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# taz.de -- nord🐾thema: „Deutschland ist ein sehr konservatives Land“
> Das Frauenbild in der Werbung großer Marken beginnt sich langsam zu
> wandeln. Die Gründerin des Hamburger Vereins Pinkstinks erklärt, wo neue
> Gefahren auftauchen, was Geschlechterklischees mit Menschen machen und
> warum die Bundesrepublik immer ein bisschen hinterherhinkt
Bild: Auch Plus-Size-Models bilden nicht unbedingt ab, wie Frauen realistisch a…
Von Katharina Kücke
taz: Weiblich, weiß, schlank: Lange Zeit sah so das ideale Model einer
Werbekampagne aus. Was hat sich in den letzten Jahren verändert, Frau
Schmiedel?
Stevie Schmiedel: Es ist eine Bewegung erkennbar, die durch die
#metoo-Debatte und verschiedene feministische Initiativen angestoßen wurde.
Bei großen Marken findet man nicht mehr so häufig klare, sexistische
Übergriffe in der Werbung. Es gibt natürlich immer noch sehr viele
Stereotype und viel rosa und hellblau – insbesondere im mainstreamigen
Segment –, aber es ist gemäßigter geworden; zumindest bei den ganz großen
Marken. Auffällig ist jedoch, dass insbesondere Hersteller von
Kinderspielzeugen immer wieder Presse-Stunts aufführen und suggerieren,
dass sie schon verstanden hätten, dass sich was ändern muss. Von „Barbie“
gibt es beispielsweise eine Plus-Size-Barbie. Da ging es nur darum, die
eigene Marke voranzubringen.
Woran erkennt man, dass es sich lediglich um eine Marketing-Strategie
handelt?
Daran, ob die beworbenen Produkte auch verkauft werden. Auf der Startseite
vom Produzenten Mattel findet man die Plus-Size-Barbie gar nicht. Man
findet sie aber in der Pressemitteilung und auf irgendwelchen Unterseiten.
Zwar verkauft Mattel die sogenannten „diversen Barbies“ online, definiert
aber nicht, was das bedeutet. „Divers“ könnte also eine Barbie sein, die
braune Haare hat. Wir haben Menschen auf der Straße gefragt, ob sie schon
mal eine Barbie im Rollstuhl gesehen haben. Diese Barbies kennen die Leute
nicht, weil es sie im Laden eben nicht zu kaufen gibt.
Wenn wir uns die Werbung in Deutschland so anschauen: Wer kommt vor und wer
nicht?
Das kommt auf die Marke an. H&M ist zum Beispiel sehr divers geworden in
den letzten Jahren. Die zeigen mittlerweile immer ein Plus-Size-Model und
viele Hautfarben. Viele große Marken wie Nike oder Adidas, sogar große
Automarken, haben verstanden, dass sich bei Diversität und Gender etwas
ändern muss. Trotzdem ist Werbung von vielen Marken, die weniger
erschwinglich sind, immer noch sehr weiß und schlank; sehr stereotyp.
Typische Models, die eher unerreichbar scheinen. Da hat sich gerade in
Deutschland noch sehr wenig getan. International kann man da eine
Veränderung sehen, etwa in den USA und dem Vereinigten Königreich.
Victoria’sSecret zum Beispiel wirbt jetzt nur noch mit Plus-Size-Models und
verzichtet auf Bildbearbeitung.
Verkaufen sich weiße, schlanke Models etwa doch nicht besser?
Bei Victoria’s Secret hat man lange geglaubt, man könnte Gender-Diversity
und Plus-Size komplett ignorieren und müsste weiter mit dem weißen Engel
arbeiten. Das hat aber zu einem drastischen Absturz im Verkauf geführt. Die
Kritik an dem typischen, sehr schlanken, einheitlichen Schönheitsbild der
Victoria’s-Secret-Lady wurde immer lauter. Für die Konsumentin war klar:
Wir müssen nicht das Mode-Häschen im Engel-Look sein, wir wollen einfach
tolle Unterwäsche für uns kaufen – egal, wie wir aussehen.
Spiegelt sich dieses Umdenken auch anderswo?
„America’s Next Topmodel“ wurde in den USA längst abgesetzt aufgrund
mangelnder Einschaltquoten. Die Langeweile mit der stereotypen Norm ist in
den USA und Großbritannien sehr rasant gekommen. Auch auf Netflix und
Amazon kommen viel mehr Sendungen mit diversen Charakteren vor als im
deutschen Fernsehen. Wir merken international eine Veränderung im
Konsument*innenverhalten, die wir hier im Deutschland noch nicht so haben.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Bei uns kommt immer alles als Letztes an. Diese ganze Welle an pinkem
Spielzeug für Mädchen gab es in meiner Kindheit in den 70er Jahren noch
nicht. Diese Diversifizierung von Jungs- und Mädchen-Spielzeug ist in
Deutschland erst später gekommen, dementsprechend kommt auch die Kritik
daran später. Wir sind auch mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf
noch nicht so weit wie andere. Deutschland ist generell ein sehr
konservatives Land, wir haben teilweise noch unglaublich klassische
Vorstellungen davon, wie Jungs und Mädchen behandelt werden sollten.
Würden Sie sagen, dass eine medial reprozierte klare Einteilung in Frau und
Mann problematisch ist?
Natürlich, weil wir Diskriminierungen haben, die mit Stereotypen
zusammenhängen. Frauen bekommen immer noch weniger Gehalt und werden
weniger ernst genommen im Beruf. Das liegt auch daran, dass sie
zurückhaltender erzogen werden, anstatt zu lernen, sich durchzusetzen.
Jungs hingegen haben nach wie vor große Probleme, ihre Gefühle zu
artikulieren und haben dadurch eher die Problematik, sich nicht ausdrücken
zu können. Sie haben daher weniger emotionales Vokabular, sind eher Sucht
gefährdet und neigen zu Depressionen. Wir haben auf beiden Seiten
Diskriminierungen, die deshalb bestehen, weil wir sie – auch durch die
Wirtschaft – anerziehen.
Hat sich durch die sozialen Medien etwas verändert?
Studien zeigen, dass das Frauenbild, das in den sozialen Medien gezeigt
wird, das der 50er Jahre widerspiegelt. Es ist ganz wichtig, sich –
insbesondere als junges Mädchen – auf Instagram mit ermächtigenden,
bestärkenden Kanälen zu umgeben, die eine Alternative zu dem bieten, was da
verbreitet wird. Instagram ist wahnsinnig sexistisch und die großen Etats
gehen natürlich an Frauen, die aussehen wie Models. Es ist ein bisschen wie
Reality-TV – man folgt deren Leben und kann sich mit ihnen identifizieren.
Und gleichzeitig haben sie ganz stereotype Messages. Im Grunde ist
Marketing durch Instagram noch subtiler geworden; man kann es nicht gleich
als Werbung identifizieren. Als Kind oder junges Mädchen jedenfalls nicht.
Wie kann man Kinder davor schützen?
Indem man es thematisiert – auch in der Schule. Pinkstinks stellt zum
Beispiel einmal die Woche bestärkende Kanäle vor. Mädchen und Frauen sollen
sich ihre Timeline so zusammenstellen, dass sie mit coolen Memes und
bestärkenden Botschaften begrüßt werden. Es ist wichtig, sich eine Umwelt,
beziehungsweise Timeline zu schaffen, die einen nicht herunterzieht,
sondern aufbaut.
Was sollte sich in den nächsten Jahren ändern?
Es müssen viel mehr Gespräche zwischen Wirtschaft und Politik stattfinden.
Die Bundesregierung könnte viel mehr mit dem Zentralverband der deutschen
Werbewirtschaft sprechen, um klar zu machen, was Stereotype bedeuten. Warum
mehr Diversität wichtig ist für die Gleichberechtigung im Land. Der
Werberat müsste viel besser ausgestattet und Werbung stärker reglementiert
werden. Wenn wir Artikel 3 des Grundgesetzes ernst nehmen wollen, dass der
Staat für Gleichberechtigung sorgt, muss er diese Aufgabe auch annehmen.
7 Mar 2020
## AUTOREN
Katharina Kücke
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