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# taz.de -- Der Pimmel über Berlin
> Die Geschichte um das Kunstwerk von Peter Lenk an der Fassade des alten
> taz-Hauses steht pars pro toto für den Arbeitsstil des
> taz-Geschäftsführers Kalle Ruch
Bild: Beliebt bei Besuchergruppen aus aller Welt: die Penis-Kunst am ehemaligen…
Von Peter Unfried
Ein überdimensionales Geschlechtsorgan ist ein leuchtendes Beispiel für die
Art, wie der taz-Geschäftsführer Kalle Ruch seinen Job interpretiert hat.
Es befindet sich seit ziemlich genau zehn Jahren an der Wand des früheren
taz-Gebäudes an der Rudi-Dutschke-Straße und ist Teil eines Kunstwerks des
Bildhauers und unbeugsamen 68ers Peter Lenk.
Dieser „Pimmel über Berlin“ wird offenbar von einer Flötistin nach oben
gelockt, wie eine Schlange von einer Schlangenbeschwörerin. Die Flötistin
ist einer Verlegerin vom anderen Ende der Rudi-Dutschke-Straße
nachempfunden: Friede Springer, weshalb das Kunstwerk offiziell „Friede sei
mit Dir“ heißt. Die Pimmel-Schlange wiederum wurde Kai Diekmann zugeordnet,
damaliger Chefredakteur des Boulevardblattes Bild. Lenks Kunstwerk sollte
„eine Therapie für die sexuellen Obsessionen der Bild-Zeitung“ sein. Es war
aber auch ein grandioser Mediencoup auf der Grundlage des historischen
gesellschaftspolitischen Konflikts zwischen Gut und Böse – also taz und
Bild.
Geschäftsführer Ruch hatte die Aktion nicht ausgeheckt und auch nicht die
Kontakte hergestellt. Aber als eine von der damaligen Chefredakteurin Ines
Pohl angeführte interne Widerstandsgruppe die sofortige Entfernung des
Kunstwerks forderte, zeigte Ruch seine solitären Qualitäten: Das
erarbeitete Gespür dafür, was die taz ausmacht und was ihr nutzt. Und den
eisernen Willen, das als richtig Erkannte, dann auch gegen alle Widerstände
durchzusetzen oder wenigstens auszusitzen.
„Kalle Ruch hat nicht die Idee. Aber er zieht sie durch, selbst wenn er
dann alle am Hals hat“, sagt ein langjähriger Weggefährte, „und der Erfolg
gibt ihm recht.“ Bald schon standen ständig Touristengruppen unter Lenks
Kunstwerk, besonders gern asiatische und italienische, kicherten und
fotografierten die zum Springer-Hochhaus zeigende Wand, die plötzlich zur
spektakulärsten außenarchitektonischen Sehenswürdigkeit rund um den
Checkpoint Charlie geworden war.
Bei der taz standen Ruch und sein kongenialer Mitgeschäftsführer Andreas
Bull anfangs eher am Rand. Während die Journalisten sich traditionell für
verlegerische Innovation zuständig fühlten und gern und viel redeten,
schwieg Ruch vor sich hin. Das war die Grundlage, um aus ihm den weisen
Strategen und Jahrhundertverleger werden zu lassen, als der er heute
dasteht. Er hatte schon früh gemerkt, dass das aus reinem Herzen kommenden
Versprechen der Redakteure – ihnen einfach immer mehr Geld zu geben für die
neueste Idee, mit der die Auflage aber diesmal wirklich wahnsinnig steigen
würde – schlicht nicht stimmte.
Kalle Ruch redete also eher wenig, das wäre auch nicht gut angekommen,
damals. Aber er konnte schon immer gut zuhören, aufsaugen, abwägen und die
aufgesaugten Ideen und Konzepte, die er für gut hielt, in den Gremien und
wohl auch seinen Küchengremien vorantreiben.
Die meisten Großen zünden ihre Superkracher am Beginn, Ruch reifte und
reifte und brachte seine beiden größten Hits erst im zweiten Jahrzehnt des
21. Jahrhunderts heraus. Der eine war die Ankündigung, die taz werde bald
schon nur noch samstags gedruckt erscheinen. So eine mutige Vorgabe hätte
er sich früher gegen die Superchecker der Redaktion vermutlich nicht
getraut.
Der andere war das neue Haus in der Friedrichstraße. Den Bau der dritten
taz-Immobilie hat er nicht nur durchgezogen, es ist weitgehend seine Idee,
sein Projekt und sein Herzblut – womit er schließlich auch die oben
zitierte Ruch-Regel überwunden hat. Mit beiden Maßnahmen hat Ruch die
Bedingungen und Chancen gewaltig verbessert, unter denen die taz die
Transformation und Diversifizierung ihres alten Geschäftsmodells und ihrer
traditionellen Kultur angehen muss.
Peter Unfried, 56, ist taz-Chefreporter. Als stellvertretender
Chefredakteur von 1999 bis 2009 bekam er von Kalle Ruch viel zu wenig Geld
für seine Ideen und Projekte, mit denen er die Auflage wirklich wahnsinnig
gesteigert hätte.
14 Dec 2019
## AUTOREN
Peter Unfried
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