# taz.de -- Mit Tinder für den Weltfrieden | |
> Die Hamburger Bürgerschaftskandidatin Linda Moulhem Arous will mit einer | |
> Dating-App die Wählerschaft erreichen. Und ist damit nicht die Erste | |
Bild: Erreicht ihre Wähler*innen auf vielen Kanälen: Linda Moulhem Arous | |
Von Sarah Mahlberg | |
Wer die Dating-App Tinder benutzt, trifft auf Frauen, die in ihre Profile | |
schreiben, sie suchten keine Milchbubis – „Ich hab’Laktose“. Auf Männe… | |
die schreiben, sie suchten einen Engel am Tag und eine Schlampe für die | |
Nacht. Jedes Profil besteht aus einem Foto, darunter Vorname und Alter der | |
Person. Der Kurztext ist freiwillig. Viele verzichten. | |
Nicht so Linda, 21. Ihr Bild ist ein Wahlflyer, auf dem steht: „Linda | |
Moulhem Arous, die LINKE. Unterstütze mich am 23. Februar mit deinen fünf | |
Stimmen.“ Im Kurztext folgen Emojis der russischen und syrischen Flaggen, | |
darunter „Wahlkampf im 21. Jahrhundert“ und ein paar zentrale Forderungen. | |
„Bisher war die Resonanz eigentlich ziemlich positiv“, berichtet Moulhem | |
Arous, die auf Platz 21 der Landesliste erstmalig für die Linke kandidiert. | |
„Ich bin in den ersten drei Tagen schon mit 20 bis 30 Leuten ins Gespräch | |
gekommen.“ | |
Die Politikstudentin, Tochter eines Syrers und einer Weißrussin, hat ihr | |
Instagram-Profil auf Tinder verlinkt. Die meisten schreiben sie dann da an. | |
Angemacht würde sie aber auch ab und zu. „Obwohl ich schreibe, dass ich | |
hier nur Wahlkampf mache, gibt es Leute, die mir Dinge schreiben, wie „Ich | |
würde gern mal eine Nacht mit dir verbringen“. Die ignoriere sie dann | |
einfach. | |
Trotzdem ist sie von dieser Art von Wahlkampf überzeugt. „Ich bin auf | |
meinen Portalen immer halb privat, halb politisch unterwegs. Damit zeige | |
ich, dass ich auch nur ein Mensch bin.“ Tinder zu nutzen, sei etwas „völlig | |
Normales, ich glaube nicht, dass das bei der jungen Generation komisch | |
ankommt“. Und die nutzt Tinder primär. | |
Der Hamburger Martin Fuchs ist Politik- und Digitalberater, er berät | |
Parteien und Regierungen in ihren Kampagnen und Social-Media-Auftritten. | |
2011 hat er bereits die Bürgerschaftswahl als inoffizieller Wahlbeobachter | |
begleitet. „Die Strategie, mit Tinder für die eigene Politik zu werben, ist | |
klug, weil die Zielgruppe dort sehr klar ist“, sagt er. Wichtig sei, | |
transparent zu machen, dass es einem ausschließlich um politischen Kontakt | |
gehe. Und die Strategie müsse zur Person passen. „Wenn ich eigentlich ein | |
ganz zugeknöpfter Mensch bin, wirkt diese Art von Wahlkampf unglaubwürdig“, | |
sagt Fuchs. „Bestenfalls habe ich die App also auch privat schon genutzt, | |
sonst enttarnt sich so ein Versuch schnell als politisches Manöver.“ | |
Linda Moulhem Arous ist nicht die erste, die mit Tinder Wahlkampf macht. | |
Martin Fuchs hat beobachtet, dass die Strategie schon bei der letzten | |
Bundestagswahl beliebt war, vor allem unter FDP-Kandidat*innen. In den | |
Richtlinien von Tinder steht allerdings, dass politische Kampagnen verboten | |
sind. | |
Und da wäre noch die sexuelle Komponente. Kann das nicht auch den Ruf | |
schädigen? „Für Ältere wirkt so eine Strategie vielleicht etwas | |
schmuddelig. Als Spitzenpolitiker in Deutschland würde ich das vielleicht | |
nicht machen“, sagt Martin Fuchs. Sonst sehe er aber kein Problem darin. | |
Allerdings sei diese Art von Wahlkampf kein Selbstgänger. Mit Dating-Apps | |
mache man im Schnitt einige Hundert Kontakte: „Tinder ist kein Mittel, mit | |
dem man einen Wahlkampf gewinnt.“ | |
Linda Moulhem Arous hat nur geringe Chancen, in die nächste Bürgerschaft | |
einzuziehen. Zwar ist sie in ihrem Wahlkreis Alstertal-Walddörfer auf Platz | |
3, doch hat die Linke dort der letzten Bürgerschaftswahl keinen einzigen | |
Platz geholt. | |
Trotzdem will sie Präsenz zeigen und greift dabei auch sonst zu | |
unkonventionellen Mitteln. So spricht sie samstagabends Leute auf der | |
Reeperbahn an und fordert sie auf, Fragen zu stellen. Auf Youtube finden | |
sich Videos, in denen sie auf Versammlungen der Linken „Bella ciao“ und | |
andere Lieder zur Gitarre schmettert. | |
Mit ihrem Vater, einem Arzt, war Linda während des Krieges in Syrien | |
unterwegs. „Dort gibt es im Krankenhaus eine eigene Station für | |
kriegsverletzte Kinder“, sagt sie. „Und ich schäme mich so dafür, dass ich | |
hier aufwachsen durfte und Privilegien habe, und währenddessen werden vom | |
Hamburger Hafen aus Waffen exportiert.“ | |
Ihre Eltern hätten 2009 noch überlegt, zurück nach Syrien zu gehen. „Mich�… | |
sagt Linda, „hätte es auch treffen können.“ | |
15 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Sarah Mahlberg | |
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