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> Das Sommersemester soll ein „Nicht-Semester“ werden | |
Interview Georg Sturm | |
taz: Frau Geier, in Ihrem [1][offenen Brief] fordern Sie, dass das kommende | |
Sommersemester ein Nicht-Semester werden soll. Was heißt das? | |
Andrea Geier: Das heißt, dass wir die Logik des Semesters an die Tatsache | |
anpassen, dass es sich um ein Ausnahmesemester handelt. Nicht-Semester ist | |
der Begriff dafür, dass erst mal nicht gezählt wird. Das heißt, es soll | |
Lehre stattfinden – im Rahmen dessen, was für alle Beteiligten möglich ist. | |
Aber die Logik ist eine andere: Wir möchten von der Ausnahmesituation her | |
denken und nicht von einem irgendwie abgespeckten Normalbetrieb. Das hat | |
Folgen auf mehreren Ebenen. | |
Welche denn? | |
Zum Beispiel Lehrende auf Hochdeputatsstellen, die im Durchschnitt acht | |
Seminare mit je zwanzig bis vierzig Teilnehmern haben, müssen diese in den | |
nächsten Wochen irgendwie von Präsenzlehre auf Online-Lehre umstellen. | |
Damit das funktioniert, wäre es zum Beispiel sinnvoll, nur vier statt acht | |
Seminare zu machen. Diese vier könnten sie dafür mit dem erhöhten Aufwand | |
der Online-Lehre und der Semestervorbereitung auch tatsächlich sinnvoll | |
durchführen. Wir müssen schauen: Wer kann was leisten? Welche Kurse eignen | |
sich? Welche Kurse müssen unbedingt als Pflichtseminare stattfinden? Was | |
nicht notwendig ist, kann wegfallen, ohne dass es nachgeholt werden muss. | |
Welchen Nutzen hätte ein Nicht-Semester für die befristet Beschäftigten? | |
Auch für die befristet Beschäftigten würde es bedeuten, dass dieses | |
Semester nicht gerechnet wird. Man könnte sagen: Da ihr jetzt einen | |
erhöhten Aufwand für die Umstellung auf Online-Lehre habt, Bibliotheken | |
geschlossen wurden sowie Archivarbeit und Feldforschung nicht möglich sind, | |
verlängern wir eure Verträge um mindestens ein halbes Jahr. In der Logik | |
des Normalbetriebs hingegen müsste jeder Einzelne schauen, irgendwie | |
durchzukommen und die höhere Belastung vielleicht geltend machen zu können. | |
Nimmt ein solches Nicht-Semester nicht den Druck von den Hochschulen, | |
digitale Lernformate tatsächlich schnell zu entwickeln und anzuwenden? | |
Ich glaube, es ist genau umgekehrt. Eine positive Entwicklung in der | |
Digitalisierung macht man mit entsprechenden Ressourcen und Vorbereitung. | |
Momentan wird versucht, alles auf online umzustellen, ohne dass dabei | |
didaktische Konzepte oder ein sinnvoller Nutzen im Vordergrund stehen. Das | |
meiste, das nun digital auf die Schnelle entwickelt wird, ist nicht | |
nachhaltig. Wer jetzt feiert, dass wir mehr Digitalisierung bekommen, | |
versteht die Rahmenbedingungen nicht, unter denen wir das gerade tun. Das | |
sind ja keine Digitalisierungsfestspiele, das ist ein Notreparaturbetrieb. | |
1 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.nichtsemester.de/cbxpetition/offener-brief/ | |
## AUTOREN | |
Georg Sturm | |
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