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# taz.de -- Berliner Linksfraktion in Klausur: Wie weiter nach dem Mietendeckel?
> Enteignung wäre machbar: Die Linksfraktion diskutiert über die Koalition,
> die Verkehrswende und die Vergesellschaftung von Immobilienkonzernen.
Bild: „Differnenzen fair sichtbar machen“: Die LinksfraktionschefInnen Bluh…
Berlin taz | Gut eineinhalb Jahre sind es noch bis zur nächsten
Parlamentswahl in Berlin – nur noch, muss man sagen. Denn zumindest bei
zwei der drei Regierungspartner in Berlin sind erste Anzeichen von
hektischem Gebaren zu erkennen. Die SPD wählt Mitte Mai die Nachfolger von
Parteichef Michael Müller; sollte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey
wie erwartet gewinnen, wäre sie auch als Spitzenkandidatin gesetzt – nicht
alle in der Partei sind davon und ihrem potenziellen Co-Parteichef Raed
Saleh überzeugt.
Bei den Grünen steht die Kür der Spitzenkandidatin Ende November an, und es
ist keineswegs sicher, dass die lange als First Lady gehandelte
Wirtschaftssenatorin Ramona Pop das Rennen machen wird.
Personaldebatten sorgen immer für Unruhe in Parteien und in den davon
betroffenen Koalitionen, schließlich geht es um Macht, den Kern der
Politik. Die Auseinandersetzung zwischen SPD und Grünen um die gescheiterte
Bewerbung Berlins für die Automesse IAA vergangene Woche ist ein Beispiel
dafür.
Die Berliner Linke versucht sich dagegen als ruhender Pol innerhalb von
Rot-Rot-Grün zu präsentieren, allen aktuellen Wirrungen um
[1][Erschießungskommandos] und Wagenknecht’schem Populismus auf
Bundesebene zum Trotz. „Die Linke soll in der Sache Argumente austauschen,
Differenzen kenntlich machen, aber nicht in einen Überbietungswettbewerb
bei der Verhinderung von Projekten einsteigen“, riet Fraktionschef Udo Wolf
[2][zu Beginn einer Fraktionsklausur] am Freitag und Samstag den 27
Abgeordneten. Die Wahl werde 2021 entschieden und nicht schon jetzt. Was
das Personal angeht, läuft bei der Linken alles auf eine Spitzenkandidatur
von Kultursenator Klaus Lederer hinaus.
Tatsächlich hat die Linke mit dem vor wenigen Tagen in Kraft getretenen
Mietendeckel für Berlin etwas abgeliefert, was für die eigene Klientel
höchst erfreulich und gleichzeitig höchst wahlkampftauglich ist, weil es
breite Schichten anspricht. Der Deckel friert die Mieten von 1,5 Millionen
Wohnungen für fünf Jahre ein; ab Jahresende können hohe Mieten abgesenkt
werden. Ob das Gesetz verfassungskonform ist, wird in Karlsruhe entschieden
werden.
Der Mietendeckel sei eine echte Leistung, auch von ganz Rot-Rot-Grün; noch
dazu eine, die nicht im Koalitionsvertrag stand, lobten RednerInnen. Ohne
Druck von jenseits des Parlaments wäre er aber nicht zustande gekommen.
„Das hat funktioniert, weil gesellschaftliche Gruppen dahinter gestanden
haben, die sagten: „Wir brauchen das“, gab Parteichefin Katina Schubert
offen zu. Sprich: Ohne engagierte Stadtgesellschaft und Initiativen wäre
Rot-Rot-Grün bei Weitem nicht so innovativ in Berlin.
Das gilt für zwei weitere Politikbereiche, mit denen sich die Fraktion auf
der Klausur beschäftigte: der Verkehrswende und der Debatte über eine
Enteignung von großen Immobilienkonzernen. Letztere wurde vor allem von der
[3][Initiative Deutsche Wohnen] vorangetrieben, die einen Volksentscheid
darüber anstrebt. Innerhalb der Koalition hat besonders die Linkspartei
deren Position übernommen und unterstützt.
Am Samstag legte der einstige Wirtschaftssenator Harald Wolf eine Rechnung
vor, nach der eine Vergesellschaftung des mit rund 100.000 Wohnungen
größten Immobilienkonzerns in der Stadt den Landeshaushalt sogar entlasten
würde. Denn die Entschädigung müsse sich nicht starr am Marktwert der
Immobilien orientieren, sagte Wolf und berief sich dabei auf das
Bundesverfassungsgericht. Der Gesetzgeber könne auch eine darunterliegende
Entschädigung festlegen. Vor allem dürfe die Höhe der Entschädigung nicht
den Zweck der Überführung in Gemeineigentum konterkarieren.
## 100 Millionen Euro Gewinn
Würde man den Spekulationsgewinn und die bestehenden Verbindlichkeiten für
die Berliner Immobilien herausrechnen, kommt man laut Wolf auf eine
Entschädigungssumme von 4,35 Milliarden Euro. Bei einer Abzahlung über 18
Jahre und einer Einbeziehung der Mieteinnahmen würde das Land sogar gut 100
Millionen Euro pro Jahr Gewinn machen. „Es geht, man kann es machen, und es
ist sinnvoll, weil wir damit einen spekulativen Kreislauf auf dem Berliner
Immobilienmarkt unterbrechen“, sagte Wolf. Das sorgte für [4][Euphorie bei
den KlausurbesucherInnen], auch wenn Wolf von einer „groben
Beispielrechnung“ sprach, in der etwa der Mietendeckel noch nicht voll
eingepreist ist.
Die öffentliche Debatte über die Vergesellschaftung dürfe bald an Fahrt
aufnehmen. Denn zum einen ist die Prüfung des Entwurfs der Initiative
Deutsche Wohnen enteignen durch die Senatsinnenverwaltung fast
abgeschlossen. Allerdings ist nach Einschätzung vonseiten der SPD noch
offen, ob es sich um eine Gesetzesinitiative oder einen bloßen Appell
handelt. In der Koalition sei vereinbart, sich bald mit der Initiative an
einen Tisch zu setzen, um strittige Punkte zu klären und gegebenenfalls
nachzubessern, sagte die linke Co-Fraktionschefin Carola Bluhm; sie hofft
auf einen Termin innerhalb der nächsten Wochen.
Zum anderen glaubt Bluhm, dass sowohl der Mietendeckel als auch die
Enteignung von Wohnungsunternehmen eine Diskussion „unglaublich nah an den
Menschen der Stadt und deren Problemen“ seien; der Mietendeckel allein
bringe zwar Zeit, löse aber nicht auf Dauer das Problem fehlender Wohnungen
und hoher Mieten. Udo Wolf appellierte daher, auf die ideologischen Reflexe
der Gegner nicht ideologisch zu reagieren, sondern „sehr genau sachlich zu
begründen, warum Vergesellschaftung ein sinnvolles politische Instrument
ist“. Allerdings teilen bisher weder Grüne geschweige denn die SPD diese
Position.
Ein zweites Thema auf der Tagesordnung war die Verkehrspolitik und dabei
die allzu langsame Umsetzung der Verkehrswende, wie mehrere RednerInnen
betonten. Ein Vorwurf, der seit geraumer Zeit von vielen Seiten der grünen
Verkehrssenatorin Regine Günther gemacht wird. Tenor: Viel versprochen,
wenig gehalten, etwa was das von AktivistInnen erst möglich gemachte
Radgesetz betrifft oder den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, etwa der
Tram oder auch der S-Bahn.
## Keine Pauschalkritik, bitte!
Udo Wolf wollte das nicht als pauschale Kritik an Günther verstanden
wissen: „Rot-Rot-Grün gewinnt gemeinsam oder verliert gemeinsam“, betonte
er. Gleichwohl monierten mehrere RednerInnen deutliche Missstände in der
Arbeit von Günthers Verwaltung, auch was die Anbindung geplanter Baugebiete
an den Nahverkehr angeht und dadurch den Neubau von Wohnungen stark bremse
– was letztlich selbst von Koalitionspartnern wiederum der linken
Bausenatorin Katrin Lompscher angelastet wird.
Aber auch innerhalb der Linksfraktion gibt es Dissens, etwa über einen vor
allem von der CDU und Teilen der SPD geforderten Ausbau der U-Bahn. So
verlangten mehrere Redner auf der Klausur, dies nicht kategorisch
auszuschließen, wie es Lompscher und die Fraktionsführung tun mit der
Begründung, dass der Ausbau teuer sei, viele überirdische Baustellen
verursache und es vor allem sehr lange dauere, bis die Strecken fertig
seien, sprich: zur Entlastung beitragen können. Stattdessen sollte die Tram
ausgebaut werden, was auch die Grünen unterstützen. „In der Linken
diskutiert nur Lichtenberg über den Ausbau“, kommentierte ein Abgeordneter
die Debatte am Rande.
Der Versuch der Linken, sich künftig aus Koalitionskrach herauszuhalten,
ergibt indes Sinn, wenn man die Umfragewerte anschaut. Danach hat
Rot-Rot-Grün seine Mehrheit gegenüber der Wahl 2016 auf 56 bis 57 Prozent
ausgebaut; die Linke liegt aktuell mit 17 Prozent vor der SPD, aber
deutlich hinter den Grünen, die bei einem solchen Ergebnis den Regierenden
Bürgermeister stellen würden.
Allgemein wird allerdings mit Spannung beobachtet, ob eine
Spitzenkandidatin Giffey die SPD aus ihrem Tief herausholen könnte.
Letztlich deutet aber derzeit alles darauf hin, dass es 2021 zu einer
Neuauflage dieser Koalition kommt. Die Linke wiederum ist am stärksten
darauf angewiesen, SPD und Grüne haben zumindest theoretisch andere
Optionen. Kein Wunder, dass Klaus Lederer erklärte, das Rot-Rot-Grün stabil
arbeite. Und: „Diese Koalition passt wie keine andere zu dieser Stadt.“
8 Mar 2020
## LINKS
[1] /Riexinger-ueber-Aeusserung-zu-Reichen/!5666317
[2] /Berliner-Links-Fraktion-in-Klausur/!5669944
[3] /Volksbegehren-stellt-Plan-vor/!5657277
[4] /Rot-Rot-Gruen-und-die-Enteignungsfrage/!5670022
## AUTOREN
Bert Schulz
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