# taz.de -- Einer gegen die Dummheit | |
> Er war Kommunist, Kritiker und Herausgeber der „Konkret“: Mit 79 Jahren | |
> ist Hermann L. Gremliza gestorben. Ein Nachruf | |
Bild: Hermann L. Gremliza 1997 bei einer „Konkret“-Veranstaltung | |
Von Roger Behrens | |
Hermann L. Gremliza ist gestorben. Das Feuilleton rühmt in den Nachrufen | |
seine stilistische Brillanz, sein literarisches Gespür, seine an sein | |
Vorbild Karl Kraus erinnernde Sprachkritik. Für die Süddeutsche Zeitung war | |
Gremliza „der große Stilist, der gnadenlose Polemiker“, die Jüdische | |
Allgemeine erinnert an den „vielleicht größten Journalisten des Landes“. … | |
war das, nach seinen Möglichkeiten, in einer politischen Konsequenz, die | |
aus der Geschichte eben dieses Landes folgte: Gremliza war Kommunist. | |
Er war das nicht aus einer Marotte oder Schrulle – und zweifellos hatte | |
Gremliza Marotten oder Schrullen reichlich – sondern schlichtweg aus | |
Notwendigkeit: gegen die zum Zeitgeist geronnene Feindseligkeit, gegen den | |
Faschismus und seine demokratisch getarnten Derivate, gegen jeden | |
Antisemitismus und so weiter. Und das heißt schlichtweg: gegen die | |
Dummheit, die sich als gesellschaftliches Bescheidwissen sedimentiert und | |
das politische Lagebewusstsein nicht nur der Rechten und der Mitte | |
bestimmt, sondern auch der Linken. | |
Insofern folgen Stil und Kritik einer geschichtlichen Verantwortung. „Was | |
tun?“ wird zur virulenten Problemfrage: Was macht man als Kommunist, heute? | |
Die Frage hat Bertolt Brecht in den „Geschichten vom Herrn Keuner“ | |
beantwortet: Herr Keuner begegnet Herrn Wirr, dem Kämpfer gegen die | |
Zeitungen. „Ich bin ein großer Gegner der Zeitungen“, sagte Herr Wirr. „… | |
will keine Zeitungen.“ Herr Keuner sagte: „Ich bin ein größerer Gegner der | |
Zeitungen: Ich will andere Zeitungen.“ | |
Diese Sätze finden sich als Motto dem Bestseller „Der Aufmacher“ | |
vorangestellt, den nicht Günter Wallraff geschrieben hat, sondern | |
„inklusive Vorwort und Nachwort“ Gremliza, behauptete Gremliza. Das Buch | |
erschien 1977. Drei Jahre zuvor, 1974, hatte Gremliza das 1957 gegründete | |
Monatsmagazin Konkret als Herausgeber übernommen. Konkret wurde jetzt die | |
„andere Zeitung“. | |
Was Gremliza als Herausgeber der Konkret beinahe ein halbes Jahrhundert | |
rücksichtslos kritisierte, war der Rausch – nicht nur – | |
bundesrepublikanischer Normalisierung, die Konsolidierung deutscher | |
Ideologie nach 1945, genauso wie die mitunter bizarren | |
Auflösungserscheinungen einer emanzipatorischen Linken mit und nach 1968, | |
die in ihren Auflösungserscheinungen mehr und mehr eben die deutsche | |
Ideologie auszustaffieren half und diese fortsetzte. Vor allem Gremlizas | |
Beiträge in Konkret, der ihrem Selbstanspruch nach „einzigen linken | |
Publikumszeitschrift Deutschlands“, waren immer auch | |
Publikumsbeschimpfungen – oft zynisch, polemisch sowieso, häufig arrogant | |
und herablassend, insbesondere gegenüber einstigen Weggefährten, | |
gelegentlich auch grober Unfug und beleidigender Quatsch, aber doch | |
meistens in der Sache gerechtfertigt. | |
Gremlizas Kolumnen sendete, von ihm gelesen, seit einigen Jahren das Radio | |
FSK. Man kann sich gerne aus gegebenem Anlass durch das – leider derzeit | |
nicht voll verfügbare – Archiv auf den Online-Seiten der Konkret | |
durchklicken und findet das leicht bestätigt, komprimiert geradezu als | |
Geschichte der Linken und ihres vielfachen Scheiterns: Eine Geschichte der | |
falschen Klassenkämpfe, der falschen Niederlagen und der noch falscheren | |
Siege. | |
Und apropos: Ein falscher, weil verlogener Sieg war die Deutsche | |
Demokratische Republik. Die zum Teil auch von libertären Linken verteidigte | |
Annahme, die DDR sei wenigstens nominell sozialistisch und antifaschistisch | |
von Staats wegen, wies er schroff ab, wenn er zu Recht erklärte, dass ein | |
Land, in dessen Nationalversammlung am Anfang drei Viertel der sogenannten | |
Volksvertreter ehemals Mitglieder der NSDAP waren, mitnichten ein | |
sozialistischer, ein antifaschistischer Staat sein kann. | |
Gremlizas Eingriffe waren Eingriffe ins Denken. Das allerdings | |
verdünnisierte sich zusehends. Zur Signatur der Linken im Übergang von den | |
1970er- zu den 1980er-Jahren wurde die krude Mischung aus begriffsloser | |
Anpassung und blindem Aktionismus, das theoretische Sich-Abfinden und das | |
praktische Sich-Einrichten, die Ersetzung der kritischen Theorie durch | |
irgendwas mit „Post-“, der Antiimperialismus, der Antiamerikanismus, die | |
antisemitische Obsession der Antisemiten, die selbstverständlich keine | |
Antisemiten sind, wenn sie antisemitisch sind. Und schließlich die – auch | |
schon 1968 proklamierten – bizarren Querfrontverläufe, die immer von links | |
nach rechts führten und führen, die vergeudete Zeit und die bleierne Zeit. | |
Dazu die Unfähigkeit der nunmehr segmentierten Bewegungslinken, von der | |
Friedensbewegung bis zu den Autonomen, sich nicht bloß defensiv mit dem | |
sogenannten Neokonservatismus, dem Geschichtsrevanchismus, dem | |
Historikerstreit, den Neuen Rechten und den reaktionären Postmodernismen | |
auseinanderzusetzen. | |
Gleichzeitig spülte eine Esoterikwelle nach der anderen den Leuten das | |
Resthirn aus den Köpfen. Das „Neue Denken“, wie es im Wassermannzeitalter | |
von diversen Gurus, Swamis und Yoga-Meistern propagiert wurde, kommentierte | |
Gremliza sinngemäß so: Was soll Neues Denken sein? Er freue sich, wenn die | |
Leute überhaupt mal denken. | |
Dass Gremliza aus der SPD austrat, als diese am 9. November 1989 im | |
Bundestag mit der CDU, CSU und FDP aufstand, um die Nationalhymne | |
anzustimmen, ist die Anekdote zur politischen Kritik der Zeit, nämlich die | |
rücksichtslose Kritik eines kollektiven Narzissmus, der sich mit der | |
Vereinigung der beiden deutschen Staaten auch prompt entlädt: Hoyerswerda, | |
Rostock-Lichtenhagen, Mölln. | |
Dass eine emanzipatorische Linke nur – und nunmehr zuerst – antinationale | |
Linke sein kann, ist allerdings mitnichten Konsens geworden. Die Restlinke | |
hat sich darüber zerstritten, politische Reflexion verdrehte sich in | |
Befindlichkeiten und Psychopathologien. Davon war auch Gremliza nicht frei. | |
Die Konkret verlor Leserinnen und Leser, mancher Eingriff war bloß | |
Eitelkeit. | |
Und gegen Gremliza wurde zurückgeschossen. „In Hamburg-Gremliza obwaltet | |
ein Irrsinn, den man nur noch mit dem Ochsenzollstock messen kann“, | |
polemisierte der im letzten Mai gestorbene Wiglaf Droste in der Jungen Welt | |
gegen Gremliza. Vor 25 Jahren hatten Gremliza und Droste gemeinsam | |
versucht, die Junge Welt zu „reformieren“, wie es auf Wikipedia heißt. Es | |
ging ums Ganze, um die Grundsätze, Basisbanalitäten, auf die sich die Linke | |
einigen musste und muss, wenn sie mit Ziel und Absicht des Kommunismus zu | |
denken und zu handeln beansprucht. Wenn das nicht passiert, passiert gar | |
nichts, oder nur das Verkehrte. „Was als halber Schritt in die richtige | |
Richtung galt und gilt, war und ist immer der ganze in die falsche“, | |
insistierte Gremliza. | |
Es ging und geht, wie schon lange und heute auch, ums Ganze unter | |
Bedingungen emanzipatorischer Politik, in denen es nicht ums Ganze gehen | |
kann. „Eines müssen wir uns klarmachen“, sagte Hermann Gremliza nach dem | |
Hamburger G20-Gipfel im August 2017 auf einer Veranstaltung, „wir sind eine | |
beschissen kleine Minderheit!“ | |
Am 20. Dezember ist der Genosse Hermann Ludwig Gremliza nach langer, | |
schwerer Krankheit im Alter von 79 Jahren gestorben. | |
28 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Roger Behrens | |
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