| # taz.de -- In den Transitzonen | |
| > Laurenz Berges steht für eine zurückhaltend wirkende Fotografie, die auf | |
| > präziser Beobachtung fußt. In Bottrop werden seine Arbeiten über Duisburg | |
| > adäquat ausgestellt | |
| Bild: Laurenz Berges, Matena, 2010 | |
| Von Markus Weckesser | |
| Bis in die 1970er Jahre stand in der Mitte von Duisburg ein | |
| Richtungsschild, das nach Westen in die „Niederlande“ und nach Osten ins | |
| „Ruhrgebiet“ wies. Dem Rest fühlte sich die Stadt der Stahlkocher nicht | |
| zugehörig. Weder wirtschaftlich noch kulturell. Heute zählt Duisburg zu den | |
| ärmsten Kommunen im Revier. Eine von Heinz Liesbrock und Thomas Weski im | |
| Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop kuratierte Schau mit Bildern von | |
| Laurenz Berges blickt auf den schleichenden Wandel. Mit seinen Fotografien | |
| der einstigen „Stadt Montan“ formuliert der Künstler eine visuelle | |
| Antithese zu der Trias von Dynamik, Fortschritt und Transformation, die das | |
| Ruhrgebiet knapp ein Jahrhundert prägte. | |
| Für Entschleunigung und genaue Beobachtung, welche der Arbeit des | |
| Fotografen mit der Großbildkamera geschuldet sind, war hier kein Platz. Das | |
| Ruhrgebiet schlief nie. Jahr um Jahr kochte der Pott. Und genau so wurde er | |
| jahrzehntelang in der Fotografie dargestellt: mit Bildern von schwitzenden | |
| und rußverschmierten Bergleuten, spektakulären Abstichen an Hochöfen und | |
| imposanten Industriearchitekturen. Das Pendant zur Arbeitswelt bildete das | |
| scheinbar idyllische Leben in der Siedlung, inklusive Taubenzucht und | |
| Feierabendbier am Büdchen. Doch dann setzte das große und langsame Sterben | |
| ein. Ende der 1950er Jahre schlossen die ersten Zechen, zehn Jahre später | |
| die ersten Hütten. Hohe Arbeitslosigkeit, Leerstand und | |
| Bevölkerungsrückgang waren die Folge. Daran leidet die Region bis heute. | |
| Im Zuge des Strukturwandels wurden zwar Ersatzindustrien angesiedelt, doch | |
| konnte die Misere nicht kompensiert werden. Immerhin veränderte sich mit | |
| der Internationalen Bauausstellung Emscher Park die vormals verrohte und | |
| ausgebeutete Landschaft. So entstand in Duisburg auf dem Gelände einer | |
| ehemaligen Hütte der Landschaftspark Nord. An Möglichkeiten zur Gestaltung | |
| der Freizeit mangelte es für die, die es sich leisten konnten, auch 2009 | |
| nicht, als Laurenz Berges erstmals in der Stadt fotografierte. Für viele | |
| Bewohner war der Alltag nicht etwa hart, weil sie die körperliche Arbeit | |
| schlauchte, sondern weil sie ihre Jobs verloren hatten. Ein sprechendes | |
| Bild ist das Porträt eines farbigen Mannes, dessen Kleidung und Hände stark | |
| verschmutzt sind. Nicht die Arbeit im Pütt verdreckte ihn, dafür aber das | |
| Leben auf der Straße. | |
| Indes sind Menschen auf den Fotografien von Laurenz Berges nur selten zu | |
| sehen, auf die wirtschaftlichen und sozialen und Fehlentwicklungen wird nur | |
| indirekt verwiesen. Stattdessen finden sich auf den Bildern Spuren von | |
| Abwesenheit, Verlassenheit und Verfall. Wiederkehrende Motive sind | |
| Transitzonen wie Hofeinfahrten und Hausflure, Hinterhöfe, unbeschriftete | |
| Klingelschilder, Brachgelände und Fassaden von leer stehenden oder kaum | |
| bewohnten Häusern. Ganze Siedlungen sind verlassen und warten auf ihren | |
| Abriss. Schon vor Jahren leistete die städtische Entwicklungsgesellschaft | |
| ganze Arbeit, als sie in multikulturellen Stadtvierteln wie Bruckhausen die | |
| Bagger anrollen ließ. Einige der Häuser, die Laurenz Berges in den | |
| vergangenen zehn Jahren dokumentierte, stehen nicht mehr. Die zugenagelten | |
| Fenster auf den Bildern wirken wie tote Augen. | |
| Dass Berges dennoch keine Elegie anstimmt, zeigen etwa die Innenansichten | |
| der Häuser. Deren Fenster und offene Haustüren verwehren dem Betrachter den | |
| Blick auf die krude Außenwelt, da sie von oft gleißendem Licht, das von | |
| draußen hereinfällt, ausgefüllt werden. Oft aber passte der Fotograf | |
| Situationen ab, in denen die Szenerie in warmes, weiches Tageslicht | |
| getaucht ist. Dadurch wird die Tristesse nicht überhöht, abstoßend wirkt | |
| sie aber auch nicht. Berges stellt die Stadt nicht bloß, er schaut nur | |
| anders auf ihre Schönheit. Manche Ansichten besitzen gar die Anmutung von | |
| Filmsets, die ein detailbesessener Requisiteur penibel nachgebaut hat, um | |
| authentisch zu wirken. | |
| Für den Ortsunkundigen ist jedoch nicht zu erkennen, dass es sich um Motive | |
| aus Duisburg handelt. Selbst auf das schwerindustrielle Setting verweisen | |
| lediglich fünf Schornsteine, die auf einem Foto hinter einem Garagenhof | |
| aufragen. Beinahe sind die Orte auswechselbar, es sind Stellvertreter. | |
| Bekannte Orte mied Berges, oder er wählte Ausschnitte, die keine | |
| geografische Bestimmung zulassen. Lediglich der krumme, inzwischen | |
| zugeschüttete Matena-Tunnel, Schauplatz in TV-Krimis mit dem | |
| „Tatort“-Kommissar Schimanski, dürfte bekannt sein. | |
| Laurenz Berges steht für eine zurückhaltende, gleichwohl nachhaltig | |
| wirkende Fotografie, die auf präziser Beobachtung fußt. Zur Präsentation | |
| seiner Bilder ist die Kontemplation begünstigende Museumsarchitektur in | |
| Bottrop wie gemacht. Leider aber auch geschlossen. | |
| Ursprünglich bis 3. Mai, Josef Albers Museum Quadrat, Bottrop, Katalog | |
| (Koenig Books) 48 Euro | |
| 23 Mar 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Markus Weckesser | |
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