| # taz.de -- Wahlkampf mit multikulturellen Grüßen | |
| > Sie tritt bei jeder Wahl an, geklappt hat es noch nie. Die unabhängige | |
| > Kandidatin Bérangère Bultheel will mit linken Idealen in die Bürgerschaft | |
| > einziehen | |
| Bild: Will, dass alle wählen dürfen. Am besten sie: Bérangère Bultheel | |
| Von Thilo Adam | |
| Wenn Bérangère Bultheel in den Wahlkampf zieht, streift sie sich rote | |
| Arbeitshandschuhe über. Sie klemmt sich ihren Biertisch unter den Arm und | |
| geht durch die Ottenser Fußgängerzone. Um ihr großes Banner am Tisch zu | |
| befestigen, hat sie einen Streifen Klettverschluss ans Holz getackert. Ein | |
| paar der spitzen Klammern stehen heraus – deshalb die Handschuhe. Bultheel | |
| betreibt eine Do-it-yourself-Kampagne. Sie ist Einzelbewerberin im | |
| Wahlkreis Altona – ohne Chance, aber mit beeindruckend langem Atem. | |
| In die Bürgerschaft will sie, wie sie zuvor in die Bezirksversammlung | |
| wollte. Ins Europaparlament. In den Bundestag. Seit sechs Wahlen kandidiert | |
| sie bei jeder Gelegenheit. Ein Mandat bekommen hat sie noch nie. | |
| „Enttäuschend“, sagt Bultheel. Aber auch: „Ich kandidiere weiter.“ | |
| Irgendwann muss es doch klappen. Wenn alle immer wieder die gleichen | |
| Parteien wählen, ändere sich ja nichts. Bultheel will ändern. Fast eine | |
| Stunde lang feilscht sie am Telefon um einzelne Formulierungen in ihren | |
| Zitaten in diesem Text. Sie behält die Dinge gern selbst in der Hand – und | |
| steckt ihre ganze Energie in jedes Detail. | |
| 2015 gründete sie die „Sozialliberale Demokratische Partei“ SLDP, 70 | |
| Mitglieder sollen es inzwischen sein. In der Fußgängerzone in Ottensen aber | |
| ist Spitzenkandidatin Bultheel sich selbst die einzige Wahlkampfhelferin. | |
| Sonnenschein und Samstags-Shopping – ideales Wahlkampfwetter. Auch SPD und | |
| Linke haben ihre Stände aufgebaut. Auf einer Bank blinzeln Männer aus | |
| Schlafsäcken ins Licht, ihr Hund schnüffelt an Bultheels Biertisch. Sie | |
| gibt den Männern keine Flyer – und das ist fast ein bisschen überraschend. | |
| Denn eigentlich ist bei Bultheels Partei thematisch für alle was dabei. | |
| „Ausländerfreundlich, frauenfreundlich, judenfreundlich, multikulturell, | |
| sozial, humanistisch, ökolinksliberal, demokratisch“: Die | |
| Adjektiv-Ansammlung findet sich auf Flyern, Plakaten, in ihren Mails. | |
| Selbst Textnachrichten beendet sie „mit multikulturellen, | |
| ökolinksliberalen, demokratischen Grüßen“. | |
| Ein Paar schlendert auf den Biertisch zu. Sie trägt Nasenpiercing, er eine | |
| Strickmütze, die nicht über die Ohren reicht. Bultheel legt los. Sie kann | |
| sehr schnell sehr viel sagen, kennt Paragrafen auswendig, Steuersätze und | |
| die Verfehlungen der Konkurrenz. Das Paar nickt etwas überrumpelt und | |
| Bultheel breitet ihre Vision für Hamburg aus: eine elektrische Straßenbahn, | |
| 1.200 Euro Mindest-Nettoeinkommen, günstige Mieten, mehr Sozialwohnungen | |
| und kostenfreier ÖPNV. „Eigentlich’n cooler Ansatz“, sagt die Passantin. | |
| Bultheel wurde in Frankreich geboren. Nach Deutschland kam sie, um | |
| Politikwissenschaften zu studieren. Sie verliebte sich, heiratete, blieb. | |
| Seit 20 Jahren lebt sie hier, exakt die Hälfte ihres Lebens. Inzwischen | |
| bringt sie Geflüchteten Deutsch bei. Ihr liegen Menschen am Herzen, die neu | |
| sind in Deutschland, wie sie es einst war. Deshalb will sie, dass alle die | |
| hier leben, wählen dürfen, egal, ob sie die deutsche Staatsbürgerschaft | |
| haben oder nicht. Immer wieder, erzählt sie, werde sie deshalb bedroht und | |
| angefeindet. | |
| Tatsächlich kommt an diesem Nachmittag ein wohlfrisierter Grauhaariger in | |
| blauer Funktionsjacke ganz nah an den Tisch und zischt: „Sie zerstören | |
| meine Identität. Ich bin für nichts außer für Deutschland.“ Der Senior | |
| rauscht davon. | |
| „Ich habe genug von diesem rassistischen Land“, sagt Bultheel. Manchmal | |
| frage sie sich, ob sie ihre Energie an Menschen verschwende, die sie gar | |
| nicht verdient hätten. Zurück nach Frankreich gehen, kommt nicht infrage, | |
| „auch dort gibt es leider einen Rechtsruck, der wachsende Rassismus ist | |
| inakzeptabel“. Über Norwegen aber denke sie schon länger nach, „ein | |
| multikulturelles, tolerantes Land“. Erst mal geht sie aber natürlich davon | |
| aus, dass es diesmal klappt mit dem Bürgerschaftsmandat. | |
| Inzwischen schaffen es die Sonnenstrahlen nicht mehr bis ganz hinab aufs | |
| Pflaster. Nebenan packt „Die Linke“ ihren Stand zusammen. Die SPD ist | |
| längst weg. „Die denken, sie hätten die Wahl schon gewonnen“, sagt | |
| Bultheel, „aber ich mach hier weiter, trotz Kälte.“ Und dann ist plötzlich | |
| der Hund wieder da und hebt direkt vor dem Biertisch das Bein. | |
| Schwierigkeiten, mit denen Bultheel im Wahlkampf klarkommt. | |
| 22 Feb 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Thilo Adam | |
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