# taz.de -- Da ist der Wurm drin | |
> Bei Wilhelmshaven soll zwischen Naturschutzgebieten ein | |
> Flüssiggasterminal entstehen. Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies | |
> (SPD) ist dafür. Eine Ausnahme müsste ein ihm unterstellter Betrieb | |
> genehmigen | |
Bild: Diese Brücke müsste für das LNG-Terminal verlängert und um einen Lieg… | |
Von Christina Gerlach | |
Pygospio elegans ist ein schlanker, winziger Borstenwurm. Nur anderthalb | |
Zentimeter lang, aber er könnte dem geplanten Flüssiggasterminal bei | |
Wilhelmshaven einen Strich durch die Rechnung machen. Denn er lebt in einem | |
schützenswerten Unterwasser-Biotop, genau dort, wo künftig Gas-Tanker | |
anlegen sollen: in der Jade vor Hooksiel. | |
LNG ist das Zauberwort: Liquefied Natural Gas – verflüssigtes Erdgas, das | |
die Energieprobleme lösen soll. LNG-betriebene Motoren sind leiser und | |
stoßen weniger Feinstaub, NOx und CO2 aus. Das Bundeswirtschaftsministerium | |
hat zwar noch nicht entschieden, wer den Zuschlag für ein deutsches | |
Flüssiggas-Terminal bekommt. Denn neben Wilhelmshaven bewerben sich auch | |
Brunsbüttel und Stade. Aber ein Borstenwurm könnte das Projekt an der Jade | |
bereits zu Fall bringen, bevor es richtig begonnen hat. | |
2023 soll das LNG-Terminal in Betrieb gehen, auf das die örtliche | |
Hafenwirtschaft große Hoffnungen setzt. Seit Monaten treibt eine | |
Tochterfirma des Energieriesen Uniper die Planungen dort mächtig voran. Für | |
die Floating Storage and Regasification Unit, kurz FRSU, soll ein weiterer | |
Liegeplatz gebaut werden, an einem Anleger, der schon eineinhalb Kilometer | |
weit in die Jade ragt. Das eigentliche Terminal ist ein schwimmendes | |
Tanklager, das mindestens für die nächsten 20 Jahre dort festmacht und von | |
Flüssiggas-Tankern aus dem Mittleren Osten und den USA beliefert werden | |
soll. Eine Pipeline wird die FSRU mit dem Gasnetz an Land verbinden. | |
Bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung hat das beauftragte Bremer | |
Unternehmen Bioconsult nun Hinweise auf sogenannte | |
Kies-Grobsand–Schillvorkommen entdeckt. „Schill ist die Bezeichnung für | |
Muschelschalen oder -bruchstücke“, erklärt Holger Freund, Geoökologe an der | |
Uni Oldenburg. Er arbeitet im IBCM, dem Institut für Biologie und Chemie | |
des Meeres. In seinem Büro stehen jede Menge Glasröhrchen mit | |
Sedimentproben. „Dieser einzigartige Lebensraum ist kleinräumig in der | |
Nordsee verteilt und gilt als besonders schützenswert, weil wir sonst | |
bestimmte Artengemeinschaften verlieren“, sagt Freund. | |
Der Borstenwurm Pygospio elegans hat also Glück. Sein Lebensraum, den er | |
sich mit zahlreichen anderen winzigen Organismen teilt, fällt eindeutig | |
unter Paragraf 30 des Bundesnaturschutzgesetzes. Das weiß auch | |
Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). „Im Moment gehen alle davon | |
aus, dass es eine besonders schützenswerte Struktur ist“, bestätigt Lies, | |
gebürtig aus Wilhelmshaven und ein Befürworter des LNG-Terminals. Sein | |
Kabinettskollege, Wirtschaftsminister Bernd Althusmann (CDU) rechnet | |
deshalb bereits mit zehn bis zwölf Monaten Verzögerung. Das ist nach | |
Einschätzung des Geoökologen durchaus realistisch. | |
Für Wilhelmshaven ist das ein herber Rückschlag auf dem angepeilten Weg zur | |
Energiedrehscheibe Deutschlands. Die Hafenwirtschaft will endlich positive | |
Nachrichten. Die beiden Kohlekraftwerke in Wilhelmshaven sollen stillgelegt | |
werden, der Tiefwasserhafen Jade Weser Port dümpelt auch acht Jahre nach | |
Inbetriebnahme weiter vor sich hin. Und dann so ein Aufstand wegen ein paar | |
Würmern am Meeresgrund? | |
Geoökologe Freund warnt: „Ein Biotop ist kein geschlossenes System. Es lebt | |
nicht für sich allein.“ Es sei Teil eines komplexen Systems schützenswerter | |
Lebensräume. „Von Gesetz wegen hat man die Aufgabe, sich entsprechend zu | |
kümmern.“ Deshalb kümmert sich das niedersächsische Umweltministerium jetzt | |
auch – allerdings um eine Befreiung vom Bundesnaturschutzgesetz für das | |
Flüssiggas-Vorhaben. „Wenn es zur Befreiung kommt, dann ist der Eingriff | |
möglich“, sagt der Minister im Hinblick auf die Umsetzung des | |
LNG-Projektes. Er hat auch gleich ein ähnliches Beispiel parat: Den Jade | |
Weser Port, in direkter Nachbarschaft zum geplanten Flüssiggas-Terminal. | |
Dort seien auch Ausgleichsmaßnahmen geschaffen worden. Lies sieht das | |
Projekt deshalb grundsätzlich nicht gefährdet, sagte er im NDR-Fernsehen. | |
Möglicherweise, weil ausgerechnet eine ihm unterstellte Behörde die | |
Befreiung vom Naturschutzgesetz genehmigen kann: Der NLWKN, der | |
Niedersächsische Landesbetrieb für Wasser- Küsten- und Naturschutz, ist für | |
den wasserseitigen Teil des Vorhabens zuständig. „Genau deswegen sitzt auch | |
die zuständige Genehmigungsbehörde sehr eng mit dem Vorhabenträger | |
zusammen“, sagt Lies. Denn man müsse jetzt überlegen, wie man damit umgehe. | |
Geoökologe Freud ist skeptisch. Ein Umsiedeln sei kaum möglich, gibt er zu | |
bedenken. „Man kann sich das nicht so richtig vorstellen, dass jemand mit | |
einer Schaufel runtergeht, die Sandkörner zusammen mit den Organismen | |
aufnimmt und sie woanders wieder hinschüttet.“ Den Befreiungsantrag müsste | |
das planende Unternehmen stellen, also die Tochterfirma von Uniper. Das | |
Prüfverfahren habe aber noch nicht begonnen, teilt der NLWKN aktuell mit. | |
„Auch das wird aufwendig und zeitraubend“, vermutet Freund. Mit speziellem | |
Gerät müssten Sedimentproben vom Meeresgrund genommen und analysiert | |
werden. Zumindest eine Galgenfrist für den Borstenwurm. | |
Auf alle Fälle bringt das Zeitgewinn für die Bürgerinitiative gegen das | |
Flüssiggasterminal. „Wir haben jetzt ein paar Monate mehr, um die Anwohner | |
zu informieren, zu sensibilisieren und auf die Gefahren aufmerksam zu | |
machen“, sagt Sabine Hillmann. Es sei „geradezu fahrlässig“, dass | |
Deutschland auf fossile Energie setze. Ausgerechnet auf eine Technologie, | |
für die verflüssigtes Fracking-Gas aus den USA importiert werden solle. | |
„LNG ist nicht nur flüssig, sondern überflüssig.“ | |
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat den geplanten Standort scharf | |
kritisiert, weil er von Naturschutzgebieten mit höchstem Schutzstatus | |
umgeben sei. Nun fordert die DUH, das Projekt aufzugeben. „Es ist | |
klimaschädlich, unrentabel und es würde wertvolle Naturräume zerstören.“ | |
Möglicherweise erhöhen sich jetzt die Chancen der Mitbewerber Stade und | |
Brunsbüttel. Probleme soll es auch dort geben. Aber der Wurm ist nur in | |
Wilhelmshaven drin. | |
11 Mar 2020 | |
## AUTOREN | |
Christina Gerlach | |
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