# taz.de -- Was erwartet die Türkei in Libyen? | |
> Das türkische Parlament hat zugestimmt, Soldaten nach Libyen zu schicken. | |
> Wir haben den Politologen Hakan Güneş nach den Hintergründen und Folgen | |
> des Beschlusses gefragt | |
Bild: Das türkische Parlament stimmte am 2. Januar der Entsendung von türkisc… | |
Interview Ali Çelikkan | |
Taz.gazete: Herr Güneş, am Donnerstag hat das türkische Parlament | |
beschlossen, Soldaten nach Libyen zu schicken, um die Interessen der Türkei | |
in Libyen zu wahren. Was genau sind die Interessen der türkischen Regierung | |
in Libyen? | |
Hakan Güneş: Die Regierung denkt, dass sie im östlichen Mittelmeerraum | |
eingeengt und davon abgehalten wird, von den natürlichen Ressourcen zu | |
profitieren. Sie argumentiert, dass sich Israel, Ägypten und Zypern | |
verbündet haben und dabei von den USA und der EU unterstützt werden. Um | |
sich dagegenzustellen, hat die Türkei ein Abkommen mit Libyen (über eine | |
gemeinsame Seegrenze im Mittelmeer, Anm. d. Red.) geschlossen. Um dieses | |
Abkommen zu wahren, sagt die türkische Regierung nun, dass sie die | |
Regierung in Tripolis unterstützen müsse. Die Türkei stützt die Entsendung | |
von Soldaten nach Libyen auf diese Interessen. Ich sehe das jedoch anders. | |
Einige Länder haben auf das Abkommen, das die Türkei und Libyen im November | |
unterzeichnet hatten, negativ reagiert. Die Türkei hat wiederum das | |
Übereinkommen zwischen Israel, Griechenland und Zypern vom Donnerstag | |
scharf kritisiert. Geht es in dem Parlamentsbeschluss wirklich nicht um die | |
Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeerraum? | |
Das kann man durchaus behaupten. Ägypten, Israel und Zypern fördern in | |
ihren eigenen Hoheitsgebieten Erdgas und wollen es nach Europa leiten. Das | |
geht niemanden was an. Wenn ein Land daraus ein Problem macht, dann steht | |
wahrscheinlich eine konkrete politische Absicht dahinter. Das Gas befindet | |
sich auf israelischem Gebiet. Die Türkei erzeugt also ein Problem aus Gas, | |
dessen Anrechte eigentlich geklärt sind und das nach Europa verkauft werden | |
soll. Meiner Meinung nach ist das eine Verfehlung. Die Türkei hat kein | |
Recht, sich da politisch einzumischen. | |
Worauf zielt dann der Beschluss, der die Entsendung von Militär nach Libyen | |
vorsieht? | |
Die Türkei will sich wie Saudi-Arabien, Russland, die USA und andere | |
Akteure den Zugang zu Öl- und Gasquellen sichern und ihren Einfluss auf | |
dieses Land vergrößern, das reich an natürlichen Ressourcen ist. Eigentlich | |
ist es ein kolonialer Kampf um Ressourcen. Ich würde das als eine Besetzung | |
Libyens durch die Türkei bezeichnen. Im September 2011 ist Erdoğan nach | |
Ägypten und Libyen gereist. Erdoğan hatte durch Kontakte zur | |
Muslimbruderschaft Verbindungen in Libyen. Dort sagte er damals: „Wir haben | |
es nicht wie der Westen auf die Bodenschätze abgesehen.“ Doch seine | |
Delegation bestand aus Geschäftsleuten, dem Energieminister und dem | |
Handelsminister. Auch wenn die Türkei etwas anderes behauptet, versucht sie | |
den westlichen Weg einzuschlagen. Doch während andere Länder gut damit | |
zurechtkommen, mit beiden Seiten der gespaltenen Regierung die Beziehungen | |
aufrechtzuerhalten, steht die Türkei der islamischen Seite näher und | |
unterstützt die Regierung von Fajis al-Sarradsch. Wir sehen hier eine | |
Version des neoosmanischen Traumes, gestützt durch die | |
Glaubensgenossenschaft. | |
Ist die Sarradsch-Regierung nicht diejenige, die von den Vereinten Nationen | |
anerkannt ist? Warum haben sich die anderen Akteure Haftar zugewandt oder | |
stehen zwischen den Fronten? Was hat sich verändert? | |
Legitim und von den UN anerkannt ist das libysche Parlament. Dieses | |
Parlament hat Haftar zum Generalstabschef ernannt und Sarradsch ist | |
Ministerpräsident. Jedoch ist das Parlament gespalten. Ein Teil tagt in | |
Tobruk und unterstützt Haftar, der andere Teil in Tripolis steht hinter | |
Sarradsch. Mit der Zeit haben viele westliche Länder – mit Ausnahmen wie | |
etwa Deutschland – begonnen, Haftar zu unterstützen, hinter dem auch | |
Saudi-Arabien und Ägypten stehen. Im vergangenen Jahr hat Frankreich durch | |
seinen Seitenwechsel das Gleichgewicht ins Wanken gebracht und hat auch | |
damit begonnen, Haftar Waffen zu schicken. Schließlich hat sich die Türkei | |
eingemischt, da Tripolis, das letzte Einflussgebiet von Sarradsch, durch | |
die russische Unterstützung gefährdet ist. Militär zu entsenden ist eine | |
risikoreiche und radikale Entscheidung. | |
Was für Risiken meinen Sie? Wem steht die Türkei mit diesem Beschluss | |
gegenüber? | |
Zuallererst ist da das Bündnis zwischen Ägypten und Saudi-Arabien. Und | |
danach kommt gleich Frankreich. Zum anderen stand Haftar in der | |
Vergangenheit den USA nahe. Die mischen sich allerdings nicht ein. Auch mit | |
einem Sturz von Sarradsch wäre das Problem nicht erledigt, da weiterhin die | |
beidseitigen Beziehungen aufrechterhalten werden können. Genau wie Russland | |
es macht. | |
Wird die türkische Öffentlichkeit diese Entscheidung mittragen? Den Einsatz | |
in Syrien versuchten die Regierung und die Medien als „Terroroperation“ zu | |
rechtfertigen. Worauf werden sie sich diesmal berufen? | |
„Die Türkei bleibt außen vor, wird abgehängt und in die Ecke getrieben …… | |
Auch wenn solche Aussagen gelogen sind und nur der Propaganda dienen, | |
finden sie sowohl im rechten als auch im linken Spektrum viele Anhänger. | |
Erdoğan verliert zunehmend vor allem unter den jungen Leuten an | |
Unterstützung, auch wenn es ihm noch gelingt, genug Stimmen zu bekommen. | |
Deshalb braucht er eine Art von Nationalismus. Dafür werden diese | |
nationalen Interessen erzeugt. | |
Die Türkei hat einige Erfahrungen im Stellvertreterkrieg in Syrien | |
gesammelt. Jetzt werden die Kämpfer aus Idlib abgezogen und nach Libyen | |
geschickt. Was für Folgen wird das haben? | |
Die Türkei hat bemerkt, dass ihr Einfluss in Syrien begrenzt ist, und | |
versucht nun, die ihr nahestehenden Kräfte nach Libyen zu versetzen. | |
Zurzeit befinden sich dort aber sehr wenige Soldaten, der Krieg wird über | |
Drohnen geführt. Es gibt eine Pattsituation. Diese Einmischung könnte der | |
Sarradsch-Regierung helfen, Tripolis zu halten. Die türkische | |
Militäroperation hat nicht die Absicht, das Land einzunehmen. Ziel der | |
Türkei ist es, Sarradsch zu halten und eine wichtige Rolle bei zukünftigen | |
Verhandlungen zu spielen. Wenn nicht einer der wichtigen europäischen | |
Akteure die Türkei scharf kritisiert, könnte die Türkei diesem Krieg eine | |
andere Wendung geben. | |
Zurzeit steht eine harte Reaktion des Westens noch aus. Diesen Monat soll | |
in Berlin eine Libyen-Konferenz unter deutscher Führung stattfinden. Welche | |
Position bezieht Deutschland eigentlich? | |
Deutschland verfolgt eine ausgeglichenere Politik. Als letztes Jahr | |
Frankreich begonnen hat, Haftar zu unterstützen, war Deutschland nicht | |
erfreut. Die Bundesregierung lehnt ab, dass nur ein Land Einfluss auf die | |
libyschen Ressourcen hat. Die Art der türkischen Einmischung scheint zu | |
einer Entscheidung über den Fortbestand oder Fall von Tripolis zu führen. | |
Aus dem Türkischen von Julia Lauenstein | |
11 Jan 2020 | |
## AUTOREN | |
Ali Çelikkan | |
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