# taz.de -- Braune Brühe Schmelzwasser | |
> „2050 – Nature Morte, Kunst zum Klimawandel“ eine Gruppenausstellung im | |
> und um den Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz lässt sich nach | |
> Vereinbarung besichtigen | |
Bild: Almut Linde, „Dirty minimal #116, Eismeer II“ | |
Von Andreas Schlaegel | |
Eigentlich sollte man ja jetzt so viel wie möglich zu Hause bleiben, Filme | |
gucken und die ambitionierten Online-Angebote für das kunstinteressierte | |
Publikum wahrnehmen. Aber welche Kamele da von Galerien und | |
Ausstellungsräumen nun durch das Nadelöhr des virtuellen Erlebnisses | |
getrieben werden sollen, es wirkt nicht immer überzeugend, das sind schon | |
Kamelherden. | |
Einige wenige Institutionen allerdings erlauben, auch wenn das heute am | |
Rande des Illegalen schrammt, den privaten Besuch nach Voranmeldung, wie | |
der Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz. Dort hat man dann das Glück, die | |
aktuelle von Raimar Stange kuratierte Ausstellung mit dem Titel „2050 – | |
Nature Morte, Kunst zum Klimawandel“ allein und in kontemplativer Ruhe zu | |
genießen. | |
In Anlehnung an die französische Bezeichnung für das klassische Sujet des | |
Stilllebens suggeriert der Ausstellungstitel auf plakative Weise, dass zum | |
Jahr 2050, für das die Bundesregierung Klimaneutralität angepeilt hat, für | |
die Natur bereits alles zu spät sei. | |
Die beteiligten elf KünstlerInnen haben dafür selbstbewusste wie plakative | |
Werke beigetragen, eines sogar im Wortsinn. Um es zu sehen, muss man nicht | |
einmal die Ausstellungsräume betreten, es hängt auf einer einzelnen | |
Plakatwand an der Ecke Karl-Liebknecht-Straße und Torstraße. Oliver Ressler | |
hat hier vollflächig ein Foto auseinanderdriftender Eisschollen angebracht, | |
in die eine einfache Gleichung eingesetzt wurde: Jedes Flugticket von New | |
York nach London und zurück kostet die Arktis 3 Quadratmeter Eis. | |
Das Plakat ist Teil von Resslers längerfristig angelegtem Projekt | |
„Barricading the Ice Sheets“, das die Frage stellt, wie die Eisplatten an | |
den Polen geschützt werden können: ein Forschungsvorhaben über die | |
politischen Verflechtungen von Kunst und Klima-Aktivismus. Gegenüber dem | |
Berliner Ableger des Soho-House, einer Club-Hotelkette, die sich gerne als | |
Plattform für internationale Kreativ-Jetsetter stilisiert, entfaltet das | |
Plakat seine besondere Dringlichkeit. | |
Bereits im Eingangsbereich des L40 breitet sich Weltschmelz (2019/2020) | |
aus, zumindest als Malerei Installation von Anne Meyer. Eingefügt in eine | |
Matrix aus neonfarbenen Klebebändern hat sie vier Ölgemälde von karstigen | |
Landschaften mit schmelzenden Gletschern und kalauernden Parolen | |
(„Weltuntergang – wir arbeiten dran“) versehen. Auf Plakattafeln vor einem | |
Bergpanorama steht in Anspielung auf Martin Kippenbergers bekannter | |
Bildtitel „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“: „Ich ka… | |
beim schlechtesten Willen überall welche erkennen.“ Dahinter bilden die | |
letzten Reste Schnee Swastika-ähnliche Muster, in denen sich die | |
ideologische Vereinnahmung der Berge durch verquaste, rechte Heimatromantik | |
in die Landschaft einschreibt. Das Schmelzwasser fließt als braune Brühe | |
ab. | |
Vergleichbar hintergründig sind Stefanie von Schroeters „Duck Paintings“ | |
(2018). Auf die Bilder applizierte Lockenten aus Kunststoff schwimmen | |
zwischen gestischen Farbschlieren und in die Leinwand gebrannten Löchern | |
hindurch, als navigierten sie zwischen Welten, die nicht zusammenkommen. | |
In den hinteren Ausstellungsräumen breitet sich ein wahres Eismeer in der | |
Installation von Almut Linde aus, eine Ansammlung von elf mobilen | |
Klimageräten, Typ Eisberg, die bei Veranstaltungen zur temporären Kühlung | |
eingesetzt werden. Nur trägt eben ihr Energieverbrauch eben auch | |
langfristig zur Klimaerwärmung bei. In einer Vitrine daneben liegt ein viel | |
beworbener Flaçon mit Olaf Nicolais „Multiple Smell“ (1999), einem | |
synthetischen „Parfüm für Bäume“, das vor über 20 Jahren auf der | |
Bundesgartenschau zum großflächigen Einsatz kam. | |
Einen ähnlich bitter-absurden Humor versprüht die wohl aufwändigste Arbeit | |
der Ausstellung, eine Installation von Fabian Knecht mit dem | |
unspektakulären Titel „Grundstück“ (2020). Vom Balkon aus hat man einen | |
perfekten Blick auf die von grauen Innenhofwänden eingerahmte, auf dem | |
begrünten Dach eines Restaurants wie auf dem Präsentierteller aufgebaute, | |
pittoreske Hütte aus Holz und Wellblech, mit Klappstühlen und Wäscheleine. | |
Dieser Kulissenbau einer improvisierten Heimstatt in der tiefen Schlucht im | |
Innern des Bundschuh-Gebäudes, wirkt im extremen Kontrast wie ein | |
Zukunftsszenario und ein Menetekel. Wenn alle Auswege verbaut sind, kann | |
man nur noch zuhause bleiben. | |
Bis voraussichtlich 30. Mai, Kunstverein am Rosa–Luxemburg–Platz; | |
Linienstraße 40, nach Vereinbarung: [email protected] | |
27 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Andreas Schlaegel | |
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