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# taz.de -- die steile these: Der politische Tonfall muss härter werden
Von Jan Feddersen und Philipp Gessler
Die Sprache, die Politiker*innen aktuell während der Coronakrise nutzen,
überrascht: Sie ist klar, antihysterisch, transparent, verständlich und
verständig zugleich. Die Ansagen, ob nun von Gesundheitsminister Jens Spahn
oder Bundeskanzlerin Merkel, sind von nüchternster Dringlichkeit.
Verwirrend indes für uns Beobachtende des Sprechens im politischen Raum
ist, dass es so ist, wie es ist. Gewöhnlich nämlich ist die Sprache der
tonangebenden Politik in der Krise unklar, sie markiert nicht
Streitbarkeit, sie umreißt nicht Dissens in realistischer Weise.
Noch jüngst lavierte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann im Interview
mit dem Deutschlandfunk herum, man habe den Rechtsextremismus
sicherheitspolitisch immer im Blick gehabt – die alte Leier auch von ihm
wieder, dass man alles richtigmacht. Nur wenige reden Tacheles. Das
vorherrschende Rumgeeier aber um das, was in diesem Land wirklich Angst
stiftet, drückt sich auch sprachlich aus: Das demokratische Spektrum
artikuliert sich gerade im Hinblick auf das politisch-parlamentarische
Flaggschiff der Rechtspopulisten und Rechtsextremen, die AfD, viel zu
weich, zu uneigentlich, zu undeutlich – fern von spürbarer Wut und
herzhafter Empörung. Überall stattdessen „Phrase unser“, um es mit
christlicher Note zu skizzieren.
Die Sprache des Politischen ist phraseologisch und wertlos geworden.
Formeln wie „auf Augenhöhe“, „empathisch“ oder jene, die behauptet, �…
Menschen“ (wen sonst? Hühner? Hunde? Heckensperlinge?) „mitnehmen“ und
„abholen“ zu wollen, sind von tödlicher Sinnlosigkeit, stanzenhaft und in
emotionaler Hinsicht unglaubwürdig.
Und das ist auch kein Wunder, denn die Sprache des Politischen hat sich in
den vergangenen Jahrzehnten wesentlich geändert: Frühere
Bundestagsdebatten, etwa in den 1960er und ’70er Jahren, waren durch
Politiker wie Franz Josef Strauß oder Herbert Wehner Festveranstaltungen
der politischen Kontroverse, um nicht zu sagen der schneidenden und
polemischen Zuspitzung. Einer wie Wehner scheute vor beinah keiner
Diskreditierung des politischen Gegners zurück. Das war oft nicht
stubenrein, das war nicht sanft, empathisch oder freundlich, das hatte
manchmal auch eine hässliche Aura – und das fand in gewisser Weise starken
Beifall beim Publikum.
Die Institutionen, die fundamental zur Sprachabrüstung beitrugen, waren
die beiden herrschenden Kirchen, die katholische und, vor allem sie, die
evangelische. Die Theologie und in ihrem Fahrwasser die Pädagogik tragen
seit den späten 60er Jahren als wissenschaftliche Deutungsdisziplinen
wesentlich dazu bei, dass heutzutage in allen dominierenden Sphären der
Öffentlichkeit – Politik, Kultur, Universitäten – freundlicher kommunizie…
wird. Beide Amtskirchen fundierten über die Jahrzehnte gesehen wesentlich
die stilistische Übereinkunft, dass alles auf Augenhöhe zu sein habe,
mitnehmend und abholend, empathisch ohnehin, zugewandt und menschlich stets
von wertschätzendster Aufkräuselung.
Aber wenn offiziell nur noch so gesprochen werden darf, ist die Sprache der
öffentlichen Auseinandersetzung fast wertlos geworden. Reden alle nur noch
leidenschaftslos und cool, etwa wie Angela Merkel, bleibt kein Raum für
Deutlichkeit, für Wütendes, Rohes und auch manchmal Falsches, Verletzendes.
Diese Krise der Sprache ist, so gesehen, zugleich Ursache wie Ausdruck der
Krise der Politik. Immer wieder und immer heftiger klagen wir in unserer
Gesellschaft über die Verrohung unserer öffentlichen Sprache, vor allem im
Netz, aber nicht nur dort, die buchstäblich tödliche Folgen haben kann.
Stichworte dazu: Lübcke, Halle, Hanau. Wenn im Parlament eine völkisch
gesinnte Partei wie die AfD (selbst der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak
nennt den AfD-Führer Björn Höcke immer wieder einen Nazi) unverhohlen eine
Sprache des Hasses verbreitet, ja diesen Hass scheinbar hoffähig macht,
dann könnte dies unweigerlich die Sprache aller Menschen, die sich
politisch engagieren, infizieren.
Zugleich legt der Erfolg der AfD nahe, dass diese Partei offenbar eine
Sprache spricht, die viel zu viele Menschen in den vergangenen Jahren oder
Jahrzehnten offenbar in der öffentlichen Debatte vermisst haben. Die AfD
lebt erheblich in ihrer öffentlichen Wahrnehmbarkeit davon, dass ihre
Sprache und ihre Rhetorik die pseudoaugenhöhenhafte Sanftheit robust zur
Seite schiebt – und Klartext zu reden behauptet.
Ist die Sprache der etablierten, demokratischen Parteien – gleich ob aus
der Union, der SPD, den Grünen, der FDP oder der Linkspartei nach Art Bodo
Ramelows – in letzter Zeit womöglich zu insiderisch, zu vorsichtig und in
gewisser Weise zu sanft gewesen? Fehlt es ihr an Klarheit, auch an
emotionaler Härte und Mut? Eine Antwort mag nicht leicht scheinen, denn
eine härtere, weniger sozialpädagogisch-sanfte Rede der Politik stünde ja
auch immer in der Gefahr, die viel beklagte Verrohung der öffentlichen
Sprache noch zu verstärken.
Gut möglich, dass es ein Dilemma ist, aus dem die demokratischen Parteien
nicht herauskommen: Dass sie nämlich einerseits um ihres Erfolges willen
eine holzschnittartig-überdeutliche Sprache nutzen müssten, die ein Grund
für den Aufstieg der AfD ist – aber andererseits genau diese zugespitzte
Sprache eben nicht mehr die Differenziertheit des Ausdrucks erlaubt, die
die komplizierten politischen Probleme der heutigen Gesellschaft eigentlich
erfordern.
Mal rasch in zwei, drei kurzen und klaren Sätzen Weltprobleme beschreiben
oder Lösungen für sie anzubieten – geht das überhaupt? Kann dabei mehr
herauskommen als der unsägliche Twitter-Quatsch des US-Präsidenten Donald
Trump?
Die Volkskirchen haben ähnliche Probleme mit ihrer Sprache – sie erreichen
die Menschen immer weniger. Den Kirchensound finden manche nur noch
lächerlich, auch wenn beim rechten Zuhören einiges Kluges aufzuschnappen
wäre, etwa zur Gerechtigkeit in der Gesellschaft, zum Übel des Rassismus
oder zur Bewahrung der Schöpfung, um es kirchlich zu sagen.
## Die AfD punktet mit grober Sprache
Es dürfte kein Zufall sein, dass AfD-Wähler (es sind ja überwiegend Männer)
in der Regel weder mit den demokratischen Parteien noch mit der
versöhnlerischen Institution schlechthin, der Kirche, etwas anfangen
können. Schließlich wollen sie ja keine Versöhnung, kein Einvernehmen etwa
in Form politischer Kompromisse, sondern Streit, gellenden Streit,
unversöhnliche Auseinandersetzung, eine Revitalisierung des
Freund-Feind-Schemas nach alter Nazi- (und stalinistischer) Logik. Und
dabei geht es nicht nur um Inhalte, sondern auch die Form der Sprache in
beiden Sphären.
Die AfD hat rhetorisch eine Lücke erobert, ihr fällt in ihrem Erfolg zu,
was an Wut und Verzweiflung im Lande gewachsen ist – es sind eben nicht nur
faktisch Faschisten (bitte, dieses Wort möge sparsam verwendet werden), die
der Partei zulaufen, sondern auch Menschen, die in puncto wütiger
Leidenschaft partout keine andere Adresse im politischen Spektrum zu finden
vermögen.
„Phrase unser“: Es wird Zeit, dass in den Kirchen, in den demokratischen
Parteien wieder weniger gesänftelt und empathisiert wird mit allem und
nichts, sondern, vor allem im Hinblick auf den rechtsextremistischen Mob,
deutlich gesagt wird, was Sache ist.
Beispielsweise dies: Wer auch nur ansatzweise irgendwo Verständnis zeigt,
im Internet vorzüglich, für Hassverbrechen wie in Hanau oder in Kassel,
wer den NSU für eine Partysekte hält und ihrer freundlich gedenkt, muss mit
Knast nicht unter 15 Jahren rechnen. Und das bitte wäre die nächste
Neujahrsbotschaft, etwa auch des Bundespräsidenten. Formuliert und
vorgetragen in einem Duktus, der dem Säuseln und der pädagogischen Zurede
so fern ist wie nichts anderes, sondern eines zeigt: Haltung.
Jan Feddersen ist taz-Redakteur für besondere Aufgaben, Philipp Gessler ist
Redakteur der theologischen Zeitschrift zeitzeichen. Von den Autoren ist
kürzlich das Buch „Phrase unser. Die blutleere Sprache der Kirche“
(Claudius Verlag) erschienen.
14 Mar 2020
## AUTOREN
Philipp Gessler
Jan Feddersen
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