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# taz.de -- Naturschönes und Kunstschöne
> Wiedersehen mit dem Hafen von Ouessant: Das Kino Arsenal zeigt heute Jean
> Grémillons späten Spielfilm„Die Liebe einer Frau“, mit dem der Regisseur
> die Landschaft der Bretagne seinerzeit verzauberte
Bild: Naturschön: Postkartenansicht von Ouessant
Von Peter Nau
Jean Grémillon war ein Pariser Künstler par excellence. 1920, mit 19
Jahren, kam er aus der normannischen Provinz in der Metropole an, um an der
Schola Cantorum Musik zu studieren. Er machte die Bekanntschaft von Malern,
Bildhauern, Leuten vom Theater. Von den großen Komponisten seiner Zeit
lernte er Strawinsky und Milhaud persönlich kennen. Er fand Eingang in den
Kreis der Filmavantgarde; seine Dokumentarfilme trugen in ihrer Verbindung
von spürbarer Annäherung an den Gegenstand und Strenge der Form von Anfang
an etwas Klassisches in sich. Der Sinn für Schönheit war Grémillon so sehr
eingeboren, dass man in keinem seiner Filme die leiseste Spur von etwas
Vulgärem wird auffinden können.
Der Impressionismus seines ersten Spielfilms „Maldone“ (1927) verrät die
Kenntnis der Filme Jean Epsteins und nimmt die Erwerbungen Jean Renoirs in
klarer Fantasieluft vorweg. Der barocke Zauber von „Lumières d’été“ (1…
oder die schweren dynamischen Formen von „Remorques“ (1939–41) standen
schon seinerzeit zu allem, was gang und gäbe war, disparat. Auch linearer
gebaute Filme, zu denen „L’amour d’une femme“ (1953) gehört, sabotiere…
eingefahrene Filmsprache durch das Schwankende, Ambivalente des Tons, in
dem sie gehalten sind.
Dabei ragt mittels der veristischen Außenaufnahmen etwas Beständiges,
teilnahmslos auf sich Beruhendes in die romanhaften Begebenheiten hinein,
welche ihrerseits das Intuitive und Gefühlsmäßige, das Affekthafte und
Leidenschaftsbetonte zu ihrem Element haben. Die drei Titelhelden von
„Gueule d’amour“ (Jean Gabin), „L’étrange Monsieur Victor“ (Raimu)…
„Pattes blanches“ (Paul Bernard) töten aus Liebe. Aber seine Einsicht in
die Übergewalt der Triebe hinderte Grémillon nicht daran, die fühlende und
erkennende Seele seiner unglücklichen Protagonisten zum Schauplatz einer
Rettung verheißenden Willensumkehr zu machen.
Auch in dem Spätwerk „L’amour d’une femme“ (1953), wo eine junge Ärzt…
(Micheline Presle) auf der unwirtlichen und rückständigen Insel Ouessant
den argwöhnischen Bewohnern in stolzer Melancholie entgegentritt, macht
sich die reiche Dunkelheit von Grémillons Wesen geltend. Aber seine Kunst
liefert wunderbarerweise aus sich heraus auch die Antitoxine, deren Wirkung
aufhellender Art ist und in diesem Fall der Filmheldin zugute kommt;
Lebensfreundlichkeit und -gutwilligkeit strahlen vom Rande der
Gesellschaft, von einer Brigade, die mit der Installierung einer
Nebelsirene befasst ist, auf sie aus und geben ihr Mut.
Wie würde der Hafen von Ouessant sich ausnehmen, welches Bild des
Wiedererkennens bei der Einfahrt in ihn entstehen? Dreißig Jahre sind
vergangen, seit Micheline Presle, so wie es mir jetzt bevorsteht, ihren Fuß
auf die Insel setzte. Durch eine felsige Einöde führt die Autostraße
bergaufwärts in die einzige Ortschaft. Wir haben stürmischen, dunklen
Dezember, während damals bei den Dreharbeiten die Unwetter – unter
wolkenlosem Himmel – künstlich erzeugt werden mussten. Ich suche die
Schauplätze auf; an einem Sonntag den kleinen Friedhof, vor dessen Pforte
im zweiten, tragischen Teil des Films eine Lehrerin, gespielt von Gaby
Morley, sterbend zusammenbricht.
Ihr Heraustreten aus der Dorfkirche, ihr schwankendes Nahen: das
unmittelbare, reale Erleben auf meiner Reise tritt zurück; es brennen die
Bilder des Films. Als Traumbilder entführen sie mich in dessen eigene,
innere Zeit. Flüchtig leuchtet in „L’amour d’une femme“ etwas auf, das…
Landschaft verzaubert, etwas, das als mehr erscheint, als was es an Ort und
Stelle, hier jetzt am Schauplatz ist. Das Lückenlose, Gefügte, in sich
Ruhende des Kunstschönen ist Nachbild des Schweigens, aus dem Natur allein
redet.
„Die Liebe einer Frau“ läuft am 13. 2. um 20 Uhr im Kino Arsenal,
Einführung von Peter Nau
13 Feb 2020
## AUTOREN
Peter Nau
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