# taz.de -- Das Spiel mit dem Ernst | |
> Am Mittwoch gastierte Tommy Neuwirths Musikrevue „Das weltweite Netzwerk | |
> für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ im Acud | |
Von Jan Bykowski | |
Das weltweite Netzwerk für Bedingungsloses Grundeinkommen hat sich | |
angekündigt! Es kommt im Blaumann und ist allein. Auf der Bühne steht Tommy | |
Neuwirth, und er hat seinen Künstlernamen gut gewählt. Besonders unter | |
Musikern des Diskurspop genießt dieses Finanztransferkonzept einige | |
Aufmerksamkeit. Bernadette La Hengst, die mit ihrer Band Die Braut haut ins | |
Auge einst Teil der Hamburger Schule war, hat es im Rahmen einer | |
Theaterproduktion an der Kampnagelfabrik umgesetzt und tatsächlich ein | |
Monatseinkommen von 1.000 Euro an eine Testgruppe ausgegeben. Das kritische | |
Publikum allerdings erwartet jetzt, fünf Jahre später, offenbar keinen | |
Tausender mehr, und so sind es nur etwas mehr als ein Dutzend Zuschauer, | |
die im kleinen Theatersaal des Acud zusammenkommen. | |
Empfangen werden sie von der erkennbaren, aber stark entschleunigten | |
Version von „Seven Nation Army“, melancholisch vorgetragen von Neuwirth, | |
der sich in teilweise live aufgezeichneten Loops selbst begleitet und im | |
Laufe des Abends öfter als „Das weltweite Netzwerk für bedingungsloses | |
Grundeinkommen“ vorstellig wird. Die Grifftabelle eines Gitarrenlehrbuchs | |
ersetzt später das tatsächliche Griffbrett, als aus dem Off klingende | |
Saiten einer Luftgitarre angeschlagen werden. Ist es ihm ernst? Oder steht | |
er in der Ironie-Tradition eines grotesken Helge-Schneider-Humors? | |
## Insecurity statt Ordner | |
Eine gewisse Unsicherheit mag Teil der Konzepte sein – nach der Hälfte des | |
Auftritts fällt der Blaumann und gibt ein T-Shirt mit der Aufschrift | |
„Insecurity“ preis. Bald aber hat sich das Publikum entschieden und die | |
Lacher klingen zunehmend befreit. Das Spiel mit dem Ernst geht unterdessen | |
weiter, eine nächste Melodie stammt von der Gruppe Frei.Wild und wird auch | |
so angesagt. Ist es doch nicht so lustig? Würde die Deutschlandfahne dazu | |
nicht so unbeholfen geschwenkt, man könnte schon wieder in Zweifel | |
verfallen, wenn nicht in Verzweiflung angesichts der politischen | |
Strömungen, die sich auch in der Popmusik zunehmend festsetzen. Nie klang | |
die Textzeile „I can’t get no satisfaction“ glaubwürdiger als in der an | |
diesem Abend aufgeführten Depri-Version von Tommy Neuwirth. Gegen Ende des | |
Liederabends geht es mit den Toten Hosen noch tiefer ins Dunkel der leeren | |
Bühne hinab. Ihr „An Tagen wie diesen“ erscheint durch zu häufige und zum | |
Teil missbräuchliche Verwendung wie auf einer Wahl-Party der CDU durchaus | |
passend. Hat Popmusik ihre politische Unschuld, wenn man sie ihr denn je | |
zugesprochen haben wollte, verloren? Bei seiner tieftraurigen Version des | |
Liedes „Happy“ von Pharell Williams zum Abschluss kann „Das weltweite | |
Netzwerk für ein bedingungsloses Grundeinkommen“ allerdings selbst ein | |
Lachen nicht unterdrücken. Die Unsicherheit ist damit zwar gänzlich und | |
vielleicht etwas unfreiwillig aufgelöst, hallt aber nach. Erst nach der | |
Aufführung kann sich jeder Zuschauer ein Booklet mitnehmen, in dem | |
erstaunlich sachlich das Konzept von Tommy Neuwirth, der Medienkunst an der | |
Bauhaus-Universität Weimar studiert hat, erläutert wird. In Essays, | |
Interviews und Fabeln ordnen er und andere Autor*Innen Phänomene wie den | |
Identitätsrock ein. Die mitunter verkrampfte Diskussion innerhalb der Pop- | |
und Rockmusik wird anhand einer Chronologie von Bands wie Slime, Buttocks, | |
den Goldenen Zitronen und Egotronic bis hin zu Helene Fischer erläutert. | |
Das Anliegen ist ernst. Der Abend, den „Das weltweite Netzwerk für ein | |
bedingungsloses Grundeinkommen“ dazu gestaltet, geht es dennoch mit einem | |
eigenen Humor an. Seit 2013 ist Tommy Neuwirth damit in Konzertsälen, | |
Theatern, Galerien und sogar auf dem „Fusion“-Festival unterwegs. | |
Inhaltlich hat sein Programm mit dem Namen des Solo-Projektes zwar nichts | |
zu tun, birgt aber andere politische Relevanz. | |
20 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Jan Bykowski | |
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