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# taz.de -- „Wann kommt die Fee und macht mich endlich zum Mädchen?“
> Der Ethikrat ging der Frage nach, ob und wann man bei Kindern und
> Jugendlichen mit Transidentität intervenieren soll. Er empfiehlt, dass
> nicht gegen den Willen der Betroffenen entschieden wird
Bild: Kinder werden schnell abgestempelt, wenn sie den ihnen zugewiesenen Gesch…
Von Ulrike Baureithel
„Wann kommt die Fee und macht mich endlich zum Mädchen?“ Dieser Stoßseufz…
der kleinen, 1991 geborenen Felizia Weidmann berührt. Die Studentin
erinnert sich an ihr schon sehr früh wahrgenommenes Bewusstsein, als Junge,
der sie scheinbar war, in einem falschen Körper zu stecken. „Damals wusste
man wenig über Transsexualität, immer sagte man, man solle die Pubertät
abwarten.“ Die Panik kam dann eben mit der Pubertät, die Angst vor der
drohenden Männlichkeit, die depressive Verstimmungen und Suizidgedanken
auslöste. „Ich hätte mir gewünscht“, sagt sie, „es hätte damals schon
Veranstaltungen gegeben wie diese.“
Wer die 28-jährige schmale Frau mit den dunklen Haaren heute sieht, würde
nicht auf den Gedanken kommen, dass sie einmal als Junge geboren wurde.
Grazil wirkt sie hinter dem Rednerpult in der völlig überfüllten
Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, in der der Deutsche
Ethikrat regelmäßig das Forum Bioethik abhält. Mancher erinnert sich noch
an eine turbulente Veranstaltung zum Thema Intersexualität, die
aufgeheizte, aggressive Stimmung damals. Dieses Mal ist die Atmosphäre
nicht ganz so aufgeladen, aber es knistert. Denn die Frage, ob und wann man
bei Kindern und Jugendlichen mit Transidentität intervenieren soll, ist
ein bioethisches Fass, das aufzumachen, einigen Mut bedarf. Mut, weil
Trans-Identität seit einigen Jahren in das hochverminte Feld von
identitäts- und queerpolitischen Geschlechterdiskursen geraten ist.
Klar ist, dass die lange Zeit angemaßte medizinische Deutungshoheit über
das Empfinden und Erleben der Betroffenen viel Schaden und Leid angerichtet
und Vertrauen zerstört hat. Erst vor Kurzem hat die
Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Krankheitsschlüssel
„Geschlechtsidentitätsstörung“ gestrichen und Transsexualität
entpathologisiert. Das deutsche Transsexuellengesetz setzt für eine
Personenstandsänderung keine körperliche Angleichung mehr voraus.
Heute ist statt von einer „Störung“ von „Geschlechterinkongruenz“ die …
führte Ethikrätin Claudia Wiesemann ein. Aber wann sind Kinder und
Jugendliche in der Lage, derart weitreichende, zum Teil irreversible
Entscheidungen zu treffen, deren Tragweite sie oft nicht überblicken?
Gerade die besondere Verletzlichkeit dieser Betroffenengruppe mache es
notwendig, sich über einen angemessenen Umgang mit den therapeutischen
Möglichkeiten zu verständigen, so Wiesemann.
Zunächst einmal sind nicht alle Fälle so eindeutig gelagert, wie der von
Felizia Weidmann, deren Geschlechtsanpassung offenbar glücklich verlaufen
ist. Aus dem Publikum wurde später bemängelt, dass keine Betroffenen
eingeladen worden seien, die ihre Entscheidung bereut haben, etwa, weil sie
sich dadurch ihren Kinderwunsch nicht mehr erfüllen können. Eine
behandlungsbedürftige Genderdysphorie, erläuterte der Sexualwissenschaftler
und Kinder- und Jugendpsychiater an der Uniklinik München Alexander Korte,
liege nur dann vor, wenn der Leidensdruck der Betroffenen relevant sei.
Korte gehört zu den Skeptikern der vorschnellen Intervention, die in der
Vorpubertät oft schon mit der Entscheidung für eine pubertätshemmende
Medikation einhergeht. Denn auffällig ist, da sind sich alle einig, dass
die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die die einschlägigen Ambulanzen
aufsuchen, in den letzte Jahren dramatisch angestiegen ist und der Anteil
der Mädchen, die glauben, ein Junge zu sein, immer höher wird. Auf einen
Jungen kommen derzeit acht Mädchen, früher war das Verhältnis eher
umgekehrt.
Korte geht von einem „Trans-Hype“ aus, einer vor allem medial unterstützten
Bewegung, die suggeriere, es sei schick, trans zu sein. Damit ist er sich
einig mit der Zeitschrift Emma, die gerade ein entsprechendes
Schwerpunktheft auf den Markt gebracht hat. Die Argumentation: Frauen haben
seit Jahrzehnten gegen biologische Rollenzuweisungen gekämpft. Inzwischen
greife wieder ein „Schubladendenken“ um sich, das auf Eindeutigkeit
ausgerichtet ist. Gleichzeitig verschwimmen die Kategorien, sodass sich ein
Transmann ungehindert in Frauenräumen einnisten kann, nur weil er sich als
„Frau“ empfindet. Das sei „ein Angriff auf die Frauenrechte“. Ähnlich …
es viele Homosexuelle, die fürchten, dass einer angelegten Homosexualität,
die Jugendliche sich nicht auszuleben trauen, mit „dem Messer“ begegnet
wird.
Auch Korte ist der Meinung, dass die Hemmung der Pubertät den Jugendlichen
die „altersgerechten sozio-sexuellen Erfahrungen“ vorenthält. Er machte
auch auf die Nebenwirkungen entsprechender Hormongaben – von
Gedächtnisverlust über schwindende Knochendichte bis hin zu Depressionen –
aufmerksam, wobei ihm von verschiedenen Seiten vorgeworfen wurde, die
ohnehin lückenhaften Studien einseitig zu interpretieren und den Fokus auf
die „Aussöhnung“ mit dem Geburtsgeschlecht zu legen.
Der Kinder- und Jugendpsychiater Georg Romer, der am Uniklinikum Münster
Betroffene begleitet, räumt indessen auch die Schwierigkeiten ein, die die
Beurteilung einer frühen Transition mit sich bringt. Die andere
Geschlechtsidentität könne sich zwar in jedem Alter ausbilden, aber vor der
Pubertät, sagte er, sei eine verlässliche Voraussage, ob die Betroffenen
nicht doch zu ihrem ursprünglichen Geschlecht zurückkehren, sehr schwierig.
Andererseits verwies er auf die „Begründungslast“ von Ärzt*innen, wenn sie
den Wunsch nach pubertätshemmenden Eingriffen nicht nachkämen.
„Entscheidungen sind nur in der Verantwortungsgemeinschaft mit den Kindern
oder Jugendlichen und Eltern zu treffen.“
Ähnlich sieht es die Mainzer Juristin Friederike Wapler, die das, wenn es
um Transition geht, vielfach aufgerufene „Kindeswohl“ nicht
vormundschaftlich verstanden wissen will. Aus grund- und
menschenrechtlicher Perspektive sei in jedem Einzelfall die
Entscheidungskompetenz des Kindes oder Jugendlichen abzuwägen und
„partizipative Entscheidungsprozesse“ auf den Weg zu bringen: „Abwarten i…
keine Lösung.“ Dem hat sich der Ethikrat in seinen vorläufigen Empfehlungen
angeschlossen. Das Justizministerium bereitet gerade einen entsprechenden
Gesetzentwurf vor.
Till Amelung, Transmann und Autor einschlägiger Publikationen, hob das
Thema noch einmal auf die gesellschaftspolitische Ebene. Ein
Geschlechtswechsel sei nicht immer der Ausweg. Er erlebt in Onlineforen
immer wieder, dass sich Menschen als trans bezeichnen, es aber gar nicht
sind, sondern andere Dimensionen, etwa unerfüllbare rigide
Rollenerwartungen einfach wegschieben. „In der Transcommunity kommt oft zu
kurz, wie wir mit dem Anderssein umgehen.“ Wenn sie daran denke, warf die
moderierende Ethikrätin Judith Simon irgendwann ein, wie oft sie sich als
Frau und in der weiblichen Rolle nicht heimisch gefühlt habe! Auch das
könnte den Wunsch vieler Mädchen, lieber ein Junge zu sein, befördern.
28 Feb 2020
## AUTOREN
Ulrike Baureithel
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