# taz.de -- Editorial | |
Von Georg Löwisch | |
Ob es die taz noch gibt, weil Karl-Heinz Ruch ihr Geschäftsführer ist? Oder | |
obwohl? Die Häufigkeit der Frage ebbte in der taz-Belegschaft erst am | |
Schluss ab. Im letzten Viertel der vier Jahrzehnte seit ihrem Bestehen. Das | |
„Obwohl“ zählte zu den Negativströmen, die auszuhalten Karl-Heinz Ruch zur | |
Natur geworden ist. Sonst hätte er seinen Job nicht machen können, nicht so | |
lange. | |
Der Geschäftsführer der taz geht nach 41 Jahren in Rente. Das ist | |
beachtlich. Aber dahinter steckt auch eine linke Geschichte, die es sich zu | |
erzählen lohnt. Von Kalle Ruch kann man viel lernen. Wie man die | |
Arbeitswelt besonders gestalten kann; wie man ihr durch das Leben im Umland | |
etwas entgegensetzt; auch über Architektur in Berlin; schließlich über das | |
deutsche Verlagswesen. In diese vier Kapitel ist diese Ausgabe gegliedert. | |
Dazu Aktuelles auf den vorderen Seiten, von den UK-Wahlen bis zur | |
Klima-Konferenz in Madrid. | |
Diese Sonderausgabe bedeutet nicht den Abschied von einem alternativen | |
Patriarchen. Autoritäre Vaterfiguren hatten andere Verlage. Kalle Ruch aber | |
ist ein leiser Gegenpol zu ihnen. Während deren Imperien schrumpften, | |
vollzog sich der Aufstieg seines demokratischen Modells der Genossenschaft. | |
Aber auch der Typus ist ein anderer. Während Augstein, Burda oder Springer | |
sich zeigefreudig in ihren Machtgesten gefielen, schnodderte der | |
taz-Geschäftsführer höchstens ein bisschen über den Journalismus an sich. | |
Wenn Verleger anderswo Redakteure zum Rapport riefen, piesackte uns Kalle, | |
indem er nach dem Mittagessen im taz-Café genüsslich den Finanzteil der FAZ | |
ausbreitete. Ansonsten schwieg er. Zu jenen Großverlegern, die sich auch | |
gern mal als Großjournalisten ihres Hauses groß inszenieren, ist er ein | |
historischer Gegenentwurf: ein Protagonist des Machenlassens. | |
Das bedeutete aber nie Verantwortungslosigkeit, denn die ist die Pest jedes | |
Projekts. Selbst die größte Kreativität braucht einen Rahmen, wenn man von | |
ihr leben will. Gehört die Zeitung auch noch Journalistinnen und | |
Journalisten, die sich dazu für die kreativsten halten, dann ist dieser | |
Rahmen immer zu eng. Es werden immer mehr Mittel gebraucht und dann noch | |
mehr. | |
Kalle Ruch hatte nicht nur die Aufgabe, Nein zu sagen. Es ging darum zu | |
erkennen, welches Projekt eine Chance ist. Auch das hat er leise gemacht. | |
Eher durch zustimmendes oder ablehnendes Schweigen definierte er den | |
Rahmen. Motto: kreativ, aber nicht blöd. Politisch gestartet, professionell | |
geworden, aber immer mit dem Gefühl für die Idee des taz-Journalismus | |
verteilte oder verknappte er die Mittel. Nach ökonomischen Kriterien. Nicht | |
nach ideologischen. Schon gar nicht nach tagespolitischen. | |
Und dann hat er kurz noch mit einem Millionen-Hausprojekt den Leuten vom | |
unteren Ende der Rudi-Dutschke-Straße, Ecke Axel-Springer-Straße, gezeigt, | |
wie Marktwirtschaft geht. | |
Das Modell, nach dem man unter klaren Prämissen Fehler vermeiden und | |
Innovationen ermöglichen musste, ist leider vorbei. Die Menschen lesen, | |
hören und sehen Medien anders zu anderen Zeiten mit anderen Prioritäten und | |
neuer Technik. Erst verschmähen die Leute Podcasts, dann hören sie sie | |
doch. Dann ändert jemand einen Algorithmus. Und während gestern noch viel | |
zu viele in den Journalismus wollten, können es morgen schon viel zu wenige | |
sein. Die Prämissen sind ständig in Bewegung. | |
Die taz hat Kalle nichts geschenkt. Jetzt bekommt er das, was uns am | |
kostbarsten ist. Unsere Zeitung. Eine Ausgabe, in der sich die taz | |
umbenennt. Heute drucken wir Kalle. Und der Mann, der immer den Rahmen | |
gesetzt hat, ist diesmal selbst das Bild. Es ist nicht nur unsere Art, | |
jemandem Danke zu sagen. Aber auch. | |
14 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Georg Löwisch | |
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