# taz.de -- debatte: Geliebtes Feindbild | |
> Anlässlich der bevorstehenden Ministerpräsidentenwahl in Thüringen stellt | |
> sich die Frage: Warum tut sich die Union eigentlich so schwer mit der | |
> Linken? | |
Als der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring nach der Landtagswahl im | |
vergangenen Oktober ankündigte, „aus staatspolitischer Verantwortung“ und | |
mit „offenem Herzen“ ins Gespräch mit dem linken Ministerpräsidenten Bodo | |
Ramelow zu gehen, hörte man einen Aufschrei durch die Union gehen, der bis | |
heute nachhallt. Diese Woche nun muss Mohrings Partei bei der | |
Ministerpräsidentenwahl zeigen, wie offen ihr Herz tatsächlich ist. | |
Um Sachpolitik geht es dabei nur am Rande. Dass mit Ramelow der Sozialismus | |
nicht zurückkehren wird, dürfte den meisten in der Union bewusst sein. Im | |
Gegenteil könnte die CDU als „Tolerierungspartner“ einer | |
Minderheitskoalition deutlich mehr Einfluss auf die Regierungspolitik | |
nehmen als bisher – und mehr, als Rot-Rot-Grün lieb sein wird. Warum also | |
tut sich die Union so schwer mit der Linken? | |
Eine Antwort auf diese Frage findet sich in der Geschichte ihres Umgangs | |
mit der Linkspartei und deren Vorgängerin PDS. Daran zeigt sich, dass es | |
für die CDU um viel Grundlegenderes geht als um die Koalitionsbildung in | |
Thüringen. Ihre Haltung zur „SED-Nachfolgepartei“ war immer von zweierlei | |
geprägt: der Sorge um ihre strategische Position im Parteiensystem und der | |
um ihre „antiextremistische“ Identität. Beides steht mit Thüringen auf dem | |
Spiel. | |
Vieles erinnert derzeit an den Sommer 1994. Vier Jahre nach dem Ende der | |
DDR tat die SPD im Nachbarland Sachsen-Anhalt das, worüber sich die Union | |
heute in Thüringen den Kopf zerbricht, nämlich eine Kooperation mit der PDS | |
ausloten. Für die CDU war das damals „geschichtsvergessen“ und eine Gefahr | |
für die Demokratie. „Es gibt Momente, wo man aufstehen muss und den Dingen | |
wehren muss“, so Helmut Kohl. Dahinter stand ein politisches | |
Glaubensbekenntnis. Seit Gründung der Union war der „antiextremistische | |
Konsens“ ihr Leitbild gewesen. Der Glaube, dass vom linken Rand des | |
Parteienspektrums mindestens ebenso große Gefahren für Demokratie und | |
Stabilität ausgingen wie von rechts, gehörte seitdem zur politischen | |
Religion der CDU. Aus dieser Abgrenzung von den „Extremen“ leitete die | |
Union ihr historisches Sendungsbewusstsein ab, für Maß und Mitte, | |
Sicherheit und Stabilität sorgen zu müssen. | |
Unumstritten war das aber schon früher nicht. Gerade in der ostdeutschen | |
Christdemokratie fremdelten schon in den neunziger Jahren viele mit dem | |
Pathos, das dem westlichen Antikommunismus innewohnte: Schließlich war der | |
Kalte Krieg vorbei und die DDR verschwunden. Manche in der Ost-CDU fragten | |
sich, warum parlamentarische Mehrheiten mit der PDS undemokratisch sein | |
sollten. In Thüringen stellen sich heute viele dieselbe Frage. Umgekehrt | |
sorgte man sich damals schon im Konrad-Adenauer-Haus um die Haltung der | |
„Parteifreunde“ in den „neuen Ländern“. Schließlich hatten diese dere… | |
selbst zum „Demokratischen Block“ der DDR gehört und das SED-Regime vier | |
Jahrzehnte lang mitgetragen. Dass ostdeutsche CDU- und PDS-Mitglieder | |
häufig gut miteinander konnten, nicht selten auch befreundet waren, sah man | |
in der Parteizentrale als Ausdruck eines falschen Bewusstseins: Die | |
Propaganda der SED habe „mentale Unterschiede“ hinterlassen, so Kohl. Auch | |
das spielt heute eine Rolle: Jedes Zubewegen der CDU auf die Linke ruft | |
unliebsame Erinnerungen wach. | |
Im Verhältnis der CDU zur Linken gibt es aber noch einen weiteren Aspekt, | |
der seine Vorgeschichte hat. Denn im Adenauer-Haus wusste man immer schon: | |
Die Warnung vor der roten Gefahr mobilisiert nicht nur die eigene Basis, | |
sondern hilft auch, linke Bündnisse gegen die Union zu verhindern. Mancher | |
Christdemokrat freute sich daher im Sommer 1994 regelrecht über die | |
Entwicklungen in Magdeburg: Mit der „Volksfront“ aus SPD, PDS und Grünen | |
würden die Auseinandersetzungen im anstehenden Bundestagswahlkampf | |
„härter“, „wichtiger“ und „fröhlicher“. Die CDU zögerte auch nic… | |
kramte Pläne für eine längst konzipierte „Angstkampagne“ aus der Schubla… | |
und warnte mit den berühmten roten Socken auf dem Plakat vor der | |
„Linksfront“. Auch daran wird sich Mohring dieser Tage erinnern: Verhilft | |
er tatsächlich einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung ins Amt, dann kann | |
es eine erfolgreiche Wiederauflage des Rote-Socken-Hits eigentlich nicht | |
mehr geben. Dann geht der CDU einer ihrer erfolgreichsten Wahlkampfschlager | |
verloren, der bis zuletzt rot-rot-grüne Bündnisse im Bund verhindert hat. | |
Die größte Sorge bereitet der Union aber die eigene Identität. Gibt sie die | |
Frontstellung gegenüber der Linken auf, dann droht sie ein weiteres | |
Kernthema zu verlieren, das ihr Selbstverständnis in der Vergangenheit so | |
stark geprägt hat wie Atomenergie, Wehrpflicht und Grenzschutz zusammen. | |
Dass die heutige Linke, nüchtern betrachtet, längst nicht mehr dazu taugt, | |
die kommunistische Gefahr von früher zu beschwören, ist in dieser Logik | |
nebensächlich. Die Union braucht sie nach wie vor als Feindbild, um den | |
eigenen Zusammenhalt zu sichern – um den es am Ende der Ära Merkel ohnehin | |
schlecht bestellt ist. | |
Und noch ein Gedanke drängt sich auf, der auch aus linker Sicht beunruhigen | |
muss. Das antiextremistische Dogma der Union hatte zwar immer Schlagseite: | |
Der Feind stand links. Es garantierte aber auch, dass CDU und CSU Distanz | |
zu rechts halten mussten, wenn sie es mit „Maß und Mitte“ ernst meinten. | |
Mit der Öffnung nach links steht für die Union daher auch die Abgrenzung | |
vom anderen Rand des Parteienspektrums zur Debatte. Schon jetzt fragen | |
einige in der CDU, warum man mit der Linken kooperieren solle, mit der AfD | |
aber nicht. Auch wenn die Christdemokratie in Thüringen diesmal noch der | |
Versuchung widersteht, mit der neuen Rechten zu paktieren, könnte die | |
Entscheidung das nächste Mal umgekehrt ausfallen. Der „antiextremistische | |
Konsens“ wäre damit tatsächlich in Gefahr. | |
4 Feb 2020 | |
## AUTOREN | |
Thorsten Holzhauser | |
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