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# taz.de -- nordđŸŸthema: Helfen, um zu lernen
> Die Studentinnen Fenna Ellerbroek und Lea-Marie Diringshoff engagieren
> sich im Herz As, einer TagesstĂ€tte fĂŒr Obdachlose. Eine Studienleistung,
> bei der sie Vorurteile abbauen
Bild: GemĂŒse schnibbeln fĂŒr die Uni: Die Studentin Lea-Marie Diringshoff stud…
Von Nele Spandick
Fenna Ellerbroek legt fĂŒr die Umarmung das Messer zur Seite. „TschĂŒss
Peter“, sagt sie zu einem Mann in Jeansweste. Unter seinem Kapuzenpulli
blitzt ein Tattoo hervor. „In vierzehn Tagen bist du dann wieder da, ne?“,
fragt er. „Ja genau, bis dann.“ Sie nimmt das Messer wieder in die Hand und
schneidet Kohlrabi in Spalten.
Ellerbroek ist 22 Jahre alt. Sie fÀllt in dieser Umgebung schon deshalb
auf, weil sie eine junge Frau ist. Sie trÀgt einen Ring in der Nase und
ĂŒber ihrem T-Shirt baumelt ein silbernes F an einer Kette. Um die HĂŒften
hat sie sich eine lange KochschĂŒrze gebunden. Seit Oktober hilft sie
Dienstag vormittags im Herz As, einer Aufenthaltsstelle fĂŒr Wohnungslose im
Hamburger MĂŒnzviertel. Mit dabei: ihre Freundin Lea-Marie Diringshoff. Sie
studieren zusammen Geografie im dritten Semester. Und auch ihr Engagement
hÀngt mit dem Studium zusammen.
Die UniversitĂ€t Hamburg bietet ein Programm mit dem Namen „Hamburg fĂŒr alle
– aber wie?“ an. Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen können sich
dafĂŒr im Rahmen ihrer frei wĂ€hlbaren Kurse anmelden. Sie besuchen einmal in
der Woche eine Ringvorlesung, bei der Akteur:innen aus der Obdachlosenhilfe
VortrĂ€ge halten. Außerdem suchen sie sich ein Projekt aus, bei dem sie sich
engagieren, und reflektieren das in einem Seminar. Sie machen Exkursionen
zu Einrichtungen und haben ein Theorieseminar, in dem das Thema
wissenschaftlich beleuchtet wird.
Zum Sommersemester endet das Programm. Diringshoff erzÀhlt, dass sie dann
trotzdem weiter ins Herz As kommen will. „Klar macht man das auch ein
bisschen fĂŒr sich selbst“, sagt sie, „aber heute zum Beispiel braucht man
uns schon echt.“ Eigentlich hĂ€tten hier zwei andere Menschen helfen sollen,
doch deren Aufenthaltsgenehmigung ist gestern abgelaufen. Jetzt herrscht
Personalmangel in der KĂŒche. Also schĂ€lt sie die Möhren. Im Herz As
arbeiten viele ehemalige Obdach- und Wohnungslose mit. Sie sollen so wieder
lernen, Verantwortung zu ĂŒbernehmen und einen regelmĂ€ĂŸigen Tagesablauf zu
haben. Von der KĂŒche ĂŒber die Verteilung der Duschmarken bis zur
Postausgabe – fĂŒr nichts davon gibt es Hauptamtliche.
Und neben den ehemaligen GĂ€sten helfen weitere Ehrenamtliche. Oft seien das
Menschen wie Ellerbroek und Diringshoff, die ursprĂŒnglich ĂŒber ein Projekt
ins Herz As kamen, sagt der Leiter der Einrichtung, Andreas Bischke. FĂŒr
ihn gehe es dabei gar nicht nur darum, Hilfe zu bekommen, sondern, wie er
sagt, um Lobbyarbeit. Die meisten Menschen hÀtten keinen Kontakt zur
Obdachlosigkeit – außer auf der Straße. „Es geht darum, den Menschen mit
allen Seiten kennenzulernen“, sagt er. „Ein Mensch ist ja nie nur
obdachlos.“
Das hat Diringshoff direkt am ersten Tag gemerkt. Da wurde sie von einem
Gast beim „Mensch Ă€rgere dich nicht“ besiegt, spĂ€ter habe sie ihn dann am
Hauptbahnhof wiedergetroffen. Plötzlich mit ganz anderen Augen. Und auch
fĂŒr Ellerbroek hat sich seit Beginn des Projekts der Blick auf
Obdachlosigkeit geÀndert, zum einen wegen der VortrÀge in der Uni, aber vor
allem wegen der Menschen, die sie hier kennengelernt hat. „Wir werden mit
Problemen konfrontiert, von denen wir vorher nicht wussten, dass es sie
gibt.“ Ein Gast hatte gerade einen Job bekommen, da wurde seine Kontokarte
gesperrt. Er konnte kein neues Konto eröffnen. Und ohne Konto kein Gehalt.
„Das sind so SelbstverstĂ€ndlichkeiten fĂŒr uns. Deswegen hat man das nicht
prĂ€sent.“
Ob sie vorher Angst vor diesen Begegnungen hatten? Ellerbroek verneint.
„Das sind ja auch einfach Menschen.“ Wovor sie allerdings ein bisschen
Angst hatte, war die Zusammenarbeit mit den anderen Ehrenamtlichen. „Ich
habe befĂŒrchtet, dass wir nicht im Team aufgenommen werden, weil wir ja
nicht richtig freiwillig hier sind, sondern Credits dafĂŒr bekommen.“
Credits sind Leistungspunkte, die im Studium gesammelt werden mĂŒssen. Es
kam anders. In der KĂŒche herrscht eine raue, aber herzliche Stimmung, es
werden viele Witze gemacht, man nimmt sich in den Arm, fragt wie die Woche
war.
Ellerbroek schneidet inzwischen Paprika in WĂŒrfel, Diringshoff lĂ€sst sich
von einem anderen Mitarbeiter zeigen, wie die Möhren-Schneidemaschine
funktioniert. Meist stehen die beiden nicht in der KĂŒche, sondern sind im
direkten Kontakt mit den GĂ€sten, ob beim Spielen oder Malen. Ellerbroek mag
das lieber, dafĂŒr ist sie hier: „Je mehr man aus der Komfortzone rausgeht,
desto mehr lernt man.“
Sie findet fĂŒr beide Seiten wichtig, dass man sich kennenlernt. Dann wĂŒrde
man besser verstehen, wie Menschen in bestimmte Situationen gelangen. „Und
fĂŒr die GĂ€ste ist es auch gut, mit Menschen in Kontakt zu sein, die einen
Job haben, studieren, PlĂ€ne schmieden.“ Das gebe eine andere Perspektive.
Sie fÀnde es gut, wenn sich hier mehr Menschen engagierten. Auch um zu
lernen, was sie gelernt hat: „Dass das System ziemlich ungerecht ist.“
Mit ihrem Kurs waren sie letzte Woche im Drob Inn, einer Beratungsstelle
fĂŒr DrogenabhĂ€ngige. Das seien die Menschen, ĂŒber die viele Leute sagten,
sie wĂŒrden ihnen kein Geld fĂŒr den Konsum geben wollen. „Aber wenn man sich
die Geschichten anhört, wirkt das alles so ungerecht“, sagt Ellerbroek.
Sie fĂŒllt das geschnittene GemĂŒse nun in Gefrierbeutel. Heute brauchen sie
es nicht. Es gibt Currywurst und Kartoffelsalat. Gegessen wird gemeinsam.
1 Feb 2020
## AUTOREN
Nele Spandick
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