# taz.de -- Auf Augenhöhe mit den Moorbauern | |
> Unter der Leitung von Moorkommissar Jürgen Christian Findorff wurde das | |
> Teufelsmoor bei Bremen entwässert. Ohne ihn gäbe es dort heute keine | |
> Dörfer. Dieses Jahr wäre der Mann, nach dem ein Bremer Stadtteil benannt | |
> ist, 300 Jahre alt geworden | |
Bild: Immer draußen bei den Menschen: Moorkolonisator Jürgen Christian Findor… | |
Von Sophie Lahusen | |
Im Fenster eines Altbremer Hauses im Bremer Stadtteil Findorff klebt eine | |
Postkarte, darauf zu lesen: „Findorff. Fit, fair, familiär“. Erst seit 1951 | |
hat das bürgerliche Viertel diesen Namen, der auf einen Mann namens Jürgen | |
Christian Findorff zurückgeht. Er wäre in diesem Jahr 300 Jahre alt | |
geworden. Ein Geburtstag, der nicht nur in Findorff selbst, sondern vor | |
allem auch in vielen Dörfern im Norden Bremens zwischen Wümme, Hamme und | |
Oste gefeiert wird. Denn ohne Jürgen Christian Findorff würde es sie gar | |
nicht geben. | |
So auch Iselersheim bei Bremervörde. Hermann Röttjer ist der | |
Ortsbürgermeister des Dorfes mit 355 EinwohnerInnen, Tendenz sinkend. Er | |
lebt in der neunten Generation in Iselersheim, seine Vorfahren kamen 1780 | |
als MoorbäuerInnen in die erstmals von Findorff gegründete Siedlung. „Das | |
waren sehr, sehr einfache Leute, Löhnearbeiter und Knechte“, sagt Röttjer. | |
Sie folgten einem Aufruf des Königs von England – damals Oberhaupt des | |
Kurfürstentums Hannover – als KolonistInnen in die Region zu kommen. Als | |
innenpolitische Maßnahme sollte das später als Teufelsmoor benannte Ödland | |
besiedelt werden. Vor allem um aus den unbewohnbaren Mooren nutzbares Land | |
zu machen und damit die Bevölkerung Norddeutschlands gleichmäßiger auf die | |
Landregionen zu verteilen. | |
Dazu sollte die Region auf einer Fläche von rund 140 Quadratkilometern – | |
etwa 19.000 Fußballfelder – in aufwendigen Prozessen entwässert werden. | |
Eine Aufgabe, die ab 1751 der Leitung des Moorkommissars Jürgen Christian | |
Findorff zugetragen wurde. Unter seinem Einfluss entstanden rund 110 | |
Siedlungen, von denen die meisten bis heute in Form von Dörfern existieren. | |
In der Region gilt Findorff als „Vater aller Moorbauern“. | |
„Er hat bei den Bauern unheimliches Ansehen erlangt, weil er auf Augenhöhe | |
war“, sagt Röttjer. „Findorff saß nicht wie die anderen Funktionäre nur … | |
den Moor-Ämtern der Städte, er war immer draußen bei den Menschen und hat | |
sich ihren Nöten und Sorgen angenommen“. Und davon gab es viele: Die | |
SiedlerInnen kamen mit dem Versprechen auf Eigentum und steuerliche | |
Erleichterungen ins Teufelsmoor, doch besonders die ersten Jahrzehnte waren | |
geplagt von hoher Sterblichkeit, Armut und harter körperlicher Arbeit. | |
„Den Eersten sien Dood, den Tweeten sien Noot, den Drüdden sien Broot“, so | |
lautet ein bekannter Spruch aus der Zeit: der ersten Siedler-Generation der | |
Tod, der Zweiten die Not und erst der Dritten das Brot: Bevor die | |
MoorbäuerInnen mit der eigentlichen landwirtschaftlichen Arbeit beginnen | |
konnten, mussten über Jahre unter der Leitung von Findorff die Kanäle und | |
Gräben ausgehoben werden, in die das Wasser aus den Mooren ablaufen sollte. | |
Denn erst mit der Trockenlegung der Moore und dem dadurch entstandenen | |
furchtbaren Boden konnte der Ackerbau und später die Viehzucht beginnen. | |
Da die landwirtschaftlichen Erträge in den ersten Jahrzehnten so niedrig | |
waren und vor allem für das eigene Überleben gebraucht wurden, lebten viele | |
SiedlerInnen in den Anfangsjahren von dem Verkauf von Torf, der als | |
Heizmaterial genutzt wurde. Die Kanäle zur Entwässerung ergaben mit der | |
Zeit ein weites Netz an Wasserwegen, auf denen der aus den Mooren gewonnene | |
Torf auf Kähnen nach Bremen gebracht wurde. Die Fahrt dorthin dauerte oft | |
mehrere Tage. Ziel war ab Anfang des 19. Jahrhunderts unter anderem der | |
Torfhafen im heutigen Findorff. | |
Findorff selbst soll einen Hof als MoorbäuerInnen besessen haben, auf dem | |
er sich jedoch wegen seiner Arbeit als Moorkommissar nie wirklich | |
niederließ. Auf seinen Wegen durch die Moore soll er, als hoher Beamter, | |
auch bei den Moorbauern selbst übernachtet haben. Neben der Besiedlung der | |
Moore war Findorff während seines Lebens in der Teufelsmoor-Region auch für | |
den Bau von Kirchen, Brücken, Rathäusern und Schulen zuständig, um den | |
Kolonisten eine grundlegende Infrastruktur zu bieten. Im Alter von 72 starb | |
Findorff in Bremervörde, unverheiratet und kinderlos. | |
Die Geschichte des Teufelsmoors wiederum bekam während des Zweiten | |
Weltkriegs eine neue düstere Dimension, mit den Verbrechen gegen die | |
Menschheit im Arbeitslager „Stalag X-B“. Vor allem polnische und | |
sowjetische Kriegsgefangene mussten hier in den Mooren Torf abbauen – mit | |
rudimentären Methoden aus der Zeit von Findorff. Dabei existierten schon | |
seit langem mechanische Methoden des Torfstechens. Zehntausende starben | |
hier an Erschöpfung, Seuchen und Hunger. Auch wurde die Person Findorffs | |
von den Nazis oft als Pionier und „Führer“ seiner Zeit gefeiert, was vor | |
allem auf das kultartige Erinnern an Findorff in der Region zurückzuführen | |
ist. Denn ideologische Gemeinsamkeiten Findorffs mit den Nazis sind nicht | |
überliefert. | |
Auch in den vergangenen Jahren wurde die Arbeit Findorffs wieder verstärkt | |
diskutiert – unter dem Gesichtspunkt des Klimawandels nämlich: Aktuell gibt | |
es eine Diskussion um den Erhalt von feuchten Mooren, die als weltweit | |
effizienteste Kohlendioxid-Speicher gelten, doppelt so effizient wie | |
beispielsweise Wälder. Im Gegenzug gelten die Entwässerung von Mooren wie | |
dem Teufelsmoor und das Torfstechen als extrem umweltschädlich, eben weil | |
bei diesen Prozessen große Massen an Kohlendioxid freigesetzt werden. | |
Bundesweit gibt es deshalb Aktionen zur sogenannten Wiedervernässung der | |
Moore, im Teufelsmoor allerdings noch nicht. „Das Ganze darf man aber nicht | |
kritisch gegenüber der Arbeit von Findorff sehen“, sagt Röttjner. Er habe | |
schließlich zu einer ganz anderen Zeit gelebt, vor dem Klimawandel. | |
21 Apr 2020 | |
## AUTOREN | |
Sophie Lahusen | |
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