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# taz.de -- nordđŸŸthema: Was wirklich von der Menschheit ĂŒbrig bleibt
> Ein Gruß aus der Post-Apokalypse: Das kollektivistische StĂŒck „Macht’s
> gut“ des Hamburger Regie-Absolventen Woody Mues auf Kampnagel ist Debatte
> und VermÀchtnis
Bild: Kreativer Prozess: Team um Woody Mues beim StĂŒckentwickeln
Von Hanna Klimpe
Der Titel der Abschlussinszenierung von Woody Mues – Absolvent der
Hamburger Hochschule fĂŒr Musik und Theater – und seinem Team, den
Dramaturg*innen Paul Marwitz und Flavia Wolfgramm sowie dem BĂŒhnenbildner
Anton von Bredow ist ebenso weltumspannend wie konkret-pragmatisch: Sein
StĂŒck „Macht’s gut“, das bald auf Kampnagel Premiere hat, handelt davon,
wie die letzten Menschen in einer post-klimaapokalyptischen Welt im Jahr
2.320 versuchen, eine letzte Nachricht an einen unbekannten Adressaten zu
formulieren.
„Die Idee ist aber auch daraus entstanden, dass ich es als Titel meiner
Abschlussinszenierung ganz passend fand“, sagt Mues. „Wenn man einen
letzten Gruß hinterlassen könnte, stellvertretend fĂŒr die ganze Menschheit,
was wĂ€re das? Es sollte bloß nichts Moralisches sein, sondern eher die
Quintessenz des TschĂŒss-Sagens.“
„Macht’s gut“ ist als kollektivistische StĂŒckentwicklung konzipiert. „…
Schöne an einer StĂŒckentwicklung ist, dass man mal von diesem leidigen
Übersetzen wegkommt“, sagt Mues. „Ich erzĂ€hle einfach gern Geschichten auf
der BĂŒhne und mag es, als Team rumzuspinnen, eine Welt zu entwerfen und zum
Leben zu erwecken. Wenn man dabei aus verschiedenen Bereichen kommt, sich
ergĂ€nzt und widerspricht, kann das dadurch nur reicher werden.“
FĂŒr das Team hat das nicht nur eine kĂŒnstlerische, sondern auch eine
politische Komponente, sagt Flavia Wolfgramm: „Ich habe mich viel damit
beschÀftigt, wie ich arbeiten möchte. Was sind Strukturen und Bedingungen,
die ich mir vorstellen kann? Wer darf was auf der BĂŒhne sagen aus welcher
Position? Wie erschaffe ich eine multiperspektivische ErzÀhlweise, bei der
alle etwas finden, wo sie andocken können?“
Auch die Protagonisten in „Macht’s gut“ ringen auf der BĂŒhne damit, was …
Menschheit ausgemacht hat und was von ihr als Erinnerung weitergetragen
werden sollte. „Ich finde es spannend, ein Bild zu schaffen, das weder
utopisch noch dystopisch und auch kein christlicher Gedanke von Ende ist.
Sondern ein MissverstÀndnis, ein Fragen, was da kommen kann, ein
DarĂŒberstreiten“, sagt Anton von Bredow. „Wir haben viel Schnee auf der
BĂŒhne, und darunter werden MissverstĂ€ndnisse oder Relikte der Menschheit
herausgefischt.“
Die Figuren sind dabei keine „realen“ Menschen, sondern vier –
zugegebenermaßen eher eurozentristische – Archetypen. „Die Idee dazu war,
dass man diese Figuren als vier Punkte eines Koordinatensystems denkt, die
Konflikte austragen. Wir haben eine Art Faust, einen Mephisto, eine
dionysische Figur und einen Archivar, der die gesamten GesprÀchsprotokolle
der Menschheit archiviert hat“, erklĂ€rt Paul Marwitz.
Inspirieren ließ sich das Team unter anderem von Karl Kraus’„Die letzten
Tage der Menschheit“, aber auch von Douglas Adams, Helmut HeißenbĂŒttels
„Der Wassermaler“ und „Einige Nachrichten an das All“ des
Gegenwartsdramatikers Wolfram Lotz. Diese heterogenen EinflĂŒsse sind das
Ergebnis des kollektivistischen Zugangs, mit dem viele junge Theatermacher
liebÀugeln.
Mit den finanziell besser abgesicherten, aber oft immer in noch
feudalistischen Strukturen verharrenden deutschen Stadttheater sind solche
ZugÀnge oft schwer vereinbar. Die diesjÀhrigen Absolvent*innen haben
deshalb ein Manifest verfasst, in dem sie schwören, dass ihre Kunst immer
unter fairen Bedingungen entstehen soll.
Wo sie diese Strukturen schaffen können, sehen die vier unterschiedlich.
„Ich persönlich sehe mich eher in der freien Szene, aber da kommt auch
dazu, dass ich aus dem Opernbereich komme, wo die Strukturen und
Hierarchien noch verkrusteter sind“, sagt Flavia Wolfgramm. „Außerdem gibt
es in der Oper einen enormen Druck, bestimmte Stoffe zu machen, weil sie
gut laufen. Und dann gibt es noch ein paar Experimente, die sich niemand
anguckt. Solange ich als junge Frau die Sicherheit noch nicht brauche, ist
es fĂŒr mich gewinnbringender, Gleichgesinnte zu treffen, kollektivistisch
zu arbeiten und mir zu ĂŒberlegen, wie Musiktheater fĂŒr mich aussehen soll.“
Anton von Bredow sieht am Stadttheater aufgrund der besseren finanziellen
Situation grĂ¶ĂŸeren Handlungsspielraum: „FĂŒr mich als BĂŒhnenbildner hat das
eine ganz praktisch-pragmatische Komponente: In der freien Szene kann ich
deutlich weniger utopisch denken, weil ich immer die Machbarkeit im Auge
behalten muss.“
Einig sind sich die KĂŒnstler*innen: Die Institution ist an sich gut, aber
in ihrer jetzigen Form ziemlich marode. Woody Mues etwa sagt: „Ich liebe
das Stadttheater als Idee und Behauptung eines Ortes, der fĂŒr die ganze
Gesellschaft geschaffen und in seiner Struktur Modell dieser Gesellschaft
ist. Aber wie wir in unserem Manifest geschrieben haben: Oft wird auf der
BĂŒhne lautstark angekreidet, was hinter der BĂŒhne eiskalt reproduziert
wird. Ich finde auch, alles fließt zu sehr in eine Richtung, ĂŒber die
Etagen hinweg wird einander kaum zugehört. Zum Beispiel in der Frage, was
die Leute vom Theater wollen. Da hat man doch in jedem großen Haus die
Möglichkeit, Menschen unterschiedlichster Berufe und Bereiche zu befragen
und ein VerstĂ€ndnis von einem Theater fĂŒr die ganze Gesellschaft zu
entwickeln. Es scheint festgefahren. In der freien Szene ist mehr Raum fĂŒr
progressive strukturelle EntwĂŒrfe.“
Auch Paul Marwitz ist skeptisch: „Im Prinzip finde ich, dass wir mit der
deutschen Stadttheaterlandschaft ein großes Privileg haben, das sehr viele
Möglichkeiten bietet. Ich wĂŒrde mir in meinem VerstĂ€ndnis von Theater auch
eher ein Ziel setzen, das ich am Stadttheater gerade nicht sehen kann – was
ich aber auch nicht ausschließen möchte. Die Frage ist, welche
Möglichkeiten es kulturpolitisch gibt, unter fairen Bedingungen zu
arbeiten.“
Und wie sÀhe das utopische Theater aus, vorausgesetzt, die Menschheit
macht’s noch ein bisschen? „Schön wĂ€re auf jeden Fall ein breites Publiku…
dass die Schwellen gesamtgesellschaftlich sinken und dass die Kunstformen
noch mehr in einen Dialog treten“, sagt Wolfgramm. „Der bĂŒrgerliche
Theaterbegriff, der sich in den letzten 250 Jahren ins kollektive
GedĂ€chtnis eingebrannt hat, muss reframed werden“ sagt Marwitz, und Mues
fĂŒgt hinzu: „Mir ist, ganz platt gesagt, persönlich wichtiger, dass man
hinter der BĂŒhne gerecht ist als vorne.“
Woody Mues: „Macht’s gut“, Premiere am 28. 3., weitere Vorstellungen 29.
und 30. 3., Kampnagel
29 Feb 2020
## AUTOREN
Hanna Klimpe
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