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# taz.de -- Die ewige Wiederkehr des Neuen
> Nach dem neuerungswütigen Zeitalter der Avantgarde im konsumkritischen
> Zeitalter angelangt, fragt ein neuer Sammelband nach der „Zukunft im
> Design“
Von Gerhard Schweppenhäuser
Ist das Neue das Wesen des Designs? So lautete Ende 2018 die Ausgangsfrage
einer Tagung der Gesellschaft für Designgeschichte. Eine berechtigte Frage.
„Designen“ kann man mit „Entwerfen“ übersetzen; was es schon gibt, muss
nicht mehr entworfen werden. Also eine rhetorische Frage? Das nun auch
wieder nicht.
Bis in die 1970er Jahre galt das Credo des Avantgardismus: „Il faut être
absolument moderne“, man muss absolut modern sein. Nur der echte Neubeginn
zählt. Kunst, Architektur und die Gestaltung von Produkten und
Kommunikationsmitteln schienen kulturell wertlos, wenn sie nicht mit
traditionellen Darstellungskonventionen und Wahrnehmungsmustern brechen.
Doch permanente Innovation nützt zwar dem militärisch-industriellen
Komplex, aber keineswegs immer den Nutzer*innen der gestalteten Produkte
und Medien. Wenn die jedoch das Interesse verlieren, geht gar nichts mehr.
Neue Absatzmärkte schafft man nicht nur mit neuen Waffen. Sie lassen sich
vor allem über neugeschaffene Bedürfnisse erschließen (Walkman, Smartphone,
Videospiele, Social Media etc.).
Seit den 1980ern darf dabei auch die Freude am Alten und Überlieferten
zurückkehren. Architektur und Design der Postmoderne zitierten munter
drauflos. Sie machten sich, zumeist ironisch, Bedeutungs-Codes zunutze, die
längst passé schienen. Aber auch ihre Erzeugnisse waren selbstverständlich
– neu. Das betont die Luzerner Designforscherin Dagmar Steffen: „Die
vermeintlich voraussetzungslos neuen Werke der Moderne weisen historische
Referenzen auf, und das postmoderne Re-Design ist trotz seiner Rückgriffe
auch innovativ.“
Heute verstehen sich viele Designer*innen nicht mehr als Funktionäre des
Innovations- und Wachstumsmotors. Bruno Latour und Harald Welzer behaupten:
Design soll nichts Neues erschaffen, sondern Bestehendes modifizieren –
oder transformieren, auch im Sinne einer neuen Gestaltung der Lebens- und
Produktionsverhältnisse. Die Beiträge des Sammelbands tragen Wichtiges zu
dieser Debatte bei, auch wenn sie sich nicht auf Latour oder Welzer
beziehen. Ihre Gewährsleute sind unter anderem Adorno, Bloch, Gehlen,
Groys, Esposito, Luhmann, Marcuse und Sennett.
Siegfried Gronert gibt einen Überblick über Aspekte des Neuen als
„dauerhaft wechselhaftes Phänomen“ in der deutschen Designgeschichte
(inklusive DDR). Verschiedene Beiträge bieten regionale Einblicke in den
Zusammenhang von Tradition und Innovation in Designausbildung und
Museumskultur der Weimarer, Bonner und Berliner Republik. Martin Krämer
entfaltet seine grundlegende Unterscheidung zwischen quantitativer und
qualitativer Neuheit von Gestaltungsansätzen. Melanie Kurz demonstriert,
wie Raymond Loewys formalästhetische Devise „most advanced yet acceptable“
über die Epoche des stream lining hinaus wirkt. Der neotraditionellen
Architektur seit den 1970er Jahren widmet sich Eva von Engelberg-Dočkal,
und Robin Rehm zeigt mit Blick auf Aby Warburgs Forschungen, wie das Motiv
der Bewegung seinen Weg von der Renaissancekunst in die moderne Architektur
und Möbelgestaltung fand.
Die Digitalisierung der Produktion wirft neue Gestaltungsfragen auf. Jan
Willmanns These lautet: Sie scheint geschichtslos auf- und einzutreten,
steht aber in einem historischen Kontinuum. Digitale Entwurfstechniken
gehen zurück hinter die Trennung von Entwurf und Ausführung, von Kopf- und
Handarbeit, die Alberti in der Renaissance etablierte. Urheberschaft –
einst innovativ, inzwischen Tradition – wird nicht nur durch algorithmische
Entwurfsverfahren problematisiert, sondern durch neue kollektive
Entwurfsprozesse, in die auch die Nutzer*innen einbezogen werden. Hanni
Geiger schlägt den Bogen vom Futurismus des 20. zum Transhumanismus in
Kunst und Design im 21. Jahrhundert, und Wolfgang Ullrich betrachtet auf
geistreiche, sympathische Weise die Freude am Neuen im Genre der
Auspack-Videos.
Dass die Beiträge heterogen sind, ist kein Manko, es macht den Band
vielseitig verwendbar. Schade, dass Zeit/Geld für einen letzten
Korrekturgang fehlte. Doch Interpunktionsunsicherheiten und ähnliche Pannen
sind zu verschmerzen. Sie werden ausgeglichen durch exzellentes Layout,
sorgfältige Bebilderung, Namensregister und schöne Ausstattung mit
Fadenheftung.
Siegfried Gronert u. Thilo Schwer (Hg.): „Positionen des Neuen. Zukunft im
Design“. av edition, Stuttgart 2019, 191 Seiten, 24 Euro
4 Dec 2019
## AUTOREN
Gerhard Schweppenhäuser
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