# taz.de -- Kein Auf und Ab | |
> Toshiki Okadas Stück „The Vacuum Cleaner“, aufgeführt an den Münchner | |
> Kammerspielen, ist so aufregend wie eine Stunde Staubsaugen – was zum | |
> Thema des Abends passt: erwachsene Nesthocker | |
Bild: V .l. n .r.: das Ensemble, bestehend aus Julia Windischbauer, Walter Hess… | |
Von Annette Walter | |
Matthias Lilienthal holt während seiner Intendanz an den Kammerspielen | |
München, die sich in dieser Saison dem Ende neigt, immer wieder spannende | |
Regisseur*innen und Künstler*innen aus der ganzen Welt an sein Haus. Einer | |
davon ist der Japaner Toshiki Okada, Ende 40 – und einer der | |
interessantesten Dramatiker seines Landes. Er inszeniert nun bereits zum | |
vierten Mal in München. Von ihm waren bereits zuvor die Arbeiten „Hot | |
Pepper, Air Conditioner and The Farewell Speech“, „No Sex“ und „Nō The… | |
zu sehen. | |
In seinem neuesten Stück nimmt sich Okada des Phänomens der „Hikikomori“ | |
an. Das sind Menschen, die oft bereits weit über 40 Jahre alt sind, aber | |
immer noch bei ihren Eltern leben und sich komplett von der Außenwelt | |
isoliert haben. Sie formulieren damit ihren passiv-aggressiven Widerstand | |
gegen die Forderungen der kapitalistischen Leistungsgesellschaft, die sie | |
als Zumutungen erleben. Einige von ihnen hatten bereits als Kinder und | |
Jugendliche in der Schulzeit Schwierigkeiten, weil sie angeblich zu | |
empfindlich oder aufsässig für das Bildungssystem Japans sind – denn das | |
setzt auf Anpassung und Unterordnung. In Japan soll es rund eine Million | |
Hikikomori geben. Der Regisseur bekennt im Programmheft, dass er Glück | |
hatte , selbst kein Hikikomori geworden zu sein. | |
Okada lässt seine fünf Schauspieler*innen in einem visuell starken, | |
klaustrophobischen und verschachtelten Bühnenbild agieren. Es zeigt das | |
karge Innenleben eines angedeuteten Hauses mit transparenten Wänden, | |
Schiebetüren und Treppenhaus: eine Wohnung ohne Möbel, in der die Bewohner | |
freiwillig gefangen sind. Die Leere dieses Raumes symbolisiert die innere | |
Verlorenheit der Protagonisten; Privatsphäre gibt es hier für keinen, zu | |
tun ist nichts. Die Insassen gehen sich die meiste Zeit auf die Nerven. | |
Homare (Annette Paulmann) lebt hier bei ihrem alten Vater Chôhô (Walter | |
Hess). Die Mutter ist schon gestorben. Chôhô geht allen anderen auf den | |
Keks, indem er Zeitungsartikel nacherzählt. Staubsaugen ist eine tägliche | |
Aufgabe von Homare, unklar bleibt, womit sie sonst die Zeit totschlägt. | |
Besonders sympathisch ist diese Frau, die häufig schreit, bei alledem | |
nicht. | |
Auch ein weiterer Sohn, Richigi (Damian Regbetz), hängt in der Wohnung | |
herum. Der einziger Lichtblick in dieser dysfunktionalen Familie ist Deme | |
(Julia Windischbauer): Sie gibt aufmunternde Ratschläge, die aber ohne | |
Effekt verhallen. Irgendwann taucht ein Freund von Richigi auf, Hide | |
(Thomas Hauser). Lang und breit erzählt er von seinem öden Job in einem | |
Warenlager, den er nur vier Tage aushielt. | |
So vertändeln alle Beteiligten ihre Zeit mit absurden Dialogen und wilden | |
Phantastereien. Homare sinniert darüber, warum ihr Vater sie eigentlich | |
noch nicht umgebracht hat. Und welche Art zu sterben sich wohl wie anfühlen | |
würde: „Ich finde ja, dass nachts im Schlaf mit dem Kopfkissen erstickt zu | |
werden, wirklich gar nicht geht“, sagt sie. Warum sich Homare von der | |
Außenwelt abkapselt, erfährt man nur ansatzweise. Eine Andeutung gibt sie | |
sogar selbst. Als sie noch jung war, kam ihr Vater ohne Ankündigung in ihr | |
Zimmer und blaffte sie an: „Mach nicht alles zu und lass die Sonne rein!“ | |
Seit diesem Moment war ihr die Welt da draußen tatsächlich egal. Jegliche | |
romantische Auslegung dieses Lebens ohne Arbeit und Pflichten werden in der | |
Inszenierung negiert. Die fröhliche Müßiggängerin ist zur schwermütigen | |
Eremitin geworden. | |
Okada lässt vieles offen an diesem ruhigen und statischen Theaterabend, er | |
gibt nur vage Antworten, psychologisiert nicht und sucht keine Antwort auf | |
die Frage, warum sich die Familie möglicherweise verschanzt. Angesichts des | |
Rückzugs der Hikikomori resigniert der Regisseur selbst. Die scheinbar | |
dahingeplapperten Dialoge und das zähe Tempo der knapp 110 Minuten auf der | |
Bühne spiegeln die totale Langeweile wider, die eine Existenz als | |
Hikikomori mit sich bringt. Sogar als Parabel auf die Sinnlosigkeit des | |
menschlichen Daseins ließe sich das Geschehen interpretieren. | |
Am Ende bleibt ein Satz von Homare hängen, der den Abend gut | |
charakterisiert. Sie klagt: „Ich finde mein Leben ziemlich stumpfsinnig und | |
monoton, es gibt kein großes Auf und Ab, keine Klimax, keine Katharsis.“ | |
All das gilt auch das Stück „The Vacuum Cleaner“. Aus der bleiernen | |
Trägheit der Inszenierung nimmt man einen Impuls mit: Werde bloß kein | |
Hikikomori. | |
16 Dec 2019 | |
## AUTOREN | |
Annette Walter | |
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