# taz.de -- Alte Heimat, neue Heimat | |
> Dresden will Kulturhauptstadt 2025 werden. Die freie Szene erhofft sich, | |
> so endlich bessergestellt zu werden. Für Streit sorgt ein Slogan, der | |
> überall in der Stadt prangt | |
Bild: Ist auch ein Stuhl für die Subkultur frei? Und für migrantische Künstl… | |
Von Michaela Maria Müller und Frédéric Valin | |
Ein junger Erich Kästner sitzt auf der Mauer und lugt vergnügt über den | |
Albertplatz, er nimmt etwas Faunisches in den Blick. Hinter ihm steht | |
zwischen Bäumen die Villa Augustin, in der er zeitweise aufwuchs und die | |
jetzt das ihm gewidmete Museum sowie das Literaturhaus beherbergt. Dort | |
warten Willi Hetze, Vorsitzender des Dresdner Literaturturner e. V. und | |
Autor des Romans „Der Schwärmer“, sowie die Geschäftsführerin des | |
Erich-Kästner-Museums Andrea O’Brien und der bildende Künstler Frank | |
Eckhardt. | |
Dresden möchte Kulturhauptstadt Europas werden, 2025 soll es so weit sein. | |
Acht deutsche Städte bewerben sich derzeit um die Auszeichnung: Dresden, | |
Chemnitz, Gera, Hannover, Hildesheim, Magdeburg, Nürnberg und Zittau. Der | |
Titel wird seit 1985 an Städte verliehen, die ein Programm erarbeitet | |
haben, das zum einen die europäische Idee widerspiegelt, aber auch | |
langfristig einen Stadtentwicklungsprozess in Gang setzen soll, der über | |
das Veranstaltungsjahr hinausweist. Eine deutsche Kulturhauptstadt gab es | |
zuletzt 1999 mit Weimar, die aktuellen sind die bulgarische Stadt Plowdiw | |
und Matera in Italien. Ab Januar sind das irische Galway und Rijeka in | |
Kroatien dran. | |
Dabei geht es nicht darum, möglichst viel Geld zu investieren, sondern ein | |
überzeugendes Konzept zu präsentieren. Eine kleine Stadt kann dabei mit | |
wenig Mitteln ebenso ein Programm auf die Beine stellen wie eine große. | |
Marseille brachte 2013 die bislang größte Summe auf und gab 98 Millionen | |
Euro für das Programm und 630 Millionen für Stadtentwicklung und | |
Infrastruktur aus, etwa für den Bau des ersten Musée National außerhalb von | |
Paris. In Dresden sollen gut 70,6 Millionen Euro investiert werden, davon | |
rund 26 Millionen aus dem Haushalt der Stadt, der größte Teil aus Mitteln | |
des Lands, des Bunds und der EU. | |
O’Brien, Hetze und Eckhardt sind Mitglieder des Netzwerks „Kultur in | |
Dresden“, das sich 2014 gründete, als der damals schwarz-gelb dominierte | |
Stadtrat massive Kürzungen in der Kulturszene beschloss. Die Bewerbung für | |
die Kulturhauptstadt sei von ihnen wohlwollend aufgenommen worden, aber es | |
sei wieder wichtig gewesen, sich als freie Szene zusammenzuschließen, so | |
Eckhardt. Viel konzentriere sich in Dresden auf die großen Häuser, auf Oper | |
und Tanz. Freie Szene und die eher repräsentativen Institutionen würden | |
aber im Zuge der Bewerbung gleichgestellt, „das ist ein Erfolg für uns“, so | |
Hetze, „genauso wie das erklärte Ziel, die Künstler fair zu bezahlen“. Am | |
Ende, da sind sich alle drei einig, gehe es darum, feste, unveränderbare | |
Förderstrukturen zu schaffen, die es der freien Szene ermöglichen, sich von | |
der Marktlogik zu lösen. | |
Diese Strukturen sind auch deswegen notwendig, weil im Dresdner Stadtrat | |
jetzt ein Viertel Rechtsextreme sitzen, die bereits klargemacht haben, dass | |
sie der freien Kunstszene nicht wohlgesinnt sind. Im Wahlkampf war | |
vonseiten der AfD die Schließung des hoch renommierten Europäischen | |
Zentrums der Künste im Stadtteil Hellerau gefordert worden, ein kleiner | |
Vorgeschmack, was noch kommen könnte: Die Forderung nach „weltanschaulich | |
neutraler“ Kunst gehört ja ins Standardrepertoire der Rechtspopulisten. | |
Umso mehr verwundert es, dass man auch im Rahmen der Bewerbung mehrfach das | |
öffentliche Gespräch mit den Rechtsextremen suchte. Im Rahmen der | |
Diskussionsreihe „Streitbar!“ sollte Anfang Oktober diskutiert werden, „w… | |
frei Kunst sein darf“ und ob Kritik an Parteien und politischen Positionen | |
legitim sei. Einer der drei Diskutanten sollte von der AfD kommen; nachdem | |
diese aber einen Rückzieher machte, fiel die Veranstaltung aus. | |
Der Slogan „Neue Heimat Dresden 2025“ ist Ergebnis einer Bürgerbefragung, | |
in der zunächst für Dresdner*innen wichtige Begriffe gesammelt wurden. | |
Diese versuchte man dann in den Slogan aufzunehmen. Die Einschätzungen aus | |
der freien Kulturszene zum Ergebnis fallen unterschiedlich aus. Inzwischen | |
ist er in der ganzen Stadt plakatiert, es wird darüber diskutiert. | |
Hussein Jinah, 61, sitzt im Café Milan an der Petersburger Straße. Er kam | |
1985 nach Dresden, um Elektrotechnik zu studieren. Zwanzig Jahre arbeitete | |
er als Streetworker, heute ist er Vorsitzender des Integrations- und | |
Ausländerbeirats der Stadt. In diesem Jahr hat er im Verlag mikrotext das | |
Buch „Als Weltbürger in Sachsen“ veröffentlicht. Er wünscht sich, dass | |
Dresden eine Stadt für alle ist, hat aber auch Kritik an dem Slogan: „Wenn | |
ich jetzt die Plakate überall sehe, frage ich mich schon: Warum neue | |
Heimat? Ist die alte nicht gut genug? Ich glaube, es muss keine alte Heimat | |
durch eine neue ersetzt werden. Sie muss einfach als Heimat für alle | |
definiert werden. Menschen sollen sich auf Augenhöhe begegnen. Egal, | |
welcher Status, egal, welche Hautfarbe oder Religion. Es muss eine Heimat | |
sein, die nicht gespalten ist, niemanden isoliert.“ | |
„Ich denke, man würde den Initiatoren unrecht tun, den Begriff als | |
Verbeugung vor der Neuen Rechten zu verstehen“, sagt Michael Bittner, Autor | |
des Buches „Der Bürger macht sich Sorgen“, das 2017 bei edition AZUR | |
erschien. Er lebt seit sieben Jahren in Berlin, ist aber noch immer | |
verwurzelt in der Dresdner Kulturszene. Dabei spiele auch eine Rolle, dass | |
eine Dresdner Besonderheit sei, sich für die bedeutendste Stadt der Welt zu | |
halten. „Alles ist schon sehr konservativ, ein bisschen träge, ein bisschen | |
selbstzufrieden.“ | |
Zwar gebe es durchaus Subkultur in der Stadt, aber sie spiele sich sehr in | |
einem Viertel ab, der Neustadt. „Überspitzt gesagt: In Dresden sitzen die | |
Linken seit 30 Jahren in ihrem gallischen Dorf und sorgen dafür, dass die | |
Bierhähne nicht eintrocknen. Und da lässt man sie eben in ihrem Biotop | |
ihren Firlefanz machen.“ | |
## Städte-Shortlist am 12. Dezember | |
Jüngere Entwicklungen, so Bittner, gäben Anlass zur Sorge. „Es gibt aktuell | |
keinen Kahlschlag, aber wir haben ein Patt im Rathaus.“ Bürgermeister Dirk | |
Hilbert (FDP) regiert mit wechselnden Mehrheiten. Zu den größten Fraktionen | |
im Stadtrat zählen die Grünen (15 Sitze), CDU (13 Sitze) sowie Die Linke | |
und die AfD (je 12 Sitze). Und CDU und FDP hätten in der Vergangenheit | |
schon häufiger bewiesen, dass sie bereit seien, im Einzelfall Bündnisse | |
einzugehen, die punktuell Kürzungen beschließen, so Bittner. Im Februar | |
dieses Jahres sorgte eine Allianz aus CDU, FDP, Freien Wählern und AfD | |
dafür, dass Förderungen für die freie Szene von zwei Millionen auf 400.000 | |
Euro gestutzt wurden. Auch wenn die freie Szene von der | |
Kulturhauptstadt-Bewerbung wohl eher profitieren dürfte, sorgen derlei | |
Bündnisse aktuell dafür, dass es einzelnen Projekten an die Existenz gehen | |
kann. | |
Dabei sind diese Räume und Projekte wichtig, vor allem der enge Kontakt mit | |
dem Publikum, der an den großen Häusern der Stadt nicht gegeben ist, etwa | |
im Theater Hellerau. „Es liegt einfach in der Natur der Sache, dass die | |
freien Kulturträger ein anderes Bewusstsein für offene Türen und den Umgang | |
mit Publikum haben. Das kann man stärken. Kunst und kulturelle Bildung | |
gehen hier zusammen“, sagt Andrea O’Brien. | |
Am 12. Dezember werden alle Städte ihr Konzept in Berlin vorstellen, und | |
die Jury wird die Shortlist bekannt geben. | |
23 Nov 2019 | |
## AUTOREN | |
Michaela Maria Müller | |
Frédéric Valin | |
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