheit verschärft. Wem die freien Aufträge | |
wegbrechen, der wird leiden. Wer das Glück hat, begüterte Freunde, eine | |
Erbschaft oder ein Eigenheim zu haben, hält länger durch. Wie lange genau? | |
„Keiner scheint zu wissen, wie die Lebensrealität von freischaffenden | |
Künstlern aussieht“, sagt Judith van Waterkant, 35, die auf ganz | |
verschiedenen kreativen Feldern tätig ist, vor allem als DJ. Sie hat | |
deshalb einen offenen Brief an Bürgermeister Burkhard Jung geschrieben und | |
in der Szene mobilisiert, aktiv zu werden. | |
Die Künstler*innen möchten nicht undankbar wirken. Für die Schließungen der | |
Kulturorte – immerhin die Orte, an denen sie ihren Lebensunterhalt | |
verdienen – haben sie Verständnis. Mehr noch: „Die meisten | |
Kulturschaffenden haben schon vor dem Shutdown Verantwortung übernommen und | |
Veranstaltungen abgesagt“, erinnert sich Sascha. Es ist eher die | |
Enttäuschung, dass trotz der sich auftürmenden Sorgen kein Zeichen aus der | |
Politik kam – nur der trockene Hinweis auf den angeblich leichteren Zugang | |
zu Hartz IV. | |
„Das Hauptproblem“, sagt Gamal Adouane im Technoclub Distillery, „ist, da… | |
die Arbeit ja nicht aufhört. Wir sagen gebuchten Künstlern ab, versuchen an | |
Lösungen zu arbeiten, Livestreams an die Leute zu bringen. Eigentlich | |
arbeite ich jetzt doppelt so viel wie vorher“, sagt er. Zum Glück sei der | |
Künstlerverbund in Leipzig intakt, man helfe sich untereinander, so gut es | |
gehe. „Das macht Mut. Ich bin guter Dinge, aber zum Kotzen ist das alles | |
trotzdem. Leider werden wir oft nicht so gut gehört, wir haben nicht die | |
große Lobby. Aber es fällt schnell auf, wenn wir nicht mehr da sind.“ | |
15 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Christopher Resch | |
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