Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Draußen zu sein nervt
> „Taubenleben“ heißt der erste Roman der Journalistin Paulina
> Czienskowski. Er handelt vom Schweigen der Eltern. Ihre eigenen lernten
> sich im Dschungel kennen
Bild: Verspürt großen Druck, auch in diesen Zeiten beruflich kreativ zu werde…
Von Marlene Militz
Ein sonniger Nachmittag, draußen sprießen die Blumen, von den Bäumen
zwitschern die Vögel. Ich bin mit der Berliner Autorin Paulina Czienskowski
auf ein Gespräch verabredet. Allerdings nicht in einem Café, draußen in der
Sonne, sondern bei Skype. So ist das jetzt. Punkt 16 Uhr bekomme ich die
Mail: „Bin online, gib ein Zeichen, wenn du loslegen willst:)“.
Jemanden über Skype kennenzulernen, sich ein Bild von einer Person über
einen Bildschirm zu machen, kann schwierig sein. Aber Paulina Czienskowski
macht es einem leicht. Sie selbst sei zwar kein Fan von Videotelefonie,
redet aber gleich so locker, als tue sie sonst nichts anderes. In einem
dunklen Pullover sitzt sie vor weißen Altbauwänden, in der unteren Ecke
ragt eine grüne Zimmerpflanze in den Bildausschnitt. Die blonden Haare hat
sie locker hochgebunden, alles ziemlich entspannt.
Czienskowskis Debütroman „Taubenleben“ ist am 18. Februar im Blumenbar
Verlag erschienen. Er handelt von Lois, einer Frau Anfang 30, die Angst
hat, krank zu sein. Die Ich-Erzählerin lässt sich bereits auf den ersten
Seiten Blut abnehmen und testen. Die nächsten Tage hat sie Angst vor dem
Ergebnis. Sie versucht sich abzulenken. Doch die meiste Zeit verbringt sie
mit Erinnerungen an ihre Kindheit, ihr Aufwachsen. In einer engen Wohnung
im 30. Stock einer Hochhaussiedlung mit ihren Eltern, die kaum miteinander
reden. Die Mutter verbringt ihre Zeit mit Kreuzworträtseln, die Lösungen
sendet sie ein in der Hoffnung, irgendwann eine Reise zu gewinnen. Der
Vater stirbt früh.
Dass der Roman noch Mitte Februar erschienen ist, kann als Glück im Unglück
bezeichnet werden. Immerhin gab es noch eine Buchparty und einige Lesungen.
Doch der Großteil der in ganz Deutschland geplanten Veranstaltungen musste
abgesagt werden. In Kiel, Karlsruhe und Münster hätte die Autorin lesen
sollen – und natürlich auf der Leipziger Buchmesse. Czienskowski hat
ungefähr zwei Jahre an dem Buch geschrieben. Bitterkeit spürt sie trotzdem
nicht. „All das, was seit Monaten die Welt erschüttert, auch abseits von
Corona: die Geflüchteten in Griechenland, Hanau. Das setzt alles in ein
Verhältnis“, sagt sie.
Der Isolationsalltag ist in seiner Beschaffenheit nichts ganz Neues für
eine Schriftstellerin. Schreiben ist per se einsam, ab und zu gab es schon
Tage, an denen sie die Wohnung nicht verlassen habe, erzählt sie. Natürlich
sei es ein anderes Gefühl, jetzt, wenn man muss. Plötzlich verbringe sie
ungewohnt viel Zeit mit Kochen. Einkaufen, essen, lesen, spazieren.
„Draußen zu sein nervt allerdings – ich gehe nicht mehr raus, um Luft zu
holen, sondern um die Luft anzuhalten.“
Überhaupt wirft die Krise Fragen auf. „Einerseits entlastet mich dieses
kollektive Isoliertsein, weil es etwas ist, was man nicht nur in sich
allein trägt. Die meisten fühlen gerade ähnlich“, sagt Czienskowski. Aber
es mache sie auch nervös, denn der Druck, auch in diesen Zeiten beruflich
kreativ zu werden, ist groß. „Alle fragen mich: Hast du eigentlich schon
über Livelesungen nachgedacht? Aber ich weiß gar nicht, ob ich das will, ob
ich das bin.“ Sie finde es aber auch interessant, sich selbst in diesen
Zeiten genau zu scannen: „Muss ich jetzt eine neue Rolle finden? Oder geht
es danach auch wieder normal weiter?“
Czienskowski wurde 1988 in Westberlin geboren. Zum Studieren ging sie nach
Greifswald. Germanistik und Kunstgeschichte. Danach kehrte sie zurück, ließ
sich an der Axel-Springer-Akademie zur Journalistin ausbilden und machte
sich selbstständig. Das war vor fünf Jahren. Viele ihrer Texte sind
Porträts. Zwei davon behandeln die Lebensgeschichten ihrer Eltern. In einem
Text im Zeit magazin erzählt sie, wie sie dem wilden Leben ihrer Mutter,
Iris Czienskowski, auf die Spur kam, die in den 80er Jahren mit der Popband
Hong Kong Syndikat durch Europa tourte und als Barkeeperin im legendären
„Dschungel“ arbeitete. Sie beschreibt, wie ihre Eltern ebendort, im
Dschungel, zueinanderfanden und wie ihr Vater, der Schauspieler Richy
Müller, in einem Restaurant den Heiratsantrag stellte.
In „Taubenleben“ spricht Lois' Mutter so gut wie gar nicht, am wenigsten
über sich selbst. Die Distanz ist groß in der kleinen Wohnung im 30. Stock,
in der sich die dreiköpfige Familie auf die Füße tritt. Als Lois’ Vater
stirbt, ist sie gerade mal elf Jahre alt. Es war wohl ein Unfall, in
ebenjener Wohnung. Ihre Mutter spricht nicht darüber, stattdessen verbrennt
sie alle Fotos von ihrem Mann in einem Karton auf dem Spielplatz der
Wohnanlage.
Der Roman behandelt das Schweigen der Eltern. Lois versteht in ihrer
Kindheit manches nicht, und auch als junge Erwachsene geht es ihr kaum
anders. „Der Schmerz der eigenen Eltern, will man den wissen? Oder schützen
sie einen davor? Soll man graben? Oder soll man die eigenen Eltern
schützen, sodass sie keine Gräben aufreißen müssen, nur damit man selbst
Klarheit hat?“, fragt Czienskowski. Dabei darf man Romanheldin und Autorin
nicht verwechseln. Die Beziehung zu ihren Eltern sei vollkommen anders. Auf
Spurensuche geht sie trotzdem. Auch um sich selbst besser zu verstehen.
Vogue nennt Czienskowski die Stimme ihrer Generation, was ihr
offensichtlich etwas peinlich ist. „Wenn das jemand so sieht, dann sage
ich: schön. Ich bin aber natürlich nicht die Stimme der Generation Y. Ich
kann nicht für Communitys sprechen, denen ich nicht angehöre, nur weil sie
gleich alt sind.“ Trotzdem werden sich viele junge Frauen in Teilen von
Lois wiedererkennen. Aber nicht nur junge Frauen: „Auch eine 85-jährige
Dame sagte zu mir, sie hätte sich selbst in den Widerständen von Lois
erkannt.“ Das Schweigen der Eltern ist eben doch ein
generationsübergreifendes Thema.
Paulina Czienskowski: „Taubenleben“. Blumenbar Verlag, Berlin 2020, 224
Seiten, 20 Euro
2 Apr 2020
## AUTOREN
Marlene Militz
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.