# taz.de -- Leben im Kollektiv | |
> Am Dienstag wurde im Literaturhaus Fasanenstraße die aktuelle Ausgabe der | |
> Zeitschrift „Politisch Schreiben – Anmerkungen zum Literaturbetrieb“ | |
> vorgestellt. Es geht ihr um den Status quo des Verlagswesens und die | |
> Auswahlverfahren von Literaturpreisen | |
Bild: Yael Inokai, Kaśka Bryla, Olivia Golde und Eva Schörkhuber von PS | |
Von Julia Wasenmüller | |
„Wovon wir ausgehen: Es gibt keine Frauen- und Minderheitenliteratur. | |
Frauen- und Minderheitenliteratur müssen wir fördern“, steht im | |
Selbstverständnis der Zeitschrift PS: Politisch Schreiben – Anmerkungen zum | |
Literaturbetrieb. Und weiter: „Der Literaturbetrieb ist kein neutrales | |
System. Es bedarf einer Analyse. Wir fragen: Wer sagt was und was sagt | |
wer.“ | |
Am Dienstagabend wurde im Literaturhaus Berlin die Release-Party der | |
fünften Ausgabe der jährlich erscheinenden Zeitschrift unter dem Titel | |
„Total Eclipse of our Hearts“ gefeiert. Dass im Literaturbetrieb noch lange | |
nicht alles gut ist, aber sich doch einiges verbessert hat, wird an diesem | |
Abend deutlich. Der Ort: Eine alte Villa in einer Seitenstraße vom Ku’damm, | |
ein Türbogen mit symmetrischen Blumenmosaiken, ein Café mit sehr weißen | |
steifen Tischdecken und Espresso für drei Euro. Aber dann sitzen auf der | |
Bühne die PS-Redaktionsmitglieder Kaśka Bryla, Eva Schörkhuber, Yael Inokai | |
sowie die Autorin Ariane Razavi und sprechen darüber, wie sie versuchen, | |
den Ausschlüssen und der Konkurrenz im Literaturbetrieb eine Alternative | |
entgegenzusetzen. | |
In der PS stehen etablierte Schriftsteller*innen neben Autor*innen, die | |
sich am Anfang ihrer literarischen Karriere befinden. „Es geht vor allem um | |
die Haltung der Schreibenden, ihre Positionierung und damit ihre spezielle | |
Perspektive auf gesellschaftliche Verhältnisse“, erklärt Yael Inokai. Beim | |
Auswahlverfahren werden die Texte und Viten der Autor*innen daher | |
unabhängig voneinander gelesen. „Wir fragen uns: Welches Potential sehen | |
wir in den Texten? Aber auch, wer passt in unser Netzwerk und wie sehr kann | |
diese Person eine Veröffentlichung gebrauchen?“ Die Ausschreibung richtet | |
sich explizit an Menschen, deren Lebensrealitäten selten Eingang in die | |
Literatur finden und wenn, dann nur unter dem Label der „Migrant*innen-“ | |
oder „Betroffenheitsliteratur“, weil es dafür gerade einen Markt gibt. | |
„Den Widerspruch mit der ‚Frauen- und Minderheitenliteratur‘ aus unserem | |
Selbstverständnis, hat die afroamerikanische Dichterin Pat Parkers schon in | |
den 70ern aufgezeigt, als sie gesagt hat: ‚The first thing you do is to | |
forget that I’m black. Second, you must never forget that I’m black.‘“ | |
Kaśka Bryla ist ein PS-Redaktionsmitglied der ersten Stunde und außerdem | |
bei kanak attak leipzig aktiv. Nach der Veranstaltung hat sie ein Glas Sekt | |
in der Hand und beschreibt ihren Zugang zu Literatur und dem damit | |
verbundenen Business: „Ich verweigere das Schreiben zu sogenannten | |
‚migrantischen Themen‘. Ich bin peinlich genau damit, wie und wann ich | |
darüber spreche. Gleichzeitig ist es meine Lebensrealität, die ich nicht | |
ausblenden kann. In dem was ich schreibe, versuche ich, ‚das Andere zum | |
Allgemeinen‘ zu machen. Ich will nicht akzeptieren, dass das ‚Allgemeine‘ | |
so wie es präsentiert wird, das Allgemeine bleibt.“ | |
Dass Saša Stanišić den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, empfindet Bryla | |
als Erfolg, auch wenn sie sonst nicht viel von Preisen hält. „Wenn man sich | |
anschaut, wer in den Auswahlkommissionen von Stipendien und den Jurys von | |
Literaturpreisen sitzt, merkt man, dass es noch lange dauern wird, bis sich | |
etwas Grundlegendes verändert. Es wird immer noch davon ausgegangen, dass | |
es objektive Gütekriterien für Literatur gibt.“ | |
Die Titel der bisherigen PS-Ausgaben beschreiben, woran man sich in der | |
Kulturszene stören kann: „Konkurrenz und Kanon“, „Genie wider Kollektiv�… | |
„Imagination Krise Wirklichkeit“, „alter“ und im Herbst 2019 plötzlich: | |
„Total Eclipse of our Hearts“. | |
Im Editorial dieser Ausgabe bezieht sich das Redaktionskollektiv auf Audrey | |
Lordes Essay „The Master’s Tools Will Never Dismantle the Master’s House�… | |
„Die PS soll mehr sein als ein Forum für Kritik am Status quo. Wir wollen | |
auch die Möglichkeit einer anderen literarischen Praxis sichtbar machen“, | |
erklärt Eva Schörkhuber. Indem Netzwerke und Kontakte sowie Infos zu | |
Schreibstipendien geteilt werden, soll die Konkurrenz im Business abgebaut | |
werden. Außerdem legt die Redaktion Wert auf ein intensives und | |
persönliches Lektorat – unabhängig, ob ein*e Autor*in Deutsch als | |
Erstsprache hat oder nicht. Anstelle eines Honorars bietet die PS Zugang zu | |
einem Autor*innen-Netzwerk, das sich über den deutschsprachigen Raum | |
erstreckt. Zu „Arm aber sexy“-Künstler*innen heißt es dennoch im | |
Selbstverständnis: „Literatur ist Arbeit. Wir wollen nicht die russischen | |
Pipelines anzapfen müssen, um es am Schreibtisch warm zu haben.“ | |
Wenn man durch die PS blättert, muss man das Heft, das mit über 200 Seiten | |
eigentlich mehr ein Buch ist, immer wieder vom Hoch- ins Querformat drehen. | |
Formal ist es ein Mix aus Essays, Prosa, Lyrik, Dramen und viel dazwischen. | |
Das Kollektiv ad-hoc schafft und bespielt das Genre der | |
„Lohnarbeiterinnenlyrik“. Autor*innen lassen Worte in verschiedenen | |
Sprachen und Schriften stehen. | |
Mittlerweile hat sich in Leipzig ein weiteres Literaturkollektiv gegründet, | |
das sich in Agenda und Namen an PS anlehnt: Die „PMS – Postmigrantische | |
Störung“. „Der Anklang, den PS und PMS finden, zeigen den Wunsch nach einer | |
anderen Richtung. Ich kann mir ein Leben als Autorin ohne Kollektiv gar | |
nicht mehr vorstellen, das ist einfach zu hart“, schließt Bryla, bevor sie | |
sich im Foyer des Literaturhauses ein Stück Sahnetorte holt. | |
www.politischschreiben.net | |
31 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Juri Wasenmüller | |
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