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# taz.de -- Die unperfekt perfekte Diva für Berlin
> In der Volksbühne wird an vier Tagen Peaches’ zwanzigjähriges
> Bühnenjubiläum gefeiert – mit einer standesgemäßen Revue
Von Aida Baghernejad
20 Jahre Peaches – das ist nicht nur ein Jubiläum für die Künstlerin
formerly known as Merrill Nisker, sondern irgendwie auch für Berlin, die
Stadt, die die Kanadierin um die Jahrtausendwende zu ihrer neuen Heimat
erklärte, die sie prägte und von der sie auch geprägt wurde. Und was läge
näher, als kurz vor dem Jahreswechsel nun endlich auch in Berlin ihre große
Bühnenrevue „There is Only One Peach with a Hole in the Middle“ zu feiern,
nachdem die Show im Hamburger Kampnagel, in London und in Aarhus schon auf
die Bühne kam? Nichts, natürlich.
In der Volksbühne sind für die vier Termine (28. bis 31. 12.) die ersten
Reihen für Stehplätze ausgebaut, damit auch visuell die Rockstarnummer
stimmt. Es lohnt sich, vorne an der Bühne zu stehen für den zweistündigen
Ritt durch die Karriere einer Frau, deren Arbeit in den frühen
Zweitausendern noch so provokant und schockierend war, dass ihre „Top of
the Pops“-Performance nie gezeigt wurde und ihr kurzzeitiges Major-Label
Sony nach einem Blick auf ihr Video zu „Set it Off“ die Zusammenarbeit
beendete. So richtig unerhört ist das alles heute nicht mehr, nackte Körper
locken niemanden mehr hinter dem Ofen hervor, aber die schiere Menge an
involvierten Performer*innen und Musiker*innen und die gewaltige visuelle
Wucht der Revueshow allein machen den Abend zu einem Pflichttermin.
Los geht es mit dem Stück „Diddle my Skittle“, aus dem auch der Titel des
Abends, „There’s Only One Peach with the Hole in the Middle“ stammt – n…
tritt Peaches für die ersten zwei Songs noch gar nicht auf. Stattdessen
überlässt sie die Bühne ihren um die 30 Performer*innen und Musiker*innen,
die in wechselnden Kombinationen die Bühne stürmen. Davon zwölf
Musikerinnen in weißen Kostümen zwischen Basketballplatz und Arztkittel,
den Tanz-/Performancegruppen Clusterfuck und NOLA Kinfolk und der
Drag-Mistress of Ceremony Anita Drink. Als aber die Grande Dame des Abends
in einem yetihaften Kostüm des anarchischen Kostümbildners Charlie Le Mindu
zum Song „Rub“ die Bühne betritt, gibt es kaum noch ein Halten. Quer durch
ihre Karriere hindurch führt Peaches durch den Abend. Darunter gibt es
viele große Momente, als sie sich zum Beispiel in einem weiteren Haarkostüm
für ihre zwanzig Jahre als Peaches und als Diva feiern lässt. Oder als sie
für drei Songs mit zwei der Musiker*innen Laserharfen übernimmt. Und
natürlich der Abschluss mit dem Über-Hit „Fuck the Pain Away“.
Etwas bizarr dagegen ist die Performance zum Song „Kick It“, den sie vor
einer Videoleinwand mit einer Aufnahme von Iggy Pop duettiert. Eines der
größten Highlights allerdings kommt nicht von Peaches selbst, sondern ist
die Trapezkünstler*in Empress Stah, die hoch über der Bühne thront und
Laserstrahlen aus ihrem, nun ja, Gesäß schießen lässt. Was irgendwie seine
ganz eigene Poesie entfaltet.
Peaches’ Verdienste liegen eben nicht nur in der Vergangenheit: Sie liegen
heute vor allem darin, dass sie ihr Privileg, die großen Häuser bespielen
zu dürfen, mit Dutzenden Künstler*innen teilt und ihnen die Bühne gibt. Und
dass sie ihren Körper bis heute im besten Sinne schamlos in die politische
und ästhetische Schusslinie stellt. Denn heute ist vielleicht nicht mehr
der weibliche Körper an sich die ultimative Provokation (man denke nur
Helene Fischer bei ihrer Weihnachtsshow), aber dass er die Schamlosigkeit
besitzt, zu altern, real, unperfekt und dabei trotzdem stolz zu sein.
Peaches ist die Diva die Berlin verdient, unsere Cher, unsere Liza
Minnelli. Und sie versteht es bis heute, Konservative aller Couleur auf die
Palme zu bringen, schon allein deswegen sollte ihr auch jede Bühne dieser
Stadt gehören.
30 Dec 2019
## AUTOREN
Aida Baghernejad
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