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# taz.de -- nord🐾thema: Geschichten aus der Dunkelheit
> Susan Kreller wurde ungewollt zu einer „mutigen Autorin“. In ihren
> Kinder- und Jugendromanen geht es um Kindesmisshandlung und ostdeutsche
> Heimatlosigkeit. Manchen ist das ein zu harter Stoff
Von Sophie Lahusen
Sie fühlen sich einsam und manchmal hilflos, sie sind mit Gewalt und
Ungerechtigkeit konfrontiert und vor allem: Sie sind Kinder.
Die ProtagonistInnen aus Susan Krellers Kinder- und Jugendromanen
beschäftigen sich mit anderen Dingen als mit Liebesbriefen, stiller Post
und Klingelstreichen. Sie sind keine kichernden wilden Hühner und auch
keine dreckigen wilden Kerle. In Krellers Büchern leben die Kinder in eher
dunklen Welten, sie erleben früh Dinge, vor denen Erwachsenen sie
vielleicht hätten schützen wollen, aber diese Dinge passieren, ob in
Krellers Romanen oder in der Realität.
Für ihre Werke mit sozialkritischen Themen wurde die Autorin aus der
damaligen DDR immer wieder mit Preisen ausgezeichnet: Allein drei Mal wurde
Kreller für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert, den sie 2015 für
ihren Roman „Schneeriese“ gewann. Im Januar wurde sie von Radio Bremen und
dem Zeit-Verlag mit dem Luchs-Preis geehrt für ihr neuestes Werk
„Elektrische Fische“ – eine Geschichte über die Heimatlosigkeit und die
Tristesse einer Kindheit in der damaligen DDR.
Darin hat die junge Protagonistin Emma ihre Heimat Irland zusammen mit
ihren Geschwistern gegen den fiktiven Ort Velgow an der Ostsee
eingetauscht. Sie sind ihrer unglücklichen Mutter gefolgt, die nach einer
gescheiterten Ehe zurück zu ihren Ursprüngen, zurück nach Ostdeutschland
will: Die durchlöcherte Hauptstraße noch Thälmannstraße, an Silos hat man
„Lügenpresse“ geschmiert und das ewige Grau der Häuser wirkt unendlich.
Kreller errichtet eine triste Welt, die sich wie eine Mauer vor dem
eigentlich unbeschwerten Dasein der Kinder aufzubauen scheint. „Ich bin
halb traurig und halb gar nichts“, sagt Emma. Düstere Worte aus dem Mund
eines Kindes.
Dieser Kontrast zwischen harter Realität und kindlicher Ehrlichkeit ist es,
was Krellers Werke so interessant macht. Interessant und gleichzeitig
umstritten. In ihrem Debütroman „Elefanten sieht man nicht“ spricht Kreller
über Kindesmisshandlung. Für viele ein absolutes Tabu, wenn es um das
Bücherregal von Minderjährigen geht. „Natürlich verkaufen sich Bücher mit
solchen gesellschaftskritischen Themen schlechter als
Teenie-Liebesgeschichten“, aber darum ginge es ihr nicht, sagt Kreller. Sie
schreibe Bücher aus einem persönlichen Bedürfnis heraus.
Sie erzählt, wie der Todesfall „Jessica“ aus Hamburg im Jahr 2005 sie tief
getroffen habe: eine Siebenjährige, die von ihrer Mutter seit ihrer Geburt
misshandelt und in einem dunklen Raum verschlossen wurde. „Vor allem die
Hilflosigkeit der Gesellschaft bei dem Thema zu sehen, hat viel mit mir
gemacht.“ „Elefanten sieht man nicht“ ist deshalb auch nicht nur als
Anklage gegen gewaltbereite Eltern zu lesen, sondern vor allem auch als
Porträt der Ohnmacht – des zu oft stillen Umfeldes.
Viele Kinderärzt*innen hätten sich nach der Veröffentlichung des
Kinderbuches bei ihr gemeldet und sich für ihren Mut bedankt, über dieses
Thema zu schreiben, sagt die Autorin. „Ich wusste nicht, dass ich etwas
Mutiges tue, es war für mich selbstverständlich, über etwas zu schreiben,
was mich so traurig gemacht hat.“ Die Reaktionen hätten ihr allerdings
gezeigt, dass sie ungewollt einen Nerv getroffen habe. Von Eltern bekam sie
zurück, dass sie ihren Kindern niemals eine solche Geschichte vorlegen
würden, sie hätten Angst, ihr Kind damit zu überfordern.
Doch was kann man Kindern in Büchern zumuten, wo liegen die Grenzen
zwischen Jugend- und Erwachsenenliteratur? Susan Kreller macht da keinen
großen Unterschied. Sie schreibt sowohl für ein junges als auch für ein
altes Publikum. „Das einzige, was sich bei Kinder- und Jugendromanen
ändert, ist die Perspektive.“ So sind ihre Protagonist*innen immer ungefähr
so alt wie die Zielgruppe ihrer Romane.
Kreller ist sich bewusst darüber, dass sie ihren jungen LeserInnen mit den
Themen oft viel zumutet. „Allerdings“, sagt sie, „gibt es in meinen
Geschichten immer Hoffnung, kein typisches ‚Happy End’, aber ein sehr
helles Ende.“ Sie würde ihre Bücher nie ohne Hoffnung enden lassen.
Hoffnung hieße dabei allerdings nicht, dass sie Lösungen für die
thematisierten Probleme aufzeige. Ganz im Gegenteil spricht Kreller davon,
dass sie in ihren Werken eher weitere Fragen stellt als Antworten zu
liefern. Moralische Fragen und Entscheidungsfragen, die jeder Leser und
jede Leserin ganz persönlich und nur für sich beantworten kann.
22 Feb 2020
## AUTOREN
Sophie Lahusen
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