# taz.de -- der rote faden: Wie schaffen Sie das alles bloß, Herr Gabriel? | |
Bild: Foto: Jan Schmidbauer | |
Durch die Woche mit Johanna Roth | |
Sigmar Gabriel soll neuer Aufsichtsrat der Deutschen Bank werden. | |
Bemerkenswert an dieser Nachricht ist weniger der Umstand, dass es für den | |
Vorsitzenden der traditionsreichen Atlantik-Brücke schon interessant ist, | |
ausgerechnet zu jener Bank zu wechseln, deren Geschäftsbeziehungen zu | |
US-Präsident Donald Trump seit Längerem Gegenstand eingehender | |
Untersuchungen sind. Viel spannender ist doch die Frage: Wie schaffen Sie | |
das alles bloß, Herr Gabriel? | |
Schließlich ist er dann ja nicht nur Aufsichtsrat und Cheftransatlantiker. | |
Seine Ämter als imaginärer SPD-Vorsitzender und Außenminister eines nur für | |
ihn sichtbaren Schattenkabinetts verlangen ihm schließlich schon einiges | |
ab. In letzterer Funktion glänzte er vor ein paar Tagen mit der Aussage, | |
Deutschland habe „Stärkeres als Waffen & Geld: Legitimität!“ (äh, unter | |
welchem Bundeswirtschaftsminister [1][stiegen die deutschen | |
Rüstungsexportgenehmigungen] noch gleich?) und sei außerdem „nie | |
Kolonialstaat“ gewesen. Gegen den Spott, der ihm dafür entgegenschlug, muss | |
man ihn insofern zaghaft verteidigen, als er sich (vermutlich) wie im Rest | |
des Tweets auf Libyen bezog und die Aussage (hoffentlich) nicht so | |
grundsätzlich meinte, wie sie klang. Und doch: Dass er selbst es nicht für | |
nötig hielt, wenigstens diesen Bezug nachträglich klarzustellen, lässt | |
vermuten, dass Selbstkritik und Reflexion jetzt nicht eben zu seinen | |
Prioritäten zählen. | |
Sonst müsste er ja unter Umständen laut darüber nachdenken, dass er sich | |
mal groß damit hervortat, dass er mehr Zeit für seine Familie haben und | |
deshalb nur den Außenminister machen – ein vergleichsweise leichter | |
Nine-to-five-Job, wie wir alle wissen –, aber auf die Kanzlerkandidatur für | |
die SPD verzichten wolle. Zeit für die Familie dürfte neben all seinen | |
neuen Ämtern und Aufgaben, die ja auch mit einigen Reisen verbunden sein | |
werden, eher weniger bleiben. Andererseits machte er einst mit der | |
Nachricht, dass er einmal in der Woche sein Kind aus der Kita abhole, zur | |
Schlagzeile. Wow! Fast so toll wie der japanische Umweltminister Shinjiro | |
Koizumi, der letzte Woche eine Revolution verkündete: Er will für sein | |
Neugeborenes Vaterschaftsurlaub nehmen – ganze 14 Tage. | |
Um das Thema Gabriel abzuschließen, hier noch ein schönes Zitat von Jörg | |
Eigendorf, früher Investigativchef bei der Welt, von wo aus er | |
beeindruckend schmerzfrei als Konzernsprecher zur Deutschen Bank wechselte: | |
Man freue sich auf die Expertise Gabriels auch wegen dessen Vergangenheit | |
als Umweltminister, twitterte Eigendorf – „denn Nachhaltigkeit ist uns | |
wichtiger denn je“. Da lobe ich mir Nicola Sturgeon, schottische | |
Premierministerin, die am Mittwoch in einer Rede die Abkehr vom | |
Wachstumsparadigma forderte: Es sei „moralisch nicht zu vertreten“, | |
ausschließlich auf Wirtschaftswachstum als Maßstab für das Wohlergehen | |
eines Staates zu setzen. Das von einer Bundeskanzlerin zu hören, davon | |
dürfen wir bestimmt noch eine ganze Weile träumen. | |
In der deutschen Politik spielt sich derweil Bedrückendes ab, und das nicht | |
im Kanzleramt. Immer häufiger sind dieser Tage Nachrichten über | |
Bürgermeister:innen zu lesen, die aus akuter Angst vor rechten | |
Mordanschlägen zurücktreten. Auf das Büro des Bundestagsabgeordneten | |
Karamba Diaby wurde geschossen, er erhält Morddrohungen, unter denen „Sieg | |
Heil“ steht. Und der Bürgermeister von Kamp-Lintfort erregte kürzlich | |
Aufmerksamkeit, als er erklärte, sich aus Angst vor Neonazis im Dienst | |
bewaffnen zu wollen. | |
Ein echtes Dilemma: Je mehr Kommunalpolitiker:innen zurücktreten, desto | |
mehr werden die Rechten sich die Hände reiben und gleich die nächste | |
Morddrohung verschicken, diesmal gleich per Kettenmail, weil sie als gute | |
deutsche Schäferhunde nach Pawlow sehen: Aha, es funktioniert, wir | |
schüchtern sie ein. Aber natürlich kann man von niemandem erwarten, Hass | |
und Bedrohungen einfach auszusitzen. Und doch scheint diese | |
Erwartungshaltung erschreckend weit verbreitet zu sein. Dazu empfehle ich, | |
den früheren Spiegel-Kollegen Hasnain Kazim zu lesen, der inzwischen als | |
freier Autor arbeitet. Er hat in den vergangenen Monaten täglich ein | |
Dutzend Morddrohungen erhalten und schildert [2][in einem aktuellen Artikel | |
auf Zeit Online], was das mit einem Menschen macht – und wie sehr | |
Nichtbetroffene oft verharmlosen: „Ein Bekannter versuchte mich zu | |
beruhigen: „Hunde, die bellen, beißen nicht.“ Tatsächlich? Der | |
CDU-Politiker Walter Lübcke stand auch auf mehreren Listen. | |
Was hier gerade – und schon seit geraumer Zeit – passiert, ist eine | |
Schande, die schwer in Worte zu fassen ist. Und erst recht der Umstand, | |
dass öffentliche Empörung und politische Entschlossenheit, wie es sie einst | |
gegenüber dem RAF-Terror gab, ausbleiben. Dass sich Menschen aus dem | |
öffentlichen Leben zurückziehen müssen, darf nicht sein. Dass wir uns daran | |
gewöhnen, noch viel weniger. | |
Nächste Woche: Ebru Taşdemir | |
25 Jan 2020 | |
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[2] https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-01/hass-journalisten-morddrohung-mein… | |
## AUTOREN | |
Johanna Roth | |
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