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# taz.de -- Kurdische Politikerin in Haft: „Manche denken, wir sollten ins Gr…
> Figen Yüksekdağ, ehemals Co-Vorsitzende der HDP, über Angriffe auf ihre
> Partei, Zwangsverwaltungen und Parteigründungen ehemaliger AKP-Politiker.
Bild: Figen Yüksekdağ als Co-Vorsitzende der HDP kurz vor den Wahlen 2015, wo…
taz.gazete: Frau Yüksekdağ, wie sind die Haftbedingungen in Ihrem
Gefängnis?
Figen Yüksekdağ: In letzter Zeit kommt es in der Türkei immer wieder zu
Menschenrechtsverletzungen. Die Vorfälle machen klar, wie schlecht die
Haftbedingungen sind. Das wirkt sich auch auf meine Haft aus. Manchmal
bekomme ich wegen der Verleumdungen und Anfeindungen der Regierung meiner
Partei gegenüber besonders viel ab.
Wie zeigt sich das in Ihrem Fall konkret?
Manchmal gibt es Provokationen der Vollzugsbeamten, die entweder dazu
gedrängt werden oder provozieren, weil sie selbst auf Regierungslinie sind.
Oder es kommt zu sogenannten „Sonderbehandlungen“. Bevor ich und andere aus
der Partei verhaftet worden sind, hieß es noch: „Was haben die im Parlament
verloren? Die sollten ins Gefängnis“. Jetzt denken manche: „Was haben die
im Gefängnis verloren? Die sollten ins Grab.“
Wieso steht die HDP so sehr unter dem Beschuss der Regierung?
Die politische Repression ist vielschichtig und ernst zu nehmen. In den
vergangenen drei Jahren wurden rund 10.000 HDP-Mitglieder verhaftet. Es
gibt fast keine freien Menschen mehr in der Partei, und politische Rechte,
die ohnehin schon prekär waren, wurden vollends liquidiert. Für die
Regierenden ist das ein alternatives Mittel der Druckausübung, bei der sie
nicht gleich die Partei verbieten müssen. Sie wollten, dass die HDP
Verluste erleidet. Aber das ganze Land hat dadurch verloren. Und sie selbst
haben nicht gewonnen. Bei den vergangenen Kommunalwahlen hat sich gezeigt,
dass die Regierung und Erdoğan die Zustimmung der Bevölkerungsmehrheit
verloren haben. Sie haben sich vollständig vom Boden des Demokratischen
entfernt, sie akzeptieren die Niederlage nicht und versuchen den Schmerz
mit Repression gegen die HDP und HDP-Wähler*innen zu kompensieren. Dass
Städte unter Zwangsverwaltungen gestellt werden, dass
Co-Bürgermeister*innen unrechtmäßig und ohne Beweise verhaftet werden, ist
ein Resultat dieser Intoleranz. Allein die Existenz der HDP gilt dieser
Regierung als Bedrohung.
Sie waren drei Jahre lang Co-Vorsitzende der HDP. Wieso stört sich die
Regierung daran, dass Ihre Partei Co-Vorsitzende hat, also jeweils eine
Frau und einen Mann an der Spitze?
Weil dieses System einen radikalen Widerspruch zu dem bestehenden
Regierungssystem und eine konkrete Alternative darstellt. Für repressive,
faschistische, patriarchale und religiös-regressive Politik stellt so ein
Modell ein Problem dar. Dass es bei der HDP immer zwei Vorsitzende gibt,
eine Frau und einen Mann, ist ein Hoffnungsschimmer, ein Schritt, der die
gesellschaftliche Stellung der Frau gestärkt hat. Millionen von Frauen
können sich mit dieser egalitären Form der Repräsentation identifizieren.
In der Welt der Frauen ist es ein Symbol für einen großen politischen
Aufbruch. Die gegenwärtig Regierenden und jene, die mit ihnen ideologisch
übereinstimmen, wollen die Macht der Frauen, die sich in den Reihen der HDP
entfaltet hat, ausradieren.
Es wird derzeit darüber diskutiert, ob sich die HDP wegen der Repressionen
aus dem Parlament zurückziehen sollte.
Die Partei hat mit der Bevölkerung und in den eigenen verantwortlichen
Gremien diskutiert und sich dafür entschieden, alle Posten, die sie durch
Wahlen erhalten hat, weiterhin zu besetzen. Eine Diskussion darüber, ob man
sich aus dem Parlament zurückzieht, findet deshalb nicht mehr statt. Wir
wollen die Wirkung unseres politischen Kampfes an den Orten unserer
täglichen Arbeit, in den Stadtverwaltungen und im Parlament verstärken.
Diejenigen, die uns auf kommunaler und nationaler Ebene aus der Politik
haben wollen, sollten sich einmal überlegen, was sie verlieren würden, wenn
die HDP nicht mehr da wäre.
Aber was können Ihre Wähler*innen in der gegenwärtigen Situation erwarten?
Die Bevölkerung selbst ist entschiedener als die HDP, die Menschen sind
wirkmächtig. Aber sie erwarten eine Führung, die ihre Forderungen lautstark
artikuliert. Trotz des gewaltigen Ausmaßes an Diskriminierung gegenüber
Kurd*innen und der HDP ist eins klar geworden: Diejenigen, die gegen
Erdoğan gewinnen wollen, müssen zuerst die Kurd*innen und die HDP für sich
gewinnen. Die HDP muss sich von den Parteien der Mitte unterscheiden,
zuverlässig sein und die Demokratie für alle ins Zentrum rücken. Die HDP
möchte den Kurdenkonflikt lösen, aber auch alle anderen Probleme, die von
der AKP und den Zentrumsparteien ignoriert oder verschärft werden.
Der ehemalige AKP-Wirtschaftsminister Ali Babacan und Ahmet Davutoğlu, der
ehemalige Ministerpräsident der AKP, arbeiten an eigenen Parteiprojekten.
Können diese Neugründungen aus der AKP heraus eine Alternative zur
gegenwärtigen Regierung werden?
Wenn neue Parteien auf Basis alter Geisteshaltungen gegründet werden,
können sie keine Alternativen sein. Die Türkei braucht eine Veränderung der
Geisteshaltung. Die Demokratie muss neu geschaffen werden; das Land braucht
eine neue Verfassung, die universelle Rechte und Freiheiten beinhaltet.
Beide Parteigründer haben keine Erzählung oder kein Programm dafür, wie
solch drängende Probleme wie die Kurdenfrage geklärt werden können. Im
Gegenteil: Beide ehemaligen AKP-Politiker sind mitverantwortlich für die
gegenwärtigen Probleme. Man hätte erwartet, dass sie selbstkritisch
hinterfragen, wie sie das heutige Regierungsmonster mitgeschaffen haben. Es
gab keine Selbstkritik.
Was ist dann das Ziel dieser Neugründungen?
Beide Politiker verfolgen einen Weg, der auf grobe politische Arithmetik
beschränkt ist, bei dem es nur um die Frage geht, wie man AKP-Wähler*innen
und Politiker*innen für die eigene Partei gewinnen kann. Eine Alternative
zur AKP kann nicht aus der AKP heraus entstehen, sie kann keine alte oder
neue Version der AKP sein. Es gibt einen anderen Weg. Und als Alternative
zur Regierung muss man diesen anderen Weg mit Entschiedenheit verfolgen.
Anmerkung der Redaktion: Weil sich Figen Yüksekdağ seit dem 5. November
2016 in der nordwesttürkischen Stadt Kocaeli in Haft befindet, wurde das
Interview schriftlich geführt.
Aus dem Türkischen von Volkan Ağar
20 Dec 2019
## AUTOREN
Yasin Kobulan
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