| # taz.de -- Intrigen unter Eliten | |
| > Tayarisha Poes Debütfilm „Selah and the Spades“ über Statuskämpfe an | |
| > einer Highschool ist getragen von der Obsession, alles anders machen zu | |
| > wollen | |
| Bild: Die thronende Anführerin: Selah (Lovie Simone) | |
| Von Dennis Vetter | |
| Tayarisha Poes Debütfilm „Selah and the Spades“ fühlt sich beizeiten an w… | |
| ein Trailer für seine Hauptfigur. Selah, die Anführerin der | |
| Cheerleader-Gruppe an der Haldwell-Eliteschule, ist eitel und will ganz | |
| nach vorne. Dass die neue Mitschülerin Paloma gerne Bilder macht, trifft | |
| sich da ganz gut. | |
| Selahs Tanzgruppe posiert also für die Kamera, sie spricht direkt zur Linse | |
| und erzählt, wie die ganze Welt die Körper junger Frauen unentwegt | |
| definieren will. Die Kontrolle wieder selbst zu übernehmen, das sei | |
| unabdingbar, der einzige Weg. Die Kontrolle dann auch zu behalten, schließt | |
| sich als Forderung an. Poes Film setzt seine feministische Spitze erst | |
| eigenartig distanziert und lässt dann im weiteren Verlauf naheliegende | |
| Fragen um Repräsentation und Klasse stur beiseite. Stattdessen verfolgt die | |
| Regisseurin Motive des Highschool- und Bandenfilms, hinein in eine | |
| überraschende Künstlichkeit und entlang undurchdringlich inszenierter | |
| Fassaden. | |
| Die Fotografin Paloma (Celeste O’Connor) und die Bandenanführerin Selah | |
| (Lovie Simone) werden Freundinnen, denn Selah möchte nicht bloß Palomas | |
| Bilder, sondern hat sie direkt als Nachfolgerin erwählt. Im Abschlussjahr | |
| muss sie die Schule verlassen, ihre Anerkennung und ihren Status | |
| zurücklassen. Die Lösung: Wenn sie schon selbst verschwindet, sollen | |
| zumindest die hart erkämpften Privilegien ihrer Bande weiterbestehen. | |
| Paloma soll also die neue Anführerin der „Spades“ werden, die sich nach dem | |
| Pik-Symbol benannt haben. Und dieses findet sich stilecht auf allem, was | |
| die Bande in der Schule verteilt: kleine Tütchen mit Pillen, | |
| Schnapsflaschen, hier und da ein Joint. Die „Spades“ sind im strengen, | |
| geschlossenen Kosmos der Schule so wichtig, weil sie aus der Stadt Drogen | |
| reinholen und Exzesse ermöglichen. Und so ist Selahs Name auch ein | |
| Wortspiel und schreibt ihr die selbstgewählte Profession zu: „Seller“, | |
| Verkäuferin. | |
| Bandenkriege laufen in Poes Film nicht über Waffen, sondern über | |
| Statusgetue: Intrigen, geheime Diskussionen, das Hetzen gegen Einzelne, die | |
| Verdrängung anderer durch Drogencocktails im Getränk. Wer stört und bei der | |
| Schulleitung auffällt, hat unter den jungen Eliten keinen Platz. Selahs | |
| Mutter drangsaliert sie währenddessen aus der Distanz: Selah soll perfekt | |
| sein, Karriere machen und keine Schwäche zeigen. Ein Skorpion sei eben ein | |
| Skorpion, das Stechen liege in seiner Natur. | |
| Lovie Simone spielt die junge Frau mit einer Sturheit, die Nuancen | |
| praktisch nicht zulässt. Wie eine Maske bewegt sich Selah durch diese | |
| sonderbare, schulische Filmwelt. Celeste O’Connor alias Paloma hingegen | |
| kann als unbeschriebenes Blatt einsteigen und ist verspielter, entspannter, | |
| authentischer. Ihre Figur lernt während des Filmverlaufs gemeinsam mit dem | |
| Publikum, was sich an der Schule abspielt. Bald ist sie die Nummer zwei und | |
| voll im Geschäft. Und sie verändert sich so schnell und unplausibel, wie es | |
| nur eine geschriebene Figur vermag. | |
| Auf die Schauspielerinnen zu achten, drängt sich in Poes Film auf, denn nie | |
| ist er völlig greifbar, öfter unzusammenhängend und skizzenhaft. Stil-Ideen | |
| treffen aufeinander, häufen sich, werden zum Selbstzweck: Es wird nur | |
| vereinzelt klar, warum bestimmte Einstellungen im Film auftauchen, aus | |
| welchem Gedanken heraus Kameraperspektiven gewählt sind. Die Visualität des | |
| Films hat etwas Schmückendes, etwas Dekoratives, zeugt von einer Obsession, | |
| alles anders machen zu wollen. Für einen Debütfilm ist diese Obsession | |
| zweifelsohne heilsamer, als keine Ansprüche zu verfolgen, „Selah and the | |
| Spades“ fühlt sich dadurch aber auch überzeichnet an. Es ist schwer, | |
| konzentriert zu bleiben. Ebenso schwierig wäre jedoch die Zuschreibung, es | |
| gäbe hier gelungene und misslungene Bilder. | |
| Amazon produzierte Poes Film und bringt ihn nun unter die Leute, kleine | |
| Bildschirme werden den Film schrumpfen und ihn noch schwerer | |
| entschlüsselbar machen. Der unberechenbare Soundtrack wäre im Kino | |
| durchschlagender und würde anders nachklingen, die Bilder noch stärker | |
| flankieren. „Selah and the Spades“ hatte beim Filmfestival in Toronto | |
| letztes Jahr Premiere, jetzt erscheint er unter dem Prime-Label direkt so, | |
| als wäre er ausschließlich fürs Netz entstanden. Ohne eine Kinoauswertung | |
| wird Poes Film mit dem Anbieter noch deutlicher verbunden, denn Amazon | |
| streamt ihn exklusiv. | |
| Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten über die | |
| Mitarbeiter*innenpolitik des Konzerns, über klassistische und | |
| rassistische Äußerungen der Firmenspitze, bekommt die Veröffentlichung so | |
| unweigerlich den Beigeschmack einer strategischen Wahl, die Offenheit für | |
| Diversität und Klassendiskurse kommuniziert, wo ansonsten rigoros | |
| durchregiert wird. Selah gehört der Schwarzen, bürgerlichen Oberschicht der | |
| USA an, die zuletzt Jordan Peele mit seinem Film „Us“ deutlich | |
| kommentierte. Sie kann sich die Frage stellen, wie sie sich in der | |
| Hackordnung positioniert. | |
| „Selah and the Spades“. Regie: Tayarisha Poe. Mit Lovie Simone, Celeste | |
| O’Connor, Jharrel Jerome u. a. USA 2019, 97 Min. Auf Amazon | |
| 21 Apr 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Dennis Vetter | |
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