# taz.de -- Eine junge Schriftstellerin | |
> Anne Frank hat den Holocaust nicht überlebt. Wie aus ihrem im Versteck in | |
> Amsterdam geschriebenen Tagebuch ein Roman werden sollte, stellte der | |
> Verleger Joachim von Zepelin im Brecht-Haus vor | |
Bild: Ein schönes Porträt von Anne Frank | |
Von Annika Glunz | |
Als sie im Alter von 13 Jahren mit dem Schreiben begann, war sie sich | |
sicher, dass sowieso nie irgendwer ihre Texte in die Hände bekommen und | |
lesen würde. Sie schrieb Tagebuch, weil sie ihrem Herzen Luft machen wollte | |
und es ihr in sämtlichen Beziehungen an Vertraulichkeit mangelte. Sie | |
begann Gefallen zu finden am Schreiben der Briefe an ihre imaginäre | |
Freundin Kitty, und der Wunsch, ihre Texte der Öffentlichkeit zugänglich zu | |
machen und Schriftstellerin zu werden, manifestierte sich. Sie | |
überarbeitete ihre Tagebücher und plante sie als Buch, das den Titel „Das | |
Hinterhaus“ tragen sollte. | |
Heute ist „Das Tagebuch der Anne Frank“ ein Werk der Weltliteratur, das in | |
über 70 Sprachen übersetzt wurde. Joachim von Zepelin hat die von Anne | |
Frank überarbeitete Version unter dem Titel „Liebe Kitty. Ihr Romanentwurf | |
in Briefen“ im Secession Verlag herausgegeben. | |
„Es gibt zum einen das spontane Tagebuch. Das ist die Variante A. Dann gibt | |
es die von Anne Frank überarbeitete Version, Variante B“, erklärte von | |
Zepelin im Gespräch mit Wolfgang Benz, Historiker und | |
Antisemitismusforscher im Brecht-Haus. Nach Anne Franks Tod im KZ | |
Bergen-Belsen wurden die Tagebücher an ihren Vater Otto Frank | |
weitergegeben. „Der hat ein Amalgam daraus gemacht, Variante C“, so von | |
Zepelin. „Erst nach dessen Tod 1980, als die Tagebücher ans Niederländische | |
Zentrum für Kriegsdokumentation vererbt wurden, konnte sich kritisch mit | |
ihnen befasst werden. Die Tagebücher wurden mit Ergänzungen versehen, das | |
ist Variante D, die verbindliche Version.“ Eine separate Veröffentlichung | |
nur der Variante B der Tagebücher habe es bisher noch nicht gegeben. „Ich | |
denke aber, dass diese die einzige ist, die Anne Franks Wunsch nach | |
Veröffentlichung so nah wie möglich kommen kann“, ist sich von Zepelin | |
sicher. „Mir geht es auch darum, das literarische Talent dieses Mädchens | |
hervorzuheben.“ | |
Er beginnt seine Lesung mit einer Passage, die Anne Frank in der | |
Überarbeitung herausgestrichen hatte – sie schreibt hier über Sexualität | |
und das schlechte Verhältnis zu ihrer Mutter, dass sie diese nicht liebe. | |
„Otto Frank hat diese Passage in seiner Überarbeitung wieder hinzugefügt“, | |
berichtet von Zepelin. Andere vorgetragene Passagen beschreiben jüdisches | |
Leben in den Hinterhöfen Amsterdams oder verdeutlichen ihr Verhältnis zu | |
Politik und gesellschaftlichen Zuständen: „Es gibt keine größere | |
Feindschaft auf der Welt als die zwischen Deutschen und Juden“, heißt es an | |
einer Stelle. Als literarisch besonders wertvoll hob von Zepelin die „Ode | |
an meinen Füllfederhalter“ hervor, in der Frank ihrem ehemaligen | |
Schreibgerät eine kleine Liebesgeschichte widmet. | |
Moderator Wolfgang Benz kam auf die geläufige und auch in Anne Franks | |
Tagebüchern so geschilderte Erzählung zu sprechen, Menschen seien in | |
Viehwaggons in Konzentrationslager deportiert worden: „Als Historiker | |
interessiert mich das natürlich. Das stimmt nämlich nicht. Menschen aus | |
Westeuropa wurden in Personenwagen transportiert.“ Seine daran | |
anschließende Frage, ob diese Behauptung von Anne Frank selbst kam oder im | |
Nachhinein hinzugefügt wurde, konnte von Zepelin nicht beantworten. | |
Das Publikum zeigte sich beeindruckt von der Hellsichtigkeit und Reife Anne | |
Franks, die die Tagebücher ja im Alter von 13 bis 15 Jahren schrieb. Warum | |
sie die ihre Mutter betreffende Passage herausgestrichen habe, wollte eine | |
Zuhörerin wissen. „Man kann beim Lesen deutlich merken, wie sich Anne Frank | |
beim Schreiben, insbesondere das Verhältnis zu ihrer Mutter betreffend, | |
selbst beruhigt hat“, vermutete von Zepelin. | |
Auf eine Frage nach der Rentabilität einer solchen „Liebhaberedition“ hin, | |
kam er auf Schwierigkeiten zu sprechen: „Ich hätte mir einen anderen Umgang | |
mit dem Stoff gewünscht. Ich ärgere mich über die Art und Weise, wie Claims | |
verteidigt werden.“ Beispielsweise darf „Liebe Kitty. Ihr Romanentwurf in | |
Briefen“ nicht in den Niederlanden erscheinen. „Die haben dann tatsächlich | |
Spione darauf angesetzt, die versucht haben, aus den Niederlanden dieses | |
Buch zu bestellen, um uns zu zeigen, auf welche Art und Weise es doch | |
möglich ist, und uns zu drohen“, berichtete von Zepelin. Am Ende zeigte er | |
sich jedoch zufrieden: „Die Edition landete auf Platz 10 der | |
Spiegel-Bestsellerliste Belletristik – pünktlich zu Anne Franks 90. | |
Geburtstag.“ | |
Anne Frank: „Liebe Kitty. Ihr Romanentwurf in Briefen“. Secession Verlag, | |
Zürich 2019, 208 Seiten, 18,50 Euro | |
25 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Annika Glunz | |
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