# taz.de -- heute in hamburg: „Das ist hilfreich für die Distanz zum Tier“ | |
Interview Nele Spandick | |
taz: Herr Sebastian, könnten Sie schlachten? | |
Marcel Sebastian: Nein. | |
Sie haben aber für Ihre Doktorarbeit mit Mitarbeiter:innen von | |
Schlachthöfen gesprochen. Was hat Sie dabei überrascht? | |
Einmal vorweg: Meine Interviewpartner waren ausschließlich Männer, was sehr | |
typisch für die Schlachthofarbeit ist. Ich habe zwei Forschungsfragen: Die | |
eine ist, wie die Schlachthofmitarbeiter mit der moralischen | |
Stigmatisierung ihrer Arbeit umgehen. Und die andere, wie sie mit den | |
speziellen emotionalen Anforderungen der Arbeit umgehen. Überraschend war | |
für mich vor allem das Maß an aktivem Umgang mit dem gesellschaftlichen und | |
kritischen Blick auf sie als Schlachter. | |
Das heißt? | |
Allen, mit denen ich gesprochen habe, war sehr bewusst, dass diese Arbeit | |
in der Öffentlichkeit kontrovers wahrgenommen wird. Und sie wünschten sich, | |
den öffentlichen Diskurs über das Schlachten zu verändern. | |
Wie wollen sie das tun? | |
Hier unterscheidet man zwischen aktiven und reaktiven Umgangsweisen. Aktive | |
Strategien sind bei denjenigen, mit denen ich gesprochen habe, | |
ausgeprägter. Sie wehren sich also gegen das, was sie als Vorstellungen | |
über Schlachthofarbeit in der Öffentlichkeit wahrnehmen. Das tun sie, indem | |
sie andere Deutungsweisen über das Schlachten entwickeln. Die Deutung von | |
Tierschützern könnte etwa sein: „Schlachter sind Tierquäler.“ Einige | |
Interviewpartner haben sehr deutlich gemacht, dass sie sich als tierlieb | |
empfinden. Sie geben dem, was sie machen und sind, also eine andere | |
Bedeutung. Und eine weitere aktive Strategie ist, die Gegner als | |
inkompetent zu delegitimieren. Den Kritiker:innen wird abgesprochen, sich | |
ein Urteil bilden zu können. | |
Und was wäre eine reaktive Strategie? | |
Das wäre die Vermeidung von Situationen, in denen man moralisch | |
stigmatisiert wird oder die Verheimlichung der Tatsache, dass man | |
schlachtet. Ein Schlachter erzählte, dass er auf die Frage, was er | |
beruflich macht, immer erst mal sagt, er arbeite in der | |
Lebensmittelbranche. Und dann schrittweise bei weiterem Nachfragen auflöst, | |
dass er auch Tiere tötet, wenn er die andere Person einschätzen kann. | |
Was sind die Strategien, um mit der emotionalen Belastung umzugehen? | |
Hier spielt emotionale Distanzierung zu den Tieren eine große Rolle. Ich | |
habe fast ausschließlich mit Schlachtern gesprochen, die ausgebildet sind | |
und aus ihrer Familie Bezug zum Schlachten hatten. Sie haben früh | |
angefangen, Erfahrungen mit dem Schlachten zu machen. Das ist hilfreich für | |
die emotionale Distanz zum Tier. | |
13 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Nele Spandick | |
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