# taz.de -- Alle für K. | |
> Stellt man die Einnahmen und Ausgaben der taz gegenüber, sieht es | |
> eigentlich ganz gut aus.Wie konnte das passieren? Die Bull-Analyse | |
Von Andreas Bull | |
Klar, am Anfang war das Abo. 20.000 sollten es mindestens sein, bevor es | |
überhaupt erst losgehen konnte mit der taz, so besagt es die Legende. Aber | |
schon als 7.000 erreicht waren, ging es los: Am 17. April 1979 erschien die | |
erste taz. | |
Die Abhängigkeit von steigenden Abozahlen war damals absolut existenziell, | |
denn bei dem Geld aus den Abonnements handelte es sich ja um | |
Vorauszahlungen, mit denen man eigentlich nur genau die Lieferungen | |
bezahlen konnte, für die man es im Voraus eingenommen hatte, also zum | |
Beispiel für Papier. Jede weitere (dringend notwendige) Anfangsinvestition | |
minderte die Möglichkeit, die versprochene Zeitung auch liefern zu können – | |
und die so drohende bilanzielle Überschuldung trat nur deshalb nicht ein, | |
weil es immer UnterstützerInnen gab, die von ihren Forderungen | |
zurücktraten. Und weil die 20.000 Abos 1980 tatsächlich erstmals erreicht | |
wurden, als die taz mit der publizistischen Begleitung der Hausbesetzungen | |
stärker nachgefragt wurde. | |
Ein Nachlassen der Nachfrage oder auch nur vorübergehende Abopausen während | |
der Sommerferien deckten die Lücke in der Finanzierung unverzüglich auf. | |
Rettungskampagnen wurden zum ständig bemühten Instrument der | |
Insolvenzvermeidung. Zu dieser Zeit war eine regelmäßige Prüfung der Bilanz | |
auf Überschuldung dringend geboten. Denn wäre sie eingetreten, hätte sie | |
unausweichliche Konsequenzen für den haftenden Geschäftsführer gehabt. | |
Kalle hatte dieses Risiko über viele Jahre immer wieder in Kauf genommen; | |
es zu mindern und der Zeitung ein stabiles Fundament zu verschaffen wurde | |
in der Folge zum strategischen Kern seines Schaffens. | |
Die Vermögenslage der taz musste sich deutlich verbessern, denn mit einer | |
Bilanz, der es ganz wesentlich an Eigenkapital fehlt, lebt man | |
sprichwörtlich von der Hand in den Mund. Bleiben die Vorauszahlungen durch | |
die Abos aus oder steigen die Kosten, ist man schnell überschuldet. Und | |
eine Überschuldung wäre für die Zeitung auf Dauer noch bedrohlicher als | |
eine Insolvenz, die die UnterstützerInnen der taz bei Rettungskampagnen | |
immer wieder abwehren konnten. | |
Auf jeder der Generalversammlungen der taz Genossenschaft in den letzten | |
Jahren hat Kalle den Anwesenden die aktuellen Positionen der in der | |
taz-Unternehmensgruppe zusammengefassten konsolidierten Bilanz erläutert. | |
Wie er es selbst immer etwas lakonisch formulierte: „Und jetzt kommt ein | |
kurzer Volkshochschulkurs im Bilanzlesen.“ Vereinfacht gesagt: Rechts, auf | |
der Passivseite, steht, wo das Geld herkommt. Und links, auf der | |
Aktivseite, steht, was damit gemacht wurde. | |
Woran es in den Anfangsjahren mangelte, kann sich nun deutlich sehen | |
lassen: Rechts ganz oben das eingezahlte Eigenkapital der nun 19.471 | |
GenossInnen, gleich darunter die Zeile, die sich seit gut zehn Jahren | |
besonders erfreulich entwickelt: das buchmäßige Eigenkapital, bei dem die | |
Verluste und Gewinne der vergangenen Jahre bereits abgezogen und | |
zugerechnet sind. | |
Besonders erfreulich ist diese Zeile, weil ihre Steigerung darauf verweist, | |
dass keine Verluste mehr zu verkraften sind, im Gegenteil erhöht sich der | |
Bestand immer weiter. | |
Noch erfreulicher ist der in der Berliner Friedrichstraße bezogene Neubau, | |
in der Bilanz links oben zusammen mit den Gebäuden in der | |
Rudi-Dutschke-Straße aufgeziffert. Betrachtet man die Steigerung dieser | |
Werte über die Jahre, erkennt man eine phänomenale Kalle-Kurve. | |
So oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Gelegenheiten zu | |
ergreifen, sich dabei der Unterstützung der richtigen Menschen und Gruppen | |
zu versichern und selbst nie der Versuchung zu erliegen, davon profitieren | |
zu wollen oder Anerkennung dafür zu erheischen, ist eine Singularität nicht | |
nur in unserer Branche. | |
Dazu gehört das Gespür für den richtigen Ort – beim schnellen Wachstum der | |
taz nach Tschernobyl fand er neue Räume im alten Zeitungsviertel, die nach | |
dem Fall der Mauer ein Vermögen wert waren und ein Glück für die Zeitung. | |
Dazu gehört das Gefühl für den richtigen Zeitpunkt – Olaf Scholz empfahl | |
ihm die Gründung einer Genossenschaft gerade dann, als sich das Paradigma | |
der Genossenschaftsverbände zu ändern begann und sich der taz die frühe | |
Chance bot, Avantgarde einer neuen Genossenschaftsbewegung zu werden. Dazu | |
gehört das Gefühl für die richtige Gelegenheit – vor gut sechs Jahren war | |
das ein nutzungsgebundenes Grundstück im abgelegenen Teil der berühmten | |
Berliner Friedrichstraße. Dort sollte die taz ihren Neubau errichten. Dazu | |
gehört das unvergleichliche Vertrauen der vielen Menschen, die innerhalb | |
weniger Wochen mit sieben Millionen Euro die von Kalle präsentierte | |
Finanzierungssäule für die Errichtung des Neubaus ausstatteten. | |
Dass die Entscheidung für diesen Ort in einen Zeitraum fiel, in dem sich | |
die aktuell fast schon absurd erscheinende Steigerung des Wertes von Grund | |
und Boden erst schemenhaft andeutete, ist sicher etwas mehr als das Glück | |
des Tüchtigen. Und dazu gehört nicht zuletzt die Platzierung des | |
Bezahlmodells „taz zahl ich“ als „leistungsunabhängige Förderbeiträge … | |
digital publizierten Journalismus im Internet“. Auch so eine verblüffende | |
Idee, zu der dem gestrengen Wirtschaftsprüfer nur anerkennend einfiel, | |
Kalle sei offenbar „finanzphantasiebegabt“. | |
Viele Mitarbeitende der taz, die nun in den kommenden Jahren ohne seine | |
zurückhaltende, aber kontinuierliche Präsenz auskommen müssen, profitieren | |
von dem Vertrauen, das Kalle Ruch bei den Tausenden von LeserInnen und | |
UnterstützerInnen erzeugt hat. Sie alle können sich sicher sein, dass ihr | |
Engagement, sei es ideeller oder finanzieller Art, in guten Händen ist – | |
und auch in den Händen jener, die bereit und in der Lage sind, seinen Kurs | |
auch in Zukunft fortzuführen. | |
Auch wenn die Konsequenzen des Szenariums 2022 nicht allen angenehm sind, | |
so sind sie doch genauso wie bisher Ergebnis seiner nüchternen Analyse | |
jener Marktprozesse, denen sich die taz täglich stellen muss. Die taz nur | |
noch einmal in der Woche drucken: wieder so eine richtige Idee zum | |
richtigen Zeitpunk, die Kalle hatte. Aber, liebe Leserinnen und Leser, Sie | |
können sicher sein, dass Kalle sich mit den richtigen Leuten umgeben hat. | |
Leuten, die auch in Zukunft ganz uneitel die richtigen Entscheidungen | |
treffen werden. | |
Am besten wäre es, wenn wir alle zusammen in den nächsten Jahren darauf | |
achteten, dass die Kalle-Kurve sich so fortsetzt wie in den letzten Jahren. | |
Also nach oben. Und am besten wäre es, wir erreichten so bald wie möglich | |
die Zahl von 20.000 GenossInnen, denn die Genossenschaft bildet das | |
finanzielle Fundament für die aktuellen Herausforderungen der | |
Digitalisierung. Als Nächstes dann müssen wir die Zahl auf 25.000 erhöhen: | |
So ermöglichen wir, Hypotheken durch Eigenkapital abzulösen und die | |
weiteren Schritte in die ungewisse Zukunft abzusichern. | |
Das Allerbeste schließlich, das unseren JournalistInnen passieren könnte, | |
wäre, wenn sich möglichst viele für ein reguläres Abo oder einen | |
dauerhaften Förderbeitrag entschieden, um die Arbeit der Redaktion zu | |
gewährleisten. Tun Sie selbst es jetzt! Und erzählen Sie es den richtigen | |
Leuten weiter, damit auch die es tun. | |
Alle für Kalle. | |
Andreas Bull, 64, ist seit 1991 Geschäftsführer der taz. Er wird Kalle | |
vermissen. | |
14 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Andreas Bull | |
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