# taz.de -- „Einige Radwege sind für mich lebensgefährlich“ | |
> Detlef Pätzold ist fast täglich mit seinem Handbike im Hamburger Verkehr | |
> unterwegs. Ein Gespräch über den Traum, sich zu bewegen, Verkehrspolitik | |
> und was an Radfahrer*innen nervt | |
Bild: Trägt keinen Helm, aber eine blaue Mütze: Detlef Pätzold düst mit sei… | |
Interview Sabrina Winter | |
taz: Herr Pätzold,Sie sind heute morgen mit Ihrem Handbike fünf Kilometer | |
von Eppendorf nach Altona gefahren. Wie war Ihr Weg? | |
Detlef Pätzold:Viele Leute haben mich angelächelt. Ich weiß nicht, ob das | |
vielleicht an meiner blauen Strickmütze lag? Allerdings haben mir allein | |
heute morgen vier Fahrradfahrer*innen die Vorfahrt genommen – und das | |
ziemlich knapp! Sie sehen nur den Rollstuhl und denken, ich bewege mich | |
langsam. Da verschätzen sie sich total und ich muss in die Eisen steigen | |
oder woandershin lenken. Das ist anstrengend. | |
Ärgern Sie sich oft über Fahrradfahrer*innen? | |
Ja! Die düsen bei Rot über die Ampeln und kennen keine Verkehrsregeln. Es | |
gibt Leute, die wollen einfach die Größten sein auf dem Fahrrad. So | |
richtige Machos! Andererseits finde ich es auch toll, in Hamburg unterwegs | |
zu sein. | |
Toll? | |
Ich habe hier so viele Begegnungen mit Menschen und spreche oft mit | |
Passant*innen. Sie sehen, da sitzt jemand im Rollstuhl – und ist aktiv. Das | |
nimmt den Horror vor dem Rollstuhl. Denn im Rollstuhl zu sitzen, ist ja | |
immer negativ beladen. Für mich bedeutet das Handbike: Lust an der | |
Bewegung. Denn ich bin seit 63 Jahren behindert und es war immer ein Traum | |
von mir, Fahrrad zu fahren. | |
Heute sind sie 66 Jahre alt. Wie kam es, dass Sie mit drei Jahren behindert | |
wurden? | |
Ich bin an Kinderlähmung erkrankt. Genau wie viele andere Kinder damals, | |
die nicht geimpft wurden. Dennoch habe ich wahnsinniges Glück gehabt: Ich | |
habe eine normale Schule besucht, eine Banklehre gemacht, Abitur | |
nachgeholt, studiert, eine kleine Familie gegründet. Meine Frau leitet eine | |
Kita und ich helfe manchmal aus. Das macht Spaß! | |
Wie lange sind Sie schon mit dem Handbike unterwegs? | |
Ungefähr 20 Jahre lang. | |
Sie kurbeln das Handbike mit ihren Händen an. Da braucht man viel Armkraft, | |
oder? | |
Ich habe Unterstützung durch einen Elektromotor. So muss ich zwar kurbeln, | |
aber komme leichter voran. 13 Jahre lang bin ich ohne Motor gefahren. Doch | |
dann hatte ich eine Operation an der Schulter. | |
Ihr Handbike ist halb Fahrrad, halb Rollstuhl. Auf welchen Wegen fahren Sie | |
damit? | |
Offiziell nennt sich das Krankenfahrstuhl. Damit darf ich überall fahren – | |
auf Straßen, Rad- und Fußwegen. Behinderte Menschen sollen ja überall | |
hinkommen. So kann ich zum Beispiel auf der falschen Radweg-Seite fahren, | |
um zu Geschäften zu kommen. Das musste ich sogar mal der Polizei erklären. | |
Die Polizei kennt ihre eigenen Verkehrsregeln nicht? | |
Die meinten, ich sei zu schnell unterwegs und auf der falschen Seite. Als | |
ich ihnen erklärt habe, dass es ein Krankenfahrstuhl ist, mussten die | |
Polizist*innen klein beigeben. | |
Sind die hohen Bordsteine in Hamburg ein Problem für Sie? | |
Nein, das geht richtig gut. An vielen Ecken ist der Bordstein abgesenkt. In | |
Süddeutschland und in kleineren Städten ist das eher nicht so. Da ist es | |
schwieriger für mich. | |
Wie oft parken Autos die abgesenkten Bordsteine zu? | |
Das ist mein täglich Brot. Ich habe auch schon erlebt, dass ein Autofahrer | |
mit der Schnauze auf den Fußweg rauf gefahren ist. Und zwar so, dass ich | |
nicht durchgekommen bin, weil der Fußweg so eng war. Das habe ich ihm | |
gesagt. Er sagte dann: Ich kann das Auto nicht zurücksetzen, dann steht das | |
Heck auf der Straße. | |
Wie gehen Sie mit solchen Leuten um? | |
Ich versuche, im Gespräch zu bleiben. Wenn gar nichts geht, lasse ich die | |
Autos abschleppen. | |
Wie ist es für Sie, sich den Weg mit Fußgänger*innen zu teilen? | |
Da habe ich dazugelernt! | |
So? | |
Ich musste lernen, dass ich die Fußgänger*innen erschrecke. Denn die | |
Geräusche meines Handbikes können die Leute nicht gleich zuordnen. Es gibt | |
viele Menschen, die nicht gut zu Fuß sind – nicht nur ältere, auch jüngere. | |
Da musste ich lernen, Rücksicht zu nehmen. | |
Haben Sie eine Klingel? | |
Ja, aber die benutze ich nicht. | |
Was machen Sie dann? | |
Ich spreche die Leute an. Viele möchten aber lieber das Klingeln hören, | |
weil sie das besser einordnen können. | |
Sind Sie mit dem Zustand der Radwege in Hamburg zufrieden? | |
Einige Radwege benutze ich nicht, weil sie für mich lebensgefährlich sind. | |
Zum Beispiel, wenn die Wurzeln den Weg aufgebrochen und erhöht haben. Dann | |
kippt der Rollstuhl um und ich liege da. | |
Gibt es noch andere Tücken? | |
Auch die grauen Fußplatten von Verkehrsschildern sind gefährlich für mich. | |
Die Platten sind an der Seite angeschrägt. An den Reifen meines Rollstuhls | |
gibt es Ringe, um den Rollstuhl mit den Händen anzuschieben. Wenn diese | |
Ringe an die abgeflachten Platten treffen, hebelt das den Rollstuhl zur | |
Seite. An solchen Stellen muss ich vorsichtig sein. | |
Was muss sich im Hamburger Verkehr ändern? | |
Wir brauchen mehr Raum für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen. Das ist das | |
Entscheidende. Gerade wenn man sich Fahrradwege ansieht, die zum Teil | |
winzig sind. Auf Dauer funktioniert das so nicht. | |
Sollten Autos dann weniger Platz bekommen? | |
Ja. Ich glaube, das viele ihr Auto gar nicht nutzen müssen. Sie könnten es | |
einfach abstellen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt fahren. | |
Dann ist natürlich die Frage: Sind die öffentlichen Verkehrsmittel gut oder | |
fühlt man sich darin gestresst, weil es ist wie in einer Konservendose? | |
Nutzten Sie selbst öffentliche Verkehrsmittel? | |
Nein. Vor 30 Jahren bin ich häufig mit dem Bus gefahren. Aber inzwischen | |
fühle ich mich dabei nicht mehr sicher. Denn ich bin nicht mehr so | |
standfest wie früher. | |
Den Bus haben Sie zu Fuß genutzt, nicht mit dem Rollstuhl? | |
Ja, früher ging das noch. Den Rollstuhl ohne den Vorsatz, also das | |
Handbike, benutze ich kaum. Vielleicht mal in der Mönckebergstraße zum | |
Einkaufen. | |
Also profitieren Sie gar nicht vom barrierefreien Ausbau, der in den | |
vergangenen Jahren vorangetrieben wurde? | |
Gerade nicht, aber ich könnte theoretisch davon profitieren. Eigentlich bin | |
ich traurig, dass der barrierefreie Ausbau so lange gedauert hat. Ich habe | |
mich 40 Jahre lang in der SPD engagiert. Schon als Juso habe ich dafür | |
gekämpft. Jetzt bin ich in Rente, die Politiker*innen basteln immer noch | |
daran rum – und freuen sich, dass einige Haltestellen jetzt barrierefrei | |
sein. Ich weiß gar nicht, wie viele Anträge ich dazu gestellt habe. Wenn es | |
um den Ausbau von Haltestellen geht, stehen ja lächerlich geringe Summen im | |
Raum. | |
Warum wurde der Ausbau dann nicht früher schon vorangetrieben? | |
In der Hamburger SPD gab es massive innere Widerstände. Barrierefreiheit | |
wurde zwar immer beschlossen, aber nicht umgesetzt. Ich weiß auch nicht, | |
was sich da in den Köpfen der Funktionäre abgespielt hat. Das war schon | |
merkwürdig. Ich kann es mir nicht erklären. | |
Wenn der Platz zu knapp wird, weichen Sie auf die Straße aus. Ist das nicht | |
gefährlich? | |
Nö. Ich fahre dann weiter vom Bordstein weg. Wenn ich mehr Straßenraum in | |
Anspruch nehme, sehen mich Autofahrer*innen eher. Schließlich bin ich in | |
dem Rollstuhl relativ niedrig und schaue von unten nach oben. Da ist es | |
schon reizvoll, wenn neben mir so ein riesiger Laster steht. | |
Reizvoll ... Haben Sie keine Angst? | |
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Auto- und Lkw-Fahrer*innen sehr | |
achtsam sind. Ich denke, so ein Rollstuhl zeigt ihnen: Sie haben Glück, | |
dass sie im Auto sitzen und laufen können. Denn jeder könnte im Rollstuhl | |
landen und keiner will es. Darum sind sie vorsichtig. | |
22 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Sabrina Winter | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |