# taz.de -- berliner szenen: Mütterlich oder nur Wedding? | |
Kürzlich habe ich Klopapier gekauft. Nun stand ich mit der Packung an der | |
Kasse und siehe: Viele Leute hatten dieselbe Idee wie ich gehabt. Noch nie | |
hatte ich mit so vielen Menschen gemeinsam Klopapier gekauft. Mir fiel ein | |
alter Vers von mir ein. | |
Kreislauf: | |
Kaufen | |
Kauen | |
Klo | |
Früher war es mir immer furchtbar peinlich gewesen, Klopapier zu kaufen. | |
Ich habe es nur in allergrößter Not getan und ausschließlich, wenn ich eine | |
große Tasche dabei hatte. Ich weiß nicht, wann mir diese Scham verloren | |
gegangen ist. Irgendwann ertappte ich mich jedenfalls dabei, wie ich am | |
helllichten Tage über die Müllerstraße spazierte, eine Packung Klopapier am | |
packungseigenen Tragegriff tragend, als sei sie eine Tasche itself. Was für | |
ein Schock. War ich derart heruntergekommen? Komplett fatalistisch? | |
Vollkommen muttermutiert? Einfach nur Wedding? | |
Eigenartig ist das alles ja schon, sinnierte ich an der Kasse weiter. Auch | |
beim Schimpfen sind die Deutschen so rektalfixiert. Die Flüche vieler | |
Kulturen speisen sich ja aus Sexualität und Misogynie. Mit einem | |
israelischen Freund tauschte ich mich mal über Schimpftraditionen aus. Ein | |
schönes Beispiel: „Mögest du in einer öffentlichen Toilette zum Bild deiner | |
Großmutter onanieren!“ Okay, okay: Die Öffentliche Toilette ist dabei. | |
Aber: Das vorherrschende Motiv ist doch eher sexuell. Und wir so? „Hast du | |
den Arsch offen? Wer hat dir ins Hirn geschissen? Du Arschloch! Das ist | |
Scheiße!“ | |
Das hängt doch irgendwie zusammen? Diese Panik, dass das Klopapier ausgeht | |
und unser fäkales Schimpfen – es muss etwas sehr, sehr Deutsches sein. | |
Haben wir kollektiv die anale Phase nicht überwunden? Vielleicht liegt es | |
aber nur daran, dass es in Deutschland keine Bidets gibt. Kirsten Reinhardt | |
18 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Reinhardt | |
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