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# taz.de -- taz🐾thema: Mit Augenmaske
> Beim Blindenfußball spielen sehbehinderte beziehungsweise blinde Menschen
> gemeinsam mit Sehenden. Ein Besuch beim Training von FC Viktoria Berlin
Bild: Spieler der Viktoria in Aktion
Von Laila Oudray
Lars Stetten ist nicht zu überhören, als er die Sporthalle in Lichterfelde
im Süden Berlins betritt. Knapp ein Dutzend Fußbälle trägt er bei sich, die
im Innern mit Rasseln versehen sind und bei jedem seiner Schritte laut und
deutlich rasseln. Seine Vereinskollegen freuen sich: Jetzt, wo die Bälle
endlich da sind, kann das Blindenfußballtraining beim FC Viktoria Berlin
beginnen.
2006, zeitgleich zur Fußball-WM in Deutschland, wurde in Berlin das erste
internationale Blindenfußballturnier ausgerichtet. Mittlerweile gibt es
eine Bundesliga und deutschlandweit 16 Mannschaften. Der FC Viktoria Berlin
ist die einzige Berliner Blindenfußballmannschaft und feierte letztes Jahr
zehnjähriges Bestehen. Lars Stetten ist seit 2010 dabei: „Als ich noch
besser sehen konnte, habe ich auch schon Straßenfußball gespielt“, erklärt
er. Er hat Retinitis pigmentosa, eine erbliche Augenkrankheit, bei der sich
die Sehkraft in Schüben verschlechtert. Mittlerweile verfügt er über ein
Sehvermögen von 2 Prozent und kann noch Schatten und Lichter erkennen.
Einige seiner Mitspieler*innen können besser sehen – bis zu 10 Prozent
Sehschärfe sind im deutschen Blindenfußball erlaubt. Andere wiederum sind
blind. Auf dem Feld tragen sie deswegen eine Augenmaske. Bei Turnieren
werden die Augen zusätzlich mit einem Pflaster abgeklebt. So werden die
verschiedenen Sehstärken ausgeglichen. Doch auch Sehende können beim
Blindenfußball mitmachen, beispielsweise als Torwart oder als sogenannter
Guide. Diese stehen hinter dem gegnerischen Tor und erleichtern mit Zurufen
die Orientierung ihrer Spielerkolleg*innen.
Zum Training sind diesmal sieben Vereinsmitglieder gekommen. Nach dem
Aufwärmen und einigen Übungen, bei denen sie sich mit der Halle vertraut
machen, wird endlich gespielt. Normalerweise stehen sich jeweils fünf
Spieler*innen gegenüber, doch beim heutigen Training sind es dann eben vier
gegen drei. Die Fußballer ziehen ihren Kopfschutz an, setzen sich die
Augenmasken auf und stellen sich in Position. Auf dem Feld bewegen sie sich
frei – ohne Stock oder Begleitperson. Sofort nach dem Anpfiff rasselt der
Fußball los. Ein Spieler, Nasser, hat ihn sich geholt. Routiniert dribbelt
er ihn zwischen seinen Füßen, um den Kontakt nicht zu verlieren, und läuft
so auf das gegnerische Tor zu. Immer wieder ruft er laut „voy“, spanisch
für „Ich gehe“. Auch die anderen Mitspieler rufen immer wieder „voy“ o…
„hier“, wenn sie sich ihm nähern. So sollen Zusammenstöße verhindert
werden. Als Nasser in die Nähe des Tores kommt, ruft ihm der Torwart zu,
auf welcher Linie er sich befindet. Ein Mitspieler versucht, ihm auf den
letzten Metern den Ball abzunehmen. Ein Zweikampf bricht los. Nasser
schafft es, seinen Gegner abzuschütteln, schießt auf das Tor – und trifft.
Der Torwart verkündet das Ergebnis. Nasser läuft freudestrahlend auf seine
Position zurück.
Das Stimmengewirr, das Rasseln des Balles, die Rufe des Torwarts –
Blindenfußball ist eine sehr laute Angelegenheit und lockt damit auch
Interessierte an den Hallenrand, die fasziniert zuschauen. Sie selbst
müssen leise bleiben – kein Jubeln, kein Anfeuern, damit sie die Spieler
nicht verwirren.
Das laute Spiel ist zu Beginn überwältigend, nicht nur für die Zuschauer,
sondern auch für die Spieler*innen. Lars Stetten hatte zu Beginn seine
Probleme: „Man braucht schon ein halbes Jahr, bis man die verschiedenen
Geräusche richtig zuordnen kann.“ Doch trotz all der Schwierigkeiten:
Dieser Lärm macht für ihn den Reiz des Spiels aus. „Unser Sport ist
hochkommunikativ, es funktioniert ja nur, wenn man laut ist und ruft. Ich
merke in meinem Alltag, dass Leute Kommunikation mit Blinden aus dem Weg
gehen. Lieber drücken sie sich noch an die Mauer und quetschen sich durch,
als irgendwie zu sagen ‚Hallo, ich stehe hier‘. Hier würde das nicht
gehen.“ Das erste Spiel ist vorbei, die Spieler machen eine kurze
Trinkpause. Danach werden die Mannschaften gemischt.
Sport kann eine Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Behinderung
sein, wie es sie im Alltag nur zu selten gibt. Der Umgang ist deswegen
häufig von Hemmungen geprägt. Thomas Urban vom Deutschen
Behindertensportverband ist sich sicher, dass inklusive Vereine eine Lösung
sein können: „Mit geschulten Übungsleiter*innen können Ängste schnell
abgebaut werden. Das Wichtigste ist dabei Offenheit. Wer sich darauf
einlässt, für den kann es ein Riesengewinn sein.“
Doch gerade im Behindertensport sind Übungsleiter*innen oft Mangelware –
vor allem im Breitensport. Zudem bräuchte es eine bessere
behindertengerechte Sportinfrastruktur. 2014 hat die Bugenhagenschule in
Hamburg die bundesweit einzige, vollständig barrierefreie Sporthalle
eingerichtet. Hier sind die Kommunen und die Politik gefragt, vor allem
weil die Groko im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, den
Behindertensport zu unterstützen. Doch Lippenbekenntnisse reichen nicht
aus. „50 Prozent aller Menschen mit Behinderungen haben noch nie Sport
getrieben. Das ist eine erschreckende Zahl und eine Situation, an der wir
nun arbeiten müssen“, so Thomas Urban.
Auch Lars Stetten würde sich über mehr Engagement von Seiten der Politik
freuen – aber auch von Freiwilligen. Der Blindenfußball ist für ihn ein
Ausgleich zu seiner Arbeit.
Das Training ist mittlerweile vorbei, die Mitglieder begleiten sich
gegenseitig zur S-Bahn oder werden abgeholt. Lars Stetten packt die
rasselnden Bälle in sein Auto und fährt mit seiner Frau nach Hause – bis
zur nächsten Woche.
Der FC Viktoria Berlin sucht immer neue Mitglieder*innen: Sowohl junge als
auch erwachsene Spieler*innen sind herzlich willkommen. Das Junior Team
trainiert gemeinsam mit der Bundesligakader. Die Ausrüstung wird gestellt.
Bei Interesse an einem Schnuppertraining wenden Sie sich an:
[email protected]
30 Nov 2019
## AUTOREN
Laila Oudray
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